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# taz.de -- Gentrifizierung durch Klimawandel: Auf dem Trockenen
> Teile Miamis könnten im Meer verschwinden. Deshalb explodieren die Preise
> in einem armen Viertel, in dem vor allem Haitianer leben.
Bild: Entweder zahlen – oder wegziehen. Eine Kreuzung in Little Haiti, Miami
MIAMI taz | Eigentlich könnte Mimi Senonjules jedem Kunden seinen
persönlichen Fruchtcocktail zusammenmischen. In großen Einmachgläsern
stehen frisch gepresste Säfte in allen Farben bereit. Wenn – ja wenn da nur
ein Kunde käme. Es ist leer an diesem Samstagmittag am Karibikmarkt in
Little Haiti. Drei junge Männer sitzen auf metallenen Gartenstühlen und
fächern sich mit Zeitungen Luft zu, um die feuchte Hitze im Süden Floridas
ein wenig erträglicher zu machen. Wenig deutet darauf hin, dass dieser Ort
der Mittelpunkt der einst so lebendigen haitianischen Gemeinde Miamis ist.
„Früher war es viel voller hier“, sagt Senonjules, während sie die
Saftgläser zurecht rückt. „Aber dann wurden wir Haitianer verdrängt.“ Die
47-Jährige weiß, wovon sie spricht. Ende vergangenen Jahres verlor sie
ihren Gemischtwarenladen. „Meine Vermieterin wollte statt 1.800 auf einmal
3.200 Dollar Miete im Monat haben.“
Entweder sie zahle – oder sie müsse gehen, habe die hellhäutige
Immobilienbesitzerin gesagt. Senonjules konnte nicht zahlen, also musste
sie das Viertel verlassen, in dem sie ihr halbes Leben verbracht hat. Wegen
der immer höheren Mieten wohnt Senonjules auch nicht mehr in Little Haiti.
Vielen anderen Kleinhändlern ist es ähnlich ergangen.
Vermieter, die die Miete für Wohnungen und Ladengeschäfte erhöhten oder den
Mietern einfach so kündigten. Investoren, die Haitianern in Geldnot ihre
Häuser abkauften und dann für ein Vielfaches des Preises veräußerten. All
das hat dazu beigetragen, dass Little Haiti seinen Charakter zu verlieren
droht. Die Bewohner sprechen von einer Invasion.
Dabei galt die Gegend bis vor Kurzem noch als gefährliches
Schmuddelviertel. Das knapp neun Quadratkilometer große Gebiet bekam
jahrzehntelang vom Bauboom in der Stadt nichts mit. Wegen der dort
vorherrschenden Armut und Gewalt mieden die wohlhabenderen Einwohner Miamis
die Gegend. Seit wenigen Jahren ist das anders.
## Kein spektakulärer Ausblick, aber trocken
Investoren kaufen vermehrt Häuser. Galerien und Start-ups ziehen ins
Viertel. Es ist der bekannte Ablauf der Gentrifizierung. Doch warum
ausgerechnet Little Haiti? Die teuren Wohnlagen Miamis liegen fast
ausnahmslos in Strandnähe oder im benachbarten Miami Beach. Hier tummeln
sich seit Jahrzehnten die Spekulanten. Little Haiti liegt landeinwärts und
hat weder einen spektakulären Ausblick auf die Biscayne Bay noch
Anlegestellen für Boote zu bieten.
Der Grund für die neue Popularität Little Haitis könnte ein brauner
Streifen auf einem digitalen Stadtplan sein. Er zieht sich entlang der
Küste in einigen Kilometern Abstand zum Meer und Little Haiti liegt
mittendrin. [1][2008 hat die Florida International University eine
topografische Karte veröffentlicht], aus der hervorgeht, das große Teile
Miamis im kommenden Jahrhundert im Meer versinken – Grund dafür ist der
durch den Klimawandel steigende Meeresspiegel. Die Farbe braun signalisiert
ein höher gelegenes Gebiet.
Und das wird in Miami gerade immer wertvoller. Die weltbekannte
Strandmetropole leidet schon jetzt immer häufiger unter Überschwemmungen.
In Miami Beach, das zum Teil auf Meeresniveau liegt, reicht mancherorts ein
leichter Regen, um ganze Wohnblöcke unter Wasser zu setzen.
