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# taz.de -- Diskussion um befristete Stellen: Die schlechten Jobs der NGOs
> Das Bundesarbeitsministerium will sachgrundlose Befristungen
> einschränken. Dies könnte aber die Arbeit von NGOs und Ökoverbände
> erschweren.
Bild: Mitarbeiter von NGOs arbeiten oft in befristeten Verhältnissen
Berlin taz | Die Stelle scheint auf den ersten Blick attraktiv: eine
Führungsposition bei einer der wichtigsten deutschen
Nichtregierungsorganisationen. Angeblich, so verspricht es die
Ausschreibung, wartet „ein freundliches Team in zentraler Lage in Berlin“
auf die Kandidaten: [1][Reporter ohne Grenzen (ROG) suchte im Juli eine/n
„Teamleiter/-in Kommunikation“]. Nur einen, allerdings entscheidenden,
Haken hat die Stelle: Sie ist „zunächst auf 2 Jahre befristet“, wenn auch
„mit der Option einer unbefristeten Übernahme“. Im Juristendeutsch ist das
eine sogenannte sachgrundlose Befristung.
„Wir schaffen eine komplett neue Stelle, die Referate Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit waren bisher bei uns getrennt. Es ist ein Experiment,
wir möchten ausprobieren, ob das funktioniert“, sagt ROG-Geschäftsführer
Christian Mihr. Das Risiko trägt der Beschäftigte. Allerdings, so sagt
Mihr, seien „in aller Regel befristete Stellen bei uns bisher entfristet“
worden.
Vor der vergangenen Bundestagswahl war das Thema Stellenbefristung einer
der großen Wahlkampfschlager der SPD. Im [2][Koalitionsvertrag haben Union
und SPD festgeschrieben], dass zumindest sachgrundlose Befristungen
zukünftig nur noch 1,5 Jahre statt wie bisher 2 Jahre dauern dürfen. Das
Gesetz soll, so verlautet aus dem Arbeitsministerium, innerhalb des
nächsten Jahres kommen. Probleme dürfte das zunächst einmal dem
öffentlichen Dienst mit seinen vielen sachgrundlosen Befristungen bereiten
– und vielen NGOs: Dort, wo man sich um ökologische Nachhaltigkeit und
Menschenrechte sorgt, ist das Bewusstsein für nachhaltige
Arbeitsbedingungen gering.
Das Jobportal greenjobs.de, auf dem Stellen im Ökobereich angeboten werden,
[3][wertete im vergangenen Jahr die Stellenangebote auf der eigenen Seite
aus]: Knapp 30 Prozent der ausgeschriebenen Stellen waren befristet, bei
Verbänden und im öffentlichen Dienst sogar 50 Prozent. Insgesamt ist die
Zahl der befristeten Stellen in Deutschland wesentlich geringer – sie lag
2017 laut einer Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung bei 8,3 Prozent.
## Mehr Sicherheit für Arbeitnehmer
ROG-Geschäftsführer Mihr begrüßt die geplante Neuregelung der
Bundesregierung: „Wir haben als Arbeitgeber Interesse an guten
Arbeitsbedingungen, das passt in unsere Linie.“ Aber warum hat ROG die
Stelle nicht von sich aus auf 1,5 Jahre ausgeschrieben, wenn man das
geplante Gesetz des Arbeitsministeriums doch gut findet? „Wir haben darüber
nicht nachgedacht, weil uns die geplante Neuregelung nicht präsent war.“
Mihr gibt bereitwillig Auskunft. Was nicht selbstverständlich ist, wenn man
bei NGOs zu befristeten Stellen nachhakt. Beim Institute for Advanced
Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, das derzeit auf zwei Jahre
befristet einen Referenten für politische Kommunikation sucht, ist man
zugeknöpft. Dies seien „interne Vorgänge“, heißt es.
Die Öko- und NGO-Arbeitgeber können es sich leisten. „In dem Bereich sind
viele unterwegs, die das aus Überzeugung tun und sich deshalb auf manches
einlassen. Das können Arbeitgeber ausnutzen“, sagt Jan Strohschein von
greenjobs.de. „In anderen Bereichen brauchen Sie als Arbeitgeber mit einer
Befristung erst gar nicht zu kommen – da bewirbt sich keiner.“
Die Begründung von Reporter ohne Grenzen für die Befristung der Stelle kann
er nicht nachvollziehen: „Wenn ich Bewerber wäre, würde ich bei so einer
Ausschreibung sagen: Das finde ich seltsam. Der Arbeitgeber müsste, wenn es
mit der Zusammenführung der beiden Bereiche nicht klappt, eine andere
Beschäftigung für den Teamleiter finden, anstatt ihn in die
Arbeitslosigkeit zu entlassen.“
Auch Reporter ohne Grenzen sieht keine Probleme damit, gute Bewerber zu
finden: „Vermutlich bewerben sich wieder Leute mit einer hohen
intrinsischen Motivation bei uns“, sagt Geschäftsführer Mihr.
