# taz.de -- Revolutionsdesign im Bröhan-Museum: Hier spricht das Kollektiv | |
> In einer Ausstellung geht es um ein französisches Grafikerkollektiv. In | |
> den 70ern wollte es „der Arbeiterklasse schöne Bilder zur Verfügung | |
> stellen“. | |
Bild: Bunt, wild und ironisch: Grapus-Plakat „Grapus au musée de l’affiche… | |
„Plakate aus Frankreich: l’atelier Grapus“, lautete der Titel der | |
Ausstellung zum Werk des Grafikerkollektivs Grapus in der Galerie Mitte in | |
der Reinhardtstraße im Jahr 1984. Dass die Pariser damals im Ostteil der | |
Stadt ausstellten, mag auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass seine | |
Gründungsmitglieder Kommunisten waren. Dass diese Schau aber bis 2018 die | |
einzige Berliner Präsentation der einflussreichen Gruppe blieb, erstaunt | |
aber doch. | |
Wenn das Bröhan-Museum nun als „Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und | |
Funktionalismus“ zum 50. Jubiläum von 1968 eine umfangreiche | |
Grapus-Ausstellung ausrichtet, dann weniger, weil die Pariser zum | |
funktionalistischen Kanon gehört hätten. Im Gegenteil, sind die in | |
kollektiver Autorenschaft gestalteten Plakate, Aufkleber, Zeitungen und so | |
weiter aus den 1970er und 1980er Jahren doch gerade für ihren freien | |
Ausdruck, ihre Motivaneignungen, ihre Farb- und Formexplosionen bekannt, | |
bei denen sich eine Vielzahl von Techniken, Formaten, Stilen und Medien | |
mischten. Lenin mit Sprechblase, Marx als Tramper, typografisch gab es | |
keine Grenzen. | |
Den Kuratoren der Ausstellung, Anna Grosskopf und Tobias Hoffmann, dürfte | |
auch nicht entgangen sein, dass sich eine jüngere DesignerInnen-Generation | |
wieder mit Grapus beschäftigt. Das Buch „What, you don’t know Grapus?“ | |
(2014) des in Berlin lebenden Grafikdesigners Léo Favier, etwa hatte dazu | |
beigetragen. | |
Faviers Mentor und ehemaliger Professor war das aus dem Saarland stammende | |
Grapus-Mitglied Alex Jordan, ein seinerzeit in der BRD mit dem Klima der | |
Berufsverbote hadernder und 1976 die „Allianz Die Ausstellung „Das | |
französische Grafikerkollektiv Grapus“ ist derzeit im Berliner | |
Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, zu sehen. Di.–So. 10–18 Uhr. Bis 3. | |
Oktober.der linken Kräfte“ suchender und darob nach Paris gegangener | |
Beuys-Schüler. Von 1993 bis 2013 lehrte er Visuelle Kommunikation an der | |
Kunsthochschule Weißensee. | |
## Nicht revolutionär | |
Grapus wird, neben Jordan, mit den Gründern Pierre Bernard, François Miehe | |
und Gérard Paris-Clavel sowie dem 1974 hinzugestoßenen Jean-Paul Bachollet | |
in Verbindung gebracht. Über die Jahre gehörten dem Kollektiv jedoch viele | |
weitere Mitglieder an, Frauen wie Männer. Darunter auch der spätere | |
documenta-Teilnehmer Thomas Hirschhorn. Er bezeichnete die Arbeitsweise | |
entgegen manchen Vorstellungen einer „realisierten Utopie“ später als | |
„nicht revolutionär“ und sich von derjenigen kommerziell wirkender | |
Agenturen in nichts unterscheidend. | |
Es war dies in etwa jene Zeit in den 1980ern, in der Grapus das (bis heute | |
genutzte) Logo des Louvre entwarf. Alex Jordan fasst diese Endphase | |
zusammen: „Konnten wir weiter Aufträge vom Staat annehmen und seine | |
Kritiker unterstützen?“ Die Antwort war negativ. Als Grapus 1991 den Prix | |
National des Arts Graphiques erhält, arbeiten die Mitglieder schon in | |
anderen Konstellationen weiter, manche politisch engagiert, andere eher | |
kommerziell. | |
## Hier spricht die Polizei | |
Am Anfang jedoch stand der politische Aufbruch: Im Mai 1968 lernten Pierre | |
Bernard und Gérard Paris-Clavel, Studenten an der École nationale | |
supérieure des arts décoratifs, die sich gerade in Warschau von dem | |
Plakatkünstler Henryk Tomaszewski hatten beeinflussen lassen, François | |
Miehe am „Atelier Populaire“ kennen: Die Kunsthochschule war von | |
Studierenden besetzt und in eine basisdemokratische Produktionsstätte | |
umgewandelt worden. | |
Es entstehen Plakate für den revolutionären Kampf: Die Fabrik mit | |
kapitalistischem Zigarrenschlot und einem „NON“ oder der schwer bewaffnete | |
Polizist, der die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Senders spricht: | |
„La Police vous parle“, hier spricht die Polizei. | |
## Soliplakate für Streikaktionen | |
Mit der Grapus-Gründung 1970 ging es darum, „der Arbeiterklasse schöne | |
Bilder zur Verfügung stellen“. Die Ausstellung zeichnet dies unter anderem | |
anhand des Grapus-Engagements für die Kommunistische Partei Frankreichs | |
(PCF) und die Gewerkschaft CGT nach. Dazwischen Protestplakate gegen den | |
Vietnamkrieg, Soliplakate für Streikaktionen, Besetzungen, die Ästhetik für | |
die damalige Zeit neu und herausfordernd in jeder Hinsicht, politische und | |
visuelle Zumutungen überall. | |
Um 1983, Grapus hatte sich mittlerweile kulturellen und ministeriellen | |
Auftraggebern zugewandt, scheint sich die Arbeiterklasse in eine Zielgruppe | |
von KonsumentInnen aufzulösen: Auf einem Plakat stehen nunmehr „Philips“ | |
und „phonogram“ und nicht mehr PCF und CGT. | |
Spirituell, geradezu religiös sei das gemeinsame Gestalten gewesen, | |
behauptet Jean-Paul Bachollet in einem in der Ausstellung zu sehenden | |
Video. War man bei Grapus im Besitz einer höheren kreativen Wahrheit oder | |
schuf man, an Roland Barthes geschult, auch Mythen des heutigen | |
DesignerInnenalltags? Die historische Skepsis entscheidet sich für | |
Letzteres, was der Brillanz der Arbeiten jedoch nicht schadet. | |
23 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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