Der Karibikmarkt in Little Haiti liegt hingegen fast vier Meter über dem
Meeresspiegel – das sind 2,40 Meter mehr, als das Wasser laut gängiger
Prognosen bis 2060 in Miami mindestens steigen soll. Und sogar vor
Überschwemmungen durch Hurrikans oder starke Regenfälle ist man
einigermaßen sicher.
Die Vorteile der „Höhenlage“ werden jedes Jahr deutlicher. Nein, an
Überflutungen in Little Haiti könne sie sich in den vergangenen Jahren
eigentlich nicht erinnern, sagt Mimi Senonjules. Ist das der Grund, warum
Little Haiti auf einmal so beliebt ist? Senonjules zuckt mit den Schultern.
Heißt: Kann sein.
## Das Muster ist immer gleich
Nancy Metayer hingegen ist davon überzeugt, dass der Anstieg des
Meeresspiegels für die Aufwertung Little Haitis verantwortlich ist. Sie
spricht von Klima-Gentrifizierung. Metayers Eltern sind selbst aus Haiti in
die USA eingewandert – sie wohnt jedoch nicht im Viertel. Für die New
Florida Majority, eine Aktivistengruppe für Minderheitenrechte, kämpft die
30-Jährige in Little Haiti gegen die Verdrängung. „Das Muster ist immer
gleich“, sagt Metayer. Mietverträge würden nicht verlängert, Mieten erhöh…
Häuser geräumt.
Da die meisten Haitianer zu arm für einen Häuserkauf sind und es in Florida
keinen wirksamen Mieterschutz gibt, sind sie den Vermietern ausgeliefert.
Wer doch ein Haus besitzt, dem bieten Investoren bares Geld, berichtet
Metayer. „Ein paar Hunderttausend Dollar – die denken dann, das sei viel
Geld. Bis sie feststellen, dass man dafür nirgendwo in Miami noch eine
Bleibe bekommt.“
Überall in Little Haiti sieht man Schilder, auf denen Immobilienhändler
Bargeld für Grundstücke und Häuser bieten. Die Preise explodieren. Im
Branchenportal Zillow wird ein zugewuchertes Minigrundstück für fast
200.000 Dollar ausgeschrieben, das 2003 noch 40.000 Dollar kostete.
Nancy Metayer will ein Bewusstsein schaffen für den Zusammenhang zwischen
der Erderwärmung und den Lebensumständen der Haitianer. „Die Menschen hier
sind sich nicht einmal bewusst, dass es der Kliamwandel ist, der sie
verdrängt“, sagt Metayer, während sie vor dem Karibikmarkt Flyer für einen
Infoabend verteilt. Allerdings stößt die Aktivistin auf wenig Interesse –
nicht nur bei Mimi Senonjules.
Auch die jungen Männer auf den Gartenstühlen wollen nichts vom Klimawandel
wissen, erst recht nicht von Metayer. „Von einer Frau wollen sie sich
nichts erzählen lassen“, sagt die Aktivistin. „Sie glauben, dass man sie
aus dem Viertel verdrängen wollten, weil Weiße eben keine Haitianer mögen.“
Nach fünfzehn Minuten Diskussion gibt Metayer auf.
## Little Haiti ist arm
Zu groß scheint die Kommunikationsbarriere zwischen der Aktivistin mit
Abschluss einer Elite-Universität und Praktikum im Weißen Haus und den
desinteressierten Bewohnern des Viertels zu sein. Ein paar Flyer wird
Metayer zwar los, aber dennoch wirkt sie enttäuscht. „Es ist schwierig,
hier einen Gemeinschaftssinn zu fördern.“ Klimawandel sei für die Menschen
weit weg, die täglichen Nöte wichtiger. Sie versuche zwar, die Menschen vom
Verkauf ihrer Häuser abzuhalten. „Aber sie sind arm. Es ist schwer
zusammenzuhalten, wenn man Rechnungen zu bezahlen hat.“
In der Tat: Little Haiti ist arm. Fast ein Drittel der 30.000 Bewohner ist
auf Lebensmittelmarken angewiesen, viele Häuser verfallen. Überall gibt es
zugewucherte Grundstücke und wilde Müllhaufen. An vielen Kreuzungen sieht
man Obdachlose, jeder versucht hier – fernab der schicken Strandvillen und
Wohnkomplexen – irgendwie zu überleben.
