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# taz.de -- Nach der Befreiung vom IS: Rakka, zerstörte Perle am Euphrat
> Die Terrormiliz Islamischer Staat hinterließ in der syrischen Stadt
> Minen, Tod und Ruinen. Langsam kehrt nun das Leben zurück.
Bild: Nach der Vertreibung des IS im Oktober 2017 waren 70 Prozent der Häuser …
Berlin taz | Vielleicht war es einer der schönsten, einer der friedlichsten
Orte im ganzen Land, das schlichte Café am Ufer des Euphrat, unter der
Brücke, die aus der Stadt Rakka hinaus in die Ödnis der grau-braunen Wüste
Nordsyriens führte. Die wenigen Gäste, viele Pärchen, pusteten den Dampf
ihrer Wasserpfeifen in die warme Sommerluft und der Euphrat trug auf seinem
Weg ins irakische Mesopotamien kleine Ausflugsschiffe auf seinem Wasser.
In Rakka, in Friedenszeiten sechs Autostunden von Damaskus entfernt, blies
die Luft der syrischen Provinz. In einem kleinen Museum im Zentrum hieß ein
taubstummer Führer die Besucher willkommen, die es aus Aleppo oder Damaskus
hierher verschlagen hatte. Und eine massive Stadtmauer streckte hier und da
ihre massiven Überreste in die Höhe und erinnerte an längst vergangene
Zeiten. Außer ein paar Archäologen schien sich niemand für diese Stadt zu
interessieren, die als Verwaltungszentrum der gleichnamigen Provinz in der
Assad-Diktatur auf eine Viertelmillion EinwohnerInnen angewachsen war.
Doch das änderte sich schlagartig. Im März 2013 überrannten die Kämpfer des
sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) die Stadt. Von der „Hauptstadt des
IS-Kalifats“ war fortan die Rede. Das war Unsinn, war das von der
Terrormiliz kontrollierte Gebiet doch weder ein Staat, noch Rakka dessen
Hauptstadt. Richtig aber ist: Der IS siedelte in der verschlafenen
Provinzhauptstadt wichtige Institutionen seiner Schreckensherrschaft an und
baute Rakka zu seiner Kommandozentrale aus. Das Fußballstadion der Stadt,
der „schwarze Sportplatz“, diente als grausames Foltergefängnis.
Videoaufnahmen, die an die Öffentlichkeit geschmuggelt wurden, zeigen
Hinrichtungen auf öffentlichen Plätzen, Massenverbrennungen von Zigaretten
und bärtige Religionswächter, die durch die Märkte streifen, um ihre krude
Vorstellung einer islamischen Gesellschaftsordnung durchzusetzen. Ein weit
verzweigtes Spitzelsystem, so berichten es EinwohnerInnen, versetzte die
Menschen in Angst und Schrecken.
## Die Befreiung kam durch Bomben
Sicher wäre den Dschihadisten eine Stadt wie Bagdad, Damaskus oder gar
Jerusalem als Zentrum ihres vermeintlichen Kalifats lieber gewesen. Aber
auch mit Rakka konnten sie an eine ihren Zwecken dienende Geschichte
anknüpfen. Denn die IS-Zeit war nicht das erste Mal, dass Rakka Berühmtheit
erlangte. Der sagenumwobene Kalif Harun al-Raschid regierte im 8. und 9.
Jahrhundert von Rakka aus sein Weltreich, das von Zentralasien bis nach
Gibraltar reichte. Allerdings war es damit nach wenigen Jahren wieder
vorbei, Rakka verlor an Bedeutung und versank wieder in Vergessenheit.
Heute taucht die Stadt noch alle paar Monate in den Schlagzeilen auf. Im
Juni veröffentlichte Amnesty International einen Bericht anlässlich des
ersten Jahrestages der Rakka-Offensive. Unterstützt von einer US-geführten
Koalition hatten mehrheitlich kurdische Bodentruppen am 6. Juni 2017
begonnen, [1][die Stadt vom IS zu erobern]. Im Oktober wurden die
Extremisten [2][schließlich vertrieben].
Das war eine gute Nachricht. Doch die Befreiung kam durch Bomben. Amnesty
beschuldigt die Koalition, bei ihren Artillerie- und Luftangriffen auf
Rakka Zivilisten nicht ausreichend geschützt zu haben. „Die Angriffe der
US-geführten Koalition haben hunderte Menschen das Leben gekostet, tausende
wurden verletzt“, erklärte der Amnesty-Experte Ilyas Saliba. „Die hohen
Opferzahlen ebenso wie das Ausmaß der Zerstörung in der Stadt lassen daran
zweifeln, dass die Streitkräfte genug getan haben, um zivile Opfer zu
vermeiden.“ Die Menschenrechtler fordern, dass eine unabhängige Kommission
mögliche Kriegsverbrechen der Koalition untersucht.
Nun liegt fast ganz Rakka in Trümmern. 70 Prozent der Gebäude sind nach
Angaben örtlicher Behörden zerstört oder beschädigt. In den Straßen hängt
der Geruch verwester Leichen, wie JournalistInnen berichten, die Rakka
erstmals wieder besuchen konnten. Die Euphrat-Brücken sind zerstört. Wer
ans andere Ufer will, nimmt die Fähre.
## Der kurdische Rote Halbmond versorgt die Stadt medizinisch
Doch seit der Vertreibung des IS kehren die Menschen zurück in ihre Stadt,
sehen nach ihren Häusern, räumen Schutt weg, bauen ein neues Leben auf.
100.000 Menschen seien zurückgekehrt, berichteten die UN bereits wenige
Monate nach der Vertreibung der Dschihadisten. Der Euphrat schlängelt sich
unbeirrt durch die Ruinenlandschaft. Händler öffnen ihre Geschäfte. Eine
Form von Alltag ist zurück in Rakka.
Nicht die Regierung in Damaskus, sondern der kurdische Rote Halbmond
versucht nun, die medizinische Versorgung in der Stadt aufrecht zu
erhalten. Im Krankenhaus der Organisation kümmern sich rund um die Uhr
Ärzte und PflegerInnen, viele von ihnen aus den kurdischen Regionen in
Nordsyrien, um Kranke und Verletzte, um Schwangere und vor allem
Minenopfer.
Das Rakka der Nachkriegszeit: eine zerbombte arabische Stadt im
Machtbereich der Kurden, die im Gewand der Befreier ein neues Kapitel der
Stadtgeschichte aufgeschlagen haben. Wird es ein besseres sein? Die
Assad-Truppen, die weite Teile Syriens von Rebellen zurückerobert haben,
stehen nur wenige Kilometer von Rakka entfernt. Auch die Türkei blickt
argwöhnisch auf die Kurden, die in Nordsyrien ihren eigenen Quasi-Staat
aufgebaut haben.
Den BewohnerInnen von Rakka ist zu wünschen, dass ihre Stadt bald wieder in
Vergessenheit gerät – nicht jedoch, bevor die Minen geräumt und die Häuser
neu aufgebaut sind. Und die Brücken der Stadt wieder ans andere Ufer des
Euphrat führen.
Der Autor war vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Rakka
3 Jul 2018
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## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Kurden
„Islamischer Staat“ (IS)
Syrischer Bürgerkrieg
Lesestück Interview
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