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# taz.de -- Sport als Integrationshilfe: Treffpunkt Hoffnung
> Auf dem Indoor-Sportplatz Tentaja im ehemaligen Flughafen Tempelhof
> trainieren neben Alteingesessenen vor allem Geflüchtete.
Bild: Zum Beispiel Kickboxen im ehemaligen Flugzeughangar
Ali spielt den Ball hoch, dreht sich im Schuss und knallt das Ding an die
Bande neben das Tor. Es ist ein heißer Nachmittag vor dem Hangar 5 am
ehemaligen Flughafen Tempelhof, und Ali und Ian albern mit dem Fußball rum,
während sie auf die Teamkameraden warten. Ein 14-jähriger Afghane und ein
16-jähriger Kenianer, und nichts an dieser Kombination scheint
selbstverständlich.
Ali, der Afghane, seit einem Jahr in Deutschland, ist allein zum Hangar
gekommen. Er macht auf cool, wie die meisten Jungs hier, Ohrring,
Zigarette, gestylt, und irgendwie gleichzeitig schüchtern. Wenn er die
Fragen nicht versteht, lächelt er nur. Warum er hier Sport macht? „Ich
liebe Fußball“, sagt Ali schlicht.
Nebenbei spiele er noch beim FC Grunewald Berlin und bei Türkiyemspor.
Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag Training, Fußball als Struktur für
die ganze Woche. Sein Lieblingsteam ist der FC Barcelona, hier bei Tentaja
spielt er im Angriff. Wie Messi? „Ja, wie Messi“, er mag den Vergleich. Ali
schießt den Ball an den Pfosten und brüllt trotzdem: „Goooal!“
Tentaja heißt der Ort in Hangar 5 mit Volleyballnetz, Basketballkörben,
Kicker, Boxring sogar einer Baseball-Anlage. Tentaja kommt vom
französischen „tente“ für Zelt, und Chefin Isabell Seidenstücker sagt, d…
dieser Ort längst überfällig gewesen sei. Schon vor der Eröffnung im Herbst
2017 gab es hier eine Indoor-Spielfläche für die Geflüchteten in der
Notunterkunft, jetzt ist sie täglich kostenlos für alle geöffnet, eine
Begegnungsfläche von 10 Uhr bis 21.30 Uhr.
## „Ganzheitliche Integration“
„Es geht um ganzheitliche Integration“, so Seidenstücker. Im September und
Oktober 2017 seien rund 150 Besucher pro Woche gekommen, sagt
Projektkoordinator David Bereznai. Ab Dezember dann etwa 400, und seit
Anfang Februar habe man sich bei Besucherzahlen von rund 1.000 pro Woche
stabilisiert.
„Wenn wir die Leute ein bisschen kennengelernt haben, versuchen wir, mit
ihnen ins Gespräch zu kommen“, erklärt Daniel Send, Berliner Standortleiter
der Rheinflanke und selbst als Kickbox-Trainer und Jobberater für das
Integrationsprogramm Hope aktiv. „Wir bauen Vertrauen auf. Das Ziel ist es,
gemeinsam an den Schritten, die für ein selbstbestimmtes Leben notwendig
sind, zu arbeiten.“ Die Rheinflanke ist eine von etwa 30 Organisationen,
die sich hier engagieren, mit Trainings, Wohnungssuche, Jobsuche,
Zukunftshilfe.
„Warte“, ruft Dennis Wolf. Der Torwart hat den Ball von der Linie gekratzt,
und Wolf, am Rand stehend, macht die neue universale Geste. „Videobeweis!“
Die Jungs lachen. Wolf ist ihr Trainer, er war schon mit ihnen auf
Turnieren unterwegs, auch außerhalb von Berlin. Das schweiße sie zusammen,
sagt er. „Es sind früh Leute aus der Notunterkunft hierher gekommen, weil
es für sie eine Freizeitbeschäftigung ist. Das Training ist ein festes
Ritual.“
Die Mannschaft, die im Kern seit drei Jahren besteht, habe es nicht immer
leicht zusammen gehabt, räumt er ein. „Am Anfang war es manchmal schwierig,
auch wegen den Vorbehalten der Spieler untereinander wegen der
unterschiedlichen Herkunft. Mittlerweile ist die Mannschaft
zusammengewachsen, und es gibt eine hohe Akzeptanz unter den Spielern,
unabhängig davon, woher sie kommen.“ Und sprachlich sind sie allmählich
bereit für eine Ausbildung. Die Rheinflanke hilft mit Jobcoaching und
Berufsorientierung.