Die meisten Haitianer kamen ab Ende der 70er Jahre auf der Flucht vor dem
brutalen Duvalier-Regime auf Booten nach Miami. Sie ließen sich in Lemon
City nördlich der Innenstadt nieder und formten den Bezirk in Little Haiti
um. Im Gegensatz zu den ankommenden Kubanern, die die US-Regierung wegen
ihrer Gegnerschaft zur Castro-Regierung hofierte, wurden die Haitianer
marginalisiert, abgeschoben und ihnen später die Einbürgerung erschwert.
Bis heute glauben viele Haitianer, dass man ihr Volk unterdrücken wolle,
weil sie 1791 den Aufstand gegen die Sklaverei wagten und die
Unabhängigkeit erkämpften. Tatsächlich versuchten zunächst Frankreich und
später die USA, die Ex-Kolonie politisch zu dominieren und wirtschaftlich
zu ruinieren. Zu diesem Mythos passt die Vertreibung aus Little Haiti.
Little Haiti. Schon den Begriff lehnt Peter Ehrlich ab. Er spricht lieber
von Lemon City. „Ich respektiere die historischen Ortsnamen“, sagt der
Immobilieninvestor, während er mit in seinem schwarzen BMW an einem
Lagerhaus vorbeifährt. Er signalisiert: Die Haitianer haben hier keinen
Gebietsanspruch. Das hilft möglicherweise auch bei der Vermarktung der
Lofts und Ladenzeilen, die Ehrlich in Little Haiti besitzt. Vor mehr als
zwanzig Jahren fing er als einer der ersten Investoren an, hier Objekte zu
kaufen, „weil es in Miami Beach einfach zu teuer wurde“.
Und genau darin sieht Ehrlich auch den Grund für die zunehmende Beliebtheit
des Viertels. „Wir sind hier nah an beliebten Innenstadtvierteln und die
Preise sind günstig“, sagt Ehrlich. Die Haitianer zögen seit Jahren
freiwillig weg und kümmerten sich teilweise zu wenig um ihre
Ladengeschäfte. „Man muss Waren und Dienstleistungen anbieten, die die
Leute kaufen wollen“, sagt Ehrlich.
## Vor dem Loft schlafen Obdachlose
Doch es bleibt die Frage, für wen die neuen Dienstleistungen in Little
Haiti da sind? Wer interessiert sich in einem Viertel mit 40 Prozent
Arbeitslosigkeit für Improvisationscomedy, die ein neues Theater direkt
neben dem Karibikmarkt anbietet? Welcher Mindestlohnarbeiter bestellt das
vom französischen Koch zubereitete Biohuhn, das im Restaurant gegenüber
verkauft wird – auf einem Grundstück, dass mittlerweile fünf Millionen
Dollar wert ist? Wer kann sich Bilder des israelischen Künstlers leisten,
der seine Galerie in einem nahegelegenen Loft eingerichtet hat, vor dem in
der Mittagssonne Obdachlose schlafen? Die Zukunft, die Peter Ehrlich für
das Viertel mitgestaltet, sieht dessen ursprünglichen Bewohner
offensichtlich nicht mehr vor.
Zumindest dem Augenschein nach ist Ehrlich der einzige Weiße, der an diesem
Tag in Little Haiti unterwegs ist. Die Menschen auf den Straßen schauen
misstrauisch auf den vorbeifahrenden Geländewagen. Drinnen betet Ehrlich
die Immobilienpreise verkaufter Grundstücke runter. Mit geübtem Auge scannt
er im Vorbeifahren Gebäude. „Das ist eine schöne Häuserzeile, aber es
fehlen Parkplätze.“ Abgesehen vom edlen Fahrzeug gibt sich Ehrlich eher
zurückhaltend. Blaues Poloshirt, Jeans, Brille mit Kordel.
Der Investor denkt strategisch und langfristig und deshalb denkt er auch
über den Klimawandel nach. Über seine Grundstücke sagt er: „Das hier könn…
eines Tages ein Strandgrundstück sein.“
Seit einigen Jahren werde in Miami über Klima-Gentrifizierung diskutiert.
