# taz.de -- Katholikin zu 50 Jahre „Pillen-Enzyklika“: „Das hat der Papst… | |
> 1968 verbot der Papst Gläubigen die Pille. Rita Waschbüsch über | |
> Empfängnisverhütung, weibliche Sexualität und die Biopolitik der | |
> Katholischen Kirche. | |
Bild: Papst Paul VI., der am 25. Juli 1968 die sogenannte „Pillen-Enzyklika�… | |
taz: Frau Waschbüsch, war die sogenannte Pillen-Enzyklika, mit der der | |
Papst Paul VI. 1968 die Empfängnisverhütung verboten hat, der Anfang vom | |
Ende der katholischen Kirche? | |
Rita Waschbüsch: Sie erwarten ja nicht, dass ich jetzt Ja sage (lacht). Die | |
katholische Kirche kommt wegen ein paar solcher Turbulenzen nicht an ihr | |
Ende. | |
Direkt nach Veröffentlichung der Enzyklika begann eine Welle der | |
Kirchenaustritte, die bis heute anhält. Nicht einmal ein Drittel der | |
Deutschen ist heute noch katholisch. | |
Es stimmt, die Enzyklika hat zu einem großen Vertrauensverlust geführt. Die | |
Reaktionen waren heftig, sie haben die Kirche erschüttert. Aber ich möchte | |
sagen: Die Humanae Vitae war eigentlich eine sehr positive Aussage zur | |
menschlichen Sexualität. Unglücklicherweise hat das letzte Viertel, das | |
sich mit der Frage beschäftigt, ob die Katholiken bei der | |
Geburtenkontrolle nur natürliche oder auch künstliche Methoden wie die | |
Pille anwenden dürfen, große Kontroversen ausgelöst. | |
Das Zweite Vatikanische Konzil beschäftigte sich Anfang der 1960er Jahre | |
mit Fragen der Sexualität und Fortpflanzung, eine Expertenkommission | |
arbeitete weitere Details aus. Entgegen deren Empfehlungen zur | |
Liberalisierung der Verhütungsmethoden entschied sich Paul VI. für die | |
strikte Lehre. Warum? | |
Das ist bis heute nicht klar zu beantworten. Ich halte die Entscheidung des | |
Papstes für falsch. Aber ich weiß, dass sie aus redlichem und ehrlichem | |
Wollen heraus kam. Er begründete seine Entscheidung jedenfalls stark mit | |
der Würde der Frau: Diese solle nicht zum „Gebrauchsobjekt“ des Mannes | |
werden. | |
Er spricht Frauen eine eigenständige Sexualität ab. | |
Sie dürfen das nicht nur mit westlichen Augen sehen. Kirche ist auch in | |
Indien, in Afrika, und da ist die Macht der Männer auch in Fragen von | |
Sexualität ausgeprägter als bei uns. Die Interpretation, Frauen hätten | |
keine Sexualität, hat der Papst mit Sicherheit nicht gewollt. | |
So wurde die Enzyklika aber vielfach gelesen: als Positionierung der Kirche | |
gegen die sexuelle Befreiung und gegen die Emanzipation. Das Konzil und die | |
Expertenkommission bestanden überwiegend aus zölibatär lebenden Männern. | |
Können Sie darin gar nichts Frauenfeindliches sehen? | |
Ich bestreite jedenfalls, dass es gewollt ist. Ich behaupte das Gegenteil: | |
dass es falsch, aber wohlmeinend war. Sie finden im Wortlaut der Enzyklika | |
keine Frauenfeindlichkeit. Es ist sehr schade, dass etwas, was im | |
Vatikanischen Konzil ausdrücklich deutlich wurde – das Gottesgeschenk der | |
Sexualität – durch die Fokussierung auf die Frage nach Verhütungsmethoden | |
so wenig gesehen wird. Es ist ein großes Missverständnis, dass die | |
Enzyklika grundsätzlich die Familienplanung verbietet. | |
Sie lehnt zumindest jegliche künstliche Empfängnis-verhütung ab. | |
Sie sagt, dass Empfängnisverhütung eine Frage von Methoden ist. Der Papst | |
fragt danach, welche Sexualität und Familienplanung der Würde des Menschen | |
am meisten entsprechen, welches seine Auffassung von Sexualität ist. | |
Kann man die Humanae Vitae in dieser Hinsicht als Biopolitik der | |
katholischen Kirche lesen: mehr katholische Kinder? | |
Das ist mir zu schlicht. Sowohl das Konzil als auch die Enzyklika sprechen | |
sich ausdrücklich für Familienplanung und verantwortliche Elternschaft aus | |
– also für das Gegenteil von dem, was Sie unterstellen. Eltern sollen | |
beispielsweise ihr Wohl und das ihrer Kinder bei der Geburtenplanung | |
berücksichtigen, sie sollen sich auch über die Zahl ihrer Kinder | |
verständigen. | |
Die Enzyklika sagt in Punkt 12 aber auch ausdrücklich, Sexualität müsse mit | |
Fortpflanzung verknüpft sein. | |
So steht es im zweiten Teil. Aber im ersten Teil wird gesagt, dass die | |
eheliche Liebe gleichwertig zur Fortpflanzung ist. Zudem gibt es die | |
