Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Unter der Science-Fiction-Dusche
> Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (7): In einer miefigen
> Schmuddelwohnung in Las Palmas de Gran Canaria.
Bild: Es ist wunderschön: Las Palmas de Gran Canaria
Das Völkchen der Journalisten und Schriftsteller gilt als Weltmeister im
Reisen. Dauernd sind Autoren zu Lesungen und Buchmessen unterwegs oder
müssen sich auf ihren Expeditionen durch aller Damen und Herren Länder eine
Unterkunft suchen. Dabei haben sie einige der abseitigsten Absteigen der
Welt gesehen und sind dort untergekommen, wo andere keinen Fuß hineinsetzen
würden. In unserer Wahrheit-Sommerserie dokumentieren wir das ganze Ausmaß
des unbehausten Schreckens.
„Datenschutz für diese Wohnung: Führungen und Kommentare im Internet auf
dem Boden verboten und seine Bewohner“, meldete ein einlaminiertes Schild
an der Wohnungstür. Es hinderte mich später aber nicht daran, eine
Bewertung auf dem Portal des Wohnungsvermittlers, einer international breit
aufgestellten Firma, sozusagen dem Uber der Hotelbranche, zu hinterlassen.
Gewagt hatten das bis dahin nur wenige: zwei, drei mehr oder weniger
gleichgültige Touristen aus Übersee und ein wütender Russe, der in etwa
dasselbe anzumerken hatte wie ich.
An dem freundlichen Piepmatz, der am Wohnzimmerfenster nach draußen vor
sich hin lärmte, lag die Unwirtlichkeit dieser Unterkunft nicht. Ein
Kanarienvogel auf den Kanaren! Im Käfig zur Straße! Er tat mir genauso leid
wie der Teenager, mit dem ich die Wohnung in diesem Elendsviertel unweit
vom Stadtstrand teilen musste. Für den Teenie gab es immerhin einmal
täglich Tupperware, die vor der Wohnungstür abgestellt wurde. Manchmal war
der Inhalt sogar warm.
Wer hingegen den Piepmatz versorgte? Keine Ahnung. Der Teenie bestimmt
nicht. Der musste zur Schule und bemühte sich in seiner freien Zeit,
entweder total leise zu sein oder irgendwelche Grunge-Standards auf seiner
Klampfe zu üben. Den Haushalt überließ er naturgemäß den kanarischen
Heinzelmännchen. Seinen Zeitplan hatte ich schnell raus: Er verschwand in
der Frühe, kam gegen zwölf wieder, hatte dann zwei Stunden Mittagspause, in
denen er den Inhalt der Tupperdose vertilgte und letztere zu dem Spülberg
in die Küche stellte, danach war er bis abends nicht mehr anzutreffen.
## Mief nach Schmutzwäsche
Sein Zimmer lag meinem gegenüber, aber es gab noch ein drittes, von dem
lange nicht klar war, ob jemand darin wohnte oder nicht. Die Zimmertür war
einen Spalt auf, so dass ein Mief nach Schmutzwäsche in den Flur drang.
Gegen Mitternacht kamen dann interessante Geräuschwelten aus der Richtung.
Es war nur nicht klar, ob sie aus der Nachbarwohnung drangen oder eben aus
dem Zimmer. Die Nachbarn in der Nacht hinter Wänden aus Papier: Erst stöhnt
sie, dann schnarcht er. Auch das ein alltägliches Ritual, samt etwas zu
lautem Badezimmerbesuch davor und danach.
Das Highlight der Wohnung, die aussah, als hätte sie Ramona, meine
offizielle Vermieterin und vermutlich die Mutter des Teenagers, die ich nie
zu Gesicht bekam, fluchtartig in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen,
waren nicht die benutzten Pfannen in der Küche, die zwei
Toplader-Waschmaschinen, die entweder gefüllt waren oder außer Betrieb, und
die Fettschicht, die auf allem, was in der Küche war, klebte. Nein!
Selbstverständlich war es das Badezimmer. Zuletzt geputzt circa vor drei
Jahren, wie der Rest der Wohnung, mit einer Art Beam-me-up-Scotty-Zelle in
der Mitte als Dusche. Wirklich: ein Ding, das in den achtziger Jahren mal
endcool gewesen sein muss. Eine Sci-Fi-Duschmaschine, die einen von unten,
oben und von der Seite besprühte, vorausgesetzt, man fand überhaupt heraus,
wie das Ding ins Laufen kam.
Das ging mit einem denkbar einfachen Mechanismus, einem Schalter, den man
nach oben drücken musste, aber herausgefunden hätte ich das nie, wenn nicht
die scheue Filipina aus dem Schmutzwäscheraum von meinen Flüchen
aufgeschreckt zu Hilfe gekommen wäre.