## Selbst linke Landesregierungen befristen sachgrundlos
Im Gegensatz zu den NGOs geht die Berliner rot-rot-grüne Landesregierung
jetzt voran – auch ohne bundesgesetzliche Regelung: Anfang Juli beschloss
der Senat, zukünftig auf sachgrundlose Befristungen zu verzichten. 2.161
der 4.228 befristeten Stellen bei Landesunternehmen waren Anfang 2018
sachgrundlos befristet, die andere Hälfte war mit Sachgrund, etwa als
Elternzeitvertretung.
Allerdings: Es soll Ausnahmen geben, etwa, wenn bei einer Einführung neuer
Aufgaben das Personal aufgestockt wird, im Haushalt dafür aber noch keine
Stellen zur Verfügung stehen. Und in der Praxis sieht es noch anders aus:
Der landeseigene Klinikkonzern Vivantes sucht gerade mehrere
Ergotherapeuten – zeitlich auf zwei Jahre befristet. Was von dem
Senatsbeschluss übrig bleibt, wird man sehen.
Sicher ist jedenfalls: Auch in linken Landesregierungen ist die Ablehnung
von sachgrundlosen Befristungen keine ausgemachte Sache. „Sachgrundlose
Befristungen sind in Thüringen kein Thema“, sagt Juliane Riehm, Sprecherin
des Finanzministeriums. Was nicht heißt, dass es keine solchen Stellen
gibt: Im Juli hatte das Linken-geführte Arbeitsministerin die Stelle einer
Referentin im Bereich „Tierschutz“ auf zwei Jahre sachgrundlos befristet
ausgeschrieben. Begründung: Es stünde dafür keine dauerhafte Planstelle zur
Verfügung, „da die gesamte Landesverwaltung einem Stellenabbau zur
Personalkosteneinsparung unterliegt“, so Ministeriumssprecher Stefan Wogawa
zur taz. Zahlen zu Befristungen für die gesamte Landesverwaltung gibt es
nicht, sie müssten bei jedem Ressort einzeln abgefragt werden.
Ähnlich ist die Situation im rot-roten Brandenburg. Auch hier gibt es keine
zentrale Erfassung von sachgrundlosen Befristungen im Landesdienst – wohl
aber eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften, dass die Gesamtzahl der
befristeten Stellen um ein Drittel reduziert werden soll. Was Sinn ergeben
kann: Denn ein Teil der Stellen, die als sachgrundlos befristet
ausgeschrieben sind, lässt sich ebenso als mit Sachgrund befristete Jobs
ausschreiben – die Thüringer Tierschutzstelle etwa, deren Befristung dann
mit nicht dauerhaft vorhandenen Geldern begründet würde. Allerdings sind
die Möglichkeiten, sich bei einer Befristung mit Sachgrund einzuklagen,
größer.
Im NGO-Bereich ist ohnehin ein großer Teil der Stellen mit Grund befristet,
weil es sich um Projektfinanzierungen handelt. Das neue Gesetz würde daran
nichts ändern. Nur ein Beispiel von vielen: Die Heinz Sielmann-Stiftung
sucht derzeit einen Eventmanager in Brandenburg, auf zwei Jahre befristet.
15 Prozent der gesamten Stellen bei der Stiftung seien zeitlich beschränkt,
sagt Vorstand Michael Beier zur taz.
Und: „Probleme bei der Bewerberlage gibt es nicht – wir haben eine hohe
Anerkennungskultur in unserer Stiftung.“ Anerkennung statt sicherer
Arbeitsplätze – vielen Mitarbeitern im NGO-Bereich scheint das genug zu
sein.
3 Aug 2018
## LINKS
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/ueber-uns/jobs/
[2] /Angestellte-der-Bundesregierung/!5510227
[3] http://blog.greenjobs.de/befristungen-von-gruenen-jobs/
## AUTOREN
Martin Reeh
## TAGS
Arbeitsrecht
Arbeit
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Befristung
NGO
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Beschäftigung
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