„Die Leute haben irgendwann herausgefunden, dass das Gebiet zwischen vier
und sieben Meter über dem Meeresspiegel liegt – und deshalb womöglich vom
steigenden Meeresspiegel verschont bleibt.“ Seine Investments habe er zwar
davor getätigt, aber das Thema werde immer wichtiger. Ein Run auf höher
gelegene Immobilien stehe bevor. „Der Grundstücksmarkt wird bald wie das
Reise-nach-Jerusalem-Spiel funktionieren. Man will nicht der letzte ohne
Stuhl sein – oder eben allein auf einer Insel, auf der das Wasser meterhoch
steht.“ Er selbst werde seine Wohnung nahe der Bucht bald verkaufen. „Dort
wird die Lobby eines Tages überflutet sein.“
## Einer der neuen Gutverdiener
Einer von Ehrlichs Mietern in der Lagerhauszeile ist Robert Ziehm, der sich
dort ein Loft eingerichtet hat. Seit drei Jahren lebt er hier. Er ist einer
der neuen Gutverdiener im Viertel. Der ehemalige Clubbetreiber wohnt seit
den achtziger Jahren in Miami und hat mitbekommen, wie sich der Klimawandel
auf die Touristenmetropole auswirkt. „In South Beach gibt es Straßen, die
stehen praktisch bei jedem Regen unter Wasser.“ In seinem neuen Zuhause ist
das nicht so. Die an der Wand vor der Toilette gestapelten Sandsäcke
benötigte Ziehm nicht einmal im vergangenen September, als Hurrikan „Irma“
über Miami zog. Ziehm ist Immobilienmakler. „Es ist kein Geheimnis, dass
die Höhe über dem Meeresspiegel ein immer wichtigerer Faktor auf dem
Immobilienmarkt wird. Untereinander reden alle darüber. Und ich erwähne das
gegenüber meinen Kunden immer.“ Die cleveren Kollegen investierten – wie er
selbst – nur noch in Immobilien in höheren Lagen. Die ersten
Immobilienbesitzer in Strandnähe würden bereits ihre Grundstücke verkaufen.
„Und irgendwann werden alle aufwachen.“
Doch was bedeutet das Aufwachen der Immobilienbranche in Südflorida für die
Bewohner von Little Haiti? „Irgendwann werden sie alle weg sein“, ist sich
Robert Ziehm sicher. Hausbesitzer könnten ihre Mieter einfach rauswerfen,
„das Recht ist in den USA auf der Seite der Hausbesitzer“. Doch selbst wer
eine eigene Immobilie besitzt und trotz Angebot nicht verkaufen will, kann
sich nicht sicher fühlen – denn mit der Aufwertung der Umgebung steigen die
Grundstückspreise und damit die Grundsteuer. „Die Haitianer haben schlechte
Karten“, stellt Ziehm fest.
Und die großen Investoren haben einiges vor mit Little Haiti. 17 Wohn- und
Bürotürme mit bis zu 27 Stockwerken sollen im Norden des Viertels im
sogenannten Magic-City-Projekt entstehen. Weitere Großprojekte sind in
Planung. Aus dem verschlafenen Wohngebiet mit den eingeschössigen Bungalows
wird bald eine eigene Mega City – aber für andere. Denn die Haitianer
werden sich dort vermutlich keine Wohnungen leisten können.
So wie Mimi Senonjules. Sie kommt nur samstags zum Markt. Ein paar
afrikanische Kleidungsstücke aus ihrem alten Laden verkauft sie noch am
Stand. „Aber eigentlich komme ich nur vorbei, um ein wenig zu tanzen, mich
zu entspannen und mit meinen Leuten zu reden.“ Ein wenig Heimatgefühl
abseits ihres neuen Lebensmittelpunkts. Der liegt jetzt in North Miami –
mehr als sieben Kilometer weit weg von dem einst so lebendigen
haitianischen Mikrokosmos.
Gibt es dort Überschwemmungen? „Oh ja“, sagt Senonjules. „Andauernd.“
Die Recherche für diesen Artikel wurde ermöglicht durch das Transatlantic
Media Fellowship der Heinrich-Böll-Stiftung.
28 Jul 2018
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## AUTOREN
Jörg Wimalasena
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