## Die Frauen schauen zu
Es sind vor allem Jungen und junge Männer, die bisher die Sportangebote bei
Tentaja nutzen. Die Frauen schauen zu, ein paar Mädchen wuseln herum.
„Viele geflüchtete Frauen und Mädchen kennen aus ihren Herkunftsländern
keine Sportkultur für Frauen“, sagt Isabell Seidenstücker. „Und Frauen si…
meist noch intensiver in die Betreuung ihrer Kinder eingebunden. Da bleibt
oft wenig Freiraum für Freizeitbeschäftigungen.“ Seidenstücker wünscht si…
deshalb einen Frauentag, der geschützte Räume bietet, die Rheinflanke plant
Angebote wie Yoga und Tanz.
Ganz außen vor aber bleiben die Frauen nicht, und das liegt vor allem an
Mädchen wie Dara. Sie kommt auf Geheiß der Mutter, die noch kein Deutsch
spricht, vom Volleyballfeld angelaufen, wo gerade eine gemischte Gruppe
spielt. Die Neunjährige zählt auf, was sie hier alles macht: „Volleyball,
Trampolin, Kicker, Fahrrad …“ Vor zwei Jahren ist Dara mit ihrer Familie
aus dem Irak geflüchtet. Wie oft sie zum Sport kommt, beantwortet sie
abgeklärt: „Ich komme, wenn ich Zeit habe.“
Die jüngeren Mädchen sind unbefangener, wilder, allerdings vor allem
abseits des männerdominierten Mannschaftssports. Am Ende des Nachmittags
steht Dara wieder auf dem Trampolin, sie hüpft und brüllt einer Freundin
zu: „Yallah!“ Auf geht’s.
Kommen außer Geflüchteten andere zu Tentaja? An diesem Nachmittag ist eine
Baseballgruppe da, vor allem Berliner Jungs mit US-amerikanischen
Elternteilen. Auch andere auswärtige Gruppen kommen regelmäßig. Gemischte
Clicquen aber sind nicht zu sehen: Man sportelt getrennt vor sich hin. Der
Weg zu Tentaja ist auch nicht leicht zu finden, abgelegen in einem der
hinteren Hangars, mit immer noch wenig Beschilderung.
## Herkunft Nebensache
Ob das Projekt bei den alteingesessenen Berlinern ankommt, lasse sich nicht
zahlenmäßig feststellen, sagt Koordinator David Bereznai. „Es ist manchmal
schwierig zu sehen, wer alteingesessener Berliner ist und wer nicht. Es ist
eine sehr durchmischte Gruppe. Genau das ist ja das Ziel. Dass man nicht
mehr fragt: Wo kommst du her?“
Am frühen Abend sind die Fußballer immer noch dabei. Shayan steht an der
Bande, hört Musik und singt vor sich hin. 17 Jahre alt und seit drei Jahren
in Deutschland, Afghane wie Ali, aber schon etwas weiter hier. Er geht in
Berlin zur Berufsschule. „Ich habe keinen Schulabschluss geschafft, ich
hatte viele Probleme.“ Jetzt soll es besser werden, und er genießt vor
allem den Sport: „Ich fühle mich dabei gut und gesund, ich habe Leute
kennengelernt.“
Shayan ist Fan von Real Madrid und Cristiano Ronaldo natürlich. Einen
Berliner Verein hat Shayan noch nicht gefunden, würde aber gern mal zum
Probetraining. Am liebsten bei den Blau-Weißen, wie heißen sie noch? Ach
ja, Hertha BSC.
19 Jul 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Geflüchtete
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Integration
Notunterkunft Tempelhof
Flughafen Tempelhof
Sportverein
Flüchtlinge
Schwerpunkt Iran
Mario Czaja
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