sogenannte Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, die nach | |
der Enzyklika erschien. Auch die besagt ausdrücklich, dass beides | |
gleichwertig ist. Sie sagt auch: Katholiken sollen zur Kenntnis nehmen, was | |
der Papst in der Enzyklika sagt – sich danach aber prüfen, welche Methode | |
der Verhütung sie anwenden wollen. Und dann nach eigenem Gewissen | |
entscheiden. | |
Die Königsteiner Erklärung hat der Enzyklika widersprochen, sie war eine | |
Korrektur. | |
Es ist ein gewisser Widerspruch, ja. Es ist keine Distanzierung von der | |
Enzyklika insgesamt, aber eine Distanzierung von der Frage nach der Methode | |
der Empfängnisverhütung. Auch der Papst sagt in der Enzyklika, ein | |
katholisches Paar, das heiratet, muss grundsätzlich der Frage nach Kindern | |
zustimmen – aber nicht in jedem Akt. Zahl und Zeitpunkt der Kinder sind | |
ihre Sache. Sonst wäre natürliche Familienplanung ja auch Unfug. | |
War die Enzyklika angesichts der Liberalisierung von 1968 das Festhalten an | |
sexualpolitisch weltfremden und gesundheitspolitisch sogar gefährlichen | |
Grundsätzen? | |
Es war keine Abwehr von Liberalisierung, sondern von dem, was Paul VI. | |
unter einem Missbrauch der menschlichen Sexualität verstand – im Sinne des | |
gegenseitigen Benutzens statt der Zuwendung in Liebe. Er wollte nicht, dass | |
Sexualität zum Gebrauchsartikel wird. Die ganzen Kondom- und | |
Gesundheitsfragen kamen eigentlich erst später und sind heute aktueller als | |
damals. | |
Warum bewegt sich die Kirche sexualpolitisch nicht und nimmt im Gegenteil | |
in Kauf, dass ihr die Mitglieder weglaufen? | |
Sie hat sich doch bewegt – die Königsteiner Erklärung hat das Denken der | |
Katholiken sehr stark geprägt. Ich glaube, dass die Abwendung von der | |
Kirche nicht so sehr von der Enzyklika ausgelöst wurde. Viele Leute fragen | |
doch letztlich nicht danach, was der Papst über ihre Sexualität sagt. Die | |
evangelische Kirche hat keinen Papst, aber genau dieselben Probleme. Sie | |
hat sogar mehr Austritte als die katholische Kirche. | |
Woher kommt die Krise denn dann? | |
Das Entscheidende ist die Frage nach dem Gottesglauben an sich: Glaube ich, | |
oder glaube ich nicht? Deshalb sagen viele Theologen, man müsse sich | |
stärker um Glaubensvermittlung kümmern als um Details der Sexualität. Auf | |
der anderen Seite darf sich Kirche natürlich nicht einfach nach dem | |
Zeitgeist richten. | |
Sind Kräfte in der Kirche, die eine Reform der Enzyklika fordern, auch | |
schon zu viel Zeitgeist? Oder bräuchte die Kirche eine viel stärkere | |
Einbindung ihrer Basisbewegung, etwa von „Wir sind Kirche“? | |
Eine Einbindung der Basis ist nicht zu viel Zeitgeist. Die Frage ist eher: | |
Was ist Basis? Gruppierungen wie „Wir sind Kirche“ sind eine deutliche | |
Minderheit in der katholischen Kirche. Die wichtigste deutsche Basis finden | |
Sie im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, wo querbeet durch den | |
Katholizismus gewählte Vertreter sitzen, die sehr unterschiedliche | |
Auffassungen haben. Dabei gibt es, um die politischen Schemata | |
aufzugreifen, ganz rechte und ganz linke. Die diskutieren katholische | |
Fragen sehr breit. | |
Der Koordinator einer Vatikanischen Forschungskommission zur Enzyklika, | |
Gilfredo Marengo, hat laut dem britischen Catholic Herald vergangene Woche | |
bestätigt, die Kirche werde auch unter Papst Franziskus nicht von der | |
Humanae Vitae abrücken. Künstliche Empfängnisverhütung sei „in sich | |
falsch“. | |
Wenn Sie die Geschichte der Kirche über 2.000 Jahre sehen, gibt es | |
Entwicklungen, ohne dass man jedes Mal sagen muss, dieses und jenes in der | |
Vergangenheit war falsch. Manches überlebt sich einfach. Die | |
Kirchenvertreter wissen auch, dass die Praxis unter den Katholiken eine | |
andere ist als die Festlegung im letzten Teil des Lehrbrief des Papstes. | |
Würden Sie trotzdem sagen, die Kirche müsste, was Sexualität angeht, einen | |
Schritt in die Moderne gehen? | |
Die Kirche muss das, was sie will, anders rüberbringen. Nämlich, dass Mann | |
und Frau in Würde und Verantwortung partnerschaftlich miteinander umgehen. | |
Das meint sie ja eigentlich. | |
25 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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