# taz.de -- Nach den Wahlen in der Türkei: Der Übergang ins Präsidialsystem | |
> Recep Tayyip Erdoğan ist nun Staats- und Regierungschef. Das Amt des | |
> Ministerpräsidenten entfällt. Der Präsident kann Dekrete erlassen. | |
Bild: Kann theoretisch bis 2033 die Türkei regieren: Recep Tayyip Erdoğan | |
ISTANBUL dpa | Im April vergangenen Jahres stimmten die Türken mit einer | |
knappen Mehrheit in einem Referendum für das von Staatschef Recep Tayyip | |
Erdoğan angestrebte Präsidialsystem. Die Umsetzung des Systems begann | |
schrittweise nach der Abstimmung. Mit den [1][Parlaments- und | |
Präsidentenwahlen vom Sonntag] ist der Übergang in das neue System | |
abgeschlossen. | |
Kritiker befürchten, dass das neue System eine Ein-Mann-Herrschaft | |
ermöglicht. Die Verfassungsexperten der „Venedig-Kommission“ des | |
Europarates warnten mit Blick auf die Reform vor einem „gefährlichen | |
Rückschritt in der verfassungsmäßigen demokratischen Tradition der Türkei�… | |
Die wichtigsten Änderungen im Überblick. | |
## Bereits umgesetzt | |
Der Präsident darf einer Partei angehören: Erdoğan trat im Mai 2017 erneut | |
der von ihm mitbegründeten islamisch-konservativen Regierungspartei AKP | |
bei. Im selben Monat ließ er sich wieder zum Parteivorsitzenden wählen. | |
Der Präsident hat mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und | |
Staatsanwälte (HSK) kann er vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament | |
sieben weitere. Feste Mitglieder bleiben der Justizminister und sein | |
Staatssekretär, die der Präsident ebenfalls auswählt. Das Gremium ist unter | |
anderem für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Der | |
Rat wurde bereits im Mai 2017 neu besetzt. Im alten System hatten die | |
Juristen selbst die Mehrheit des zuvor 22-köpfigen Gremiums bestimmt. | |
Die Militärgerichte wurden abgeschafft. | |
## Umsetzung mit den Wahlen | |
Parlament und Präsident werden am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren | |
vom Volk gewählt. Beide Wahlen waren eigentlich für November 2019 geplant, | |
Erdoğan hat sie aber vorziehen lassen. Die zeitgleiche Wahl erhöht die | |
Wahrscheinlichkeit, dass die Partei des jeweiligen Präsidenten über eine | |
Mehrheit im Parlament verfügt. | |
Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt | |
des Ministerpräsidenten entfällt. Er wird nicht mehr vom | |
Parlamentspräsidenten, sondern von einem Vizepräsidenten vertreten. Der | |
Präsident ist für die Ernennung und Absetzung einer von ihm selbst | |
bestimmten Anzahl Vizepräsidenten und Minister sowie aller hochrangigen | |
Staatsbeamten zuständig. Das Parlament hat kein Mitspracherecht. Mitglieder | |
des Kabinetts dürfen nicht Abgeordnete sein. Wer für die Präsidentschaft | |
kandidiert, darf sich nicht zugleich um ein Abgeordnetenmandat bewerben. | |
Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit | |
Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft | |
treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig. Dekrete werden | |
unwirksam, falls das Parlament zum jeweiligen Bereich ein Gesetz | |
verabschiedet. Präsidiale Dekrete dürfen Verfassungsrechte nicht | |
einschränken und schon gesetzlich bestimmte Regelungen nicht betreffen. | |
Gesetze darf – bis auf den Haushaltsentwurf – nur noch das Parlament | |
einbringen. | |
Die Anzahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische | |
Anfragen gibt es nur noch schriftlich an die Vizepräsidenten und Minister. | |
Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im | |
Parlament ist dafür eine Dreifünftelmehrheit notwendig. In beiden Fällen | |
werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt | |
neu gewählt – unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl | |
veranlasst hat. | |
Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die | |
Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das | |
Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten eine Neuwahl | |
beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren. | |
Die Zählung der Amtszeiten beginnt unter dem neuen Präsidialsystem neu. | |
Erdoğan ist also nach seinem Wahlsieg in seiner ersten Amtsperiode. Mit der | |
Hintertür – und bei entsprechenden Wahlerfolgen – könnte er damit | |
theoretisch bis 2033 an der Macht bleiben. | |
Gegen den Präsidenten kann nicht nur wie bislang wegen Hochverrats, sondern | |
wegen aller Straftaten ermittelt werden. Allerdings ist eine | |
Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten im Parlament notwendig, um eine | |
entsprechende Untersuchung an die Justiz zu überweisen. | |
25 Jun 2018 | |
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