In meinem Zimmer immerhin konnte ich mich ein wenig wie Brian Wilson in
seiner schwierigen Phase fühlen. Der Strand ganz in der Nähe, aber Surfen
nie gelernt. Dafür war das Bett riesig, auch wenn die Deckenlage eher
rudimentär war: fünf Lagen tischdeckendicke Laken boten einen dürftigen
Ersatz für richtige Bettwäsche. Im irischen Billigklamottenladen (Primark)
in der Nähe hatte ich schon zwei Handtücher und Toilettenpapier gekauft,
und ich war kurz davor, auch bei den Bettlaken zuzuschlagen, habe es aber
dann doch gelassen.
## Fernseher am Fußende
Der Tourismus in seiner heruntergestrippten, privaten Variante darf
hingegen auf was nicht verzichten? Auf freies WLAN und Satellitenfernsehen
in Übergröße. Gab es! Der Bildschirm füllte die komplette Wand jenseits des
Fußendes meines HP-Betts. Die dreißig Fernsehprogramme waren komplett auf
Spanisch, was ich leider nicht wirklich beherrschte. Ich würde trotzdem
darauf wetten, mir die Sprache allein anhand synchronisierter Sitcoms und
nicht-synchronisierter Spielshows und Nachrichtensendungen mit der Zeit
beigebracht haben zu können. Aber irgendwann war mein Urlaub dann doch zu
Ende.
Las Palmas de Gran Canaria hat knapp 400.000 Einwohner. Die Stadt wirkt wie
viele spanische Städte vergleichsweise heruntergekommen und ruppig.
Gleichzeitig wird sie nach und nach von Leuten wie mir übernommen; am
schönen Strand mit versiegelter Promenade flanieren viele Menschen, die
sich von Surfkursen erholen, über AirBnB in Wohnungen der verdrängten
kanarischen Arbeiterklasse unterkommen und in Coworking Spaces irgendwas
Stulles arbeiten. Leider liegt die Stadt am nördlichen Zipfel der Insel,
was bedeutet, dass das Wetter oft etwas wetterfühlig daherkommt. Es windet
viel, es regnet auch gern mal, dann wieder windet es und mit Glück folgen
drei, vier Sonnentage bei durchschnittlich 20 Grad im Winter. Die besser
informierten, aber auch trägeren Touristen halten sich in den Bettenburgen
im durchweg sonnigen Süden der Insel auf.
Die Mitte der Insel bietet schön bergische Idylle. Aber Achtung, auf 1.500
Meter Höhe ist es dann auch zehn Grad kühler als unten in der Stadt! Ich
durfte mit einem Zusatztag im Bett der feinen Wohnung für zu leichte
Bekleidung in den Bergen büßen. Denn Merke: Auch im Süden kann man sich
verkühlen, / tut man in den Dünen wühlen respektive in den Bergen, äh, zu
luftig herumlaufen.
Am Ende dieser aufregenden zehn Tage bin ich dann noch auf dem Weg zum
Flughafen beklaut worden. Aber das war dann auch schon fast egal.
6 Aug 2018
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Unterkunft
Airbnb
Norwegen-Woche
Landtagswahl in Hessen
Georgien
Bibel
Unterkunft
Unterkunft
Unterkunft
Hitler
Tourismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Nordlinge im Süden
Norwegen-Woche der Wahrheit: Was einen auf dem südwestlichsten Zipfel der
Kanaren an einem sonnigen Januartag erwartet? Norweger!
Die Wahrheit: Die Äppelwoi-Rede
Hessen äußert sich schicksalsschwer nach der Wahl der Wahlen. Hier packt
ein Redner aus, „in dieser unserer schweren Stunde der Demokratie“.
Die Wahrheit: Tief in Tiflis
Die Georgien-Woche der Wahrheit: In Berlin gibt es ja nichts, was es nicht
gibt. Da kann schon mal eine Georgierin belgische Biere unters Volk
bringen.
Die Wahrheit: Genesis und Galatea
Im Rheinischen steht ein Bauernhaus, und in der Diele steht ein Pferd. Wenn
das mal nicht ein Traum von geradezu biblischen Ausmaßen ist.
Die Wahrheit: Das bebende Katerzimmer
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (10): Mit Lagerfeuerlieder
tirilierenden Deutschen in einem Dubliner Hostel.
Die Wahrheit: Steaks mit Carl und seinem Bärentöter
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (8). Heute: Unterwegs in den weiten
Wäldern längs des kanadischen Alaska Highway.
Die Wahrheit: Stirb langsam in Cottbus
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (6). Heute: Ein Augenkrebs
erzeugendes Hotel weit im Osten der Republik.
Die Wahrheit: Bei den sieben Hitlerzwergen
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (5). Heute: In einer
Tropfsteinhöhle von Zimmer am Fuße des Qingcheng in der chinesischen
Provinz Sichuan.
Die Wahrheit: Wie ein stillgelegter Schlachthof
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (4). Heute: Auf den groben Rippen
einer Schlafcouch im polnischen Łeba.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.