# taz.de -- Merkel-Löw-Analogien in Mode: Müdigkeiten, nichts sonst | |
> Manche sehen plötzlich eine historische Analogie zwischen Kanzlerin | |
> Angela Merkel und DFB-Trainer Jogi Löw. Aber sie ist falsch. | |
Bild: Angela-Joachim Löw-Merkel? Wer hat denn hier schon wieder alles zusammen… | |
Zeitgemäßer Fußball funktioniert nur auf der Grundlage strukturierten | |
Verteidigens, und das haben die Deutschen bei dieser WM nicht hingekriegt. | |
Das Problem war weder Saturiertheit noch Alter und auch nicht | |
Erdoğan-Fotos; [1][es war die fehlende Struktur]. | |
Die Abstände zwischen den Ketten waren zu groß für das Tempo, in dem die | |
Sechser sich rückwärts bewegen können. Um Gary Linekers berüchtigten | |
Aphorismus abzuwandeln: Fußball ist ein Spiel, bei dem mittlerweile alle | |
verteidigen können – nur die Deutschen nicht mehr. Und fast alle umschalten | |
können – nur die Deutschen nicht mehr. | |
Damit ist man auch schon bei Jogi Löw, 58, dem erfolgreichsten | |
Bundestrainer, den der deutsche Verbandsfußball je hatte. Sechsmal in Folge | |
kam er mindestens ins Halbfinale von EM und WM, weil er den komplett | |
rückständigen deutschen Fußball immer weiter modernisierte, eine jeweils | |
passende Struktur fand und Glück hatte, denn auch im Zeitalter der | |
Fußball-Algorithmen ist der Zufall ein riesiger Faktor. Diesmal fehlte die | |
defensive Grundlage, auf der man hätte dominieren können. | |
Man ist ja keine „Turniermannschaft“, weil man „deutsch“ ist, sondern w… | |
man eine stabile strukturelle Grundlage hat oder findet, die einen – wie | |
etwa 2014 geschehen – trotz des üblichen Anfangsgestotters auf der Straße | |
bleiben lässt. Es war erstaunlich, wie Löw gegen Südkorea mit jeder | |
Auswechslung die Unordnung auch noch erhöhte, als steige die | |
Wahrscheinlichkeit eines Tores mit der Zahl der Stürmer. | |
## Burnout der topbelasteten Spieler | |
Wenn nun die angeblich „Alten“ als Problem und das junge siegreiche | |
Confed-Cup-Team des letzten Jahres als naheliegende Lösung beschworen wird, | |
die jeder Trottel gesehen hätte, nur Löw nicht, so scheint mir das | |
reichlich unterkomplex. Richtig scheint aber zu sein, dass der zunehmende | |
Burnout der topbelasteten Spieler mittlerweile nicht nur Testspiele | |
beeinträchtigt, sondern auch die Vorrunde einer WM. | |
Die Spieler sind aber nicht selbstherrlich, [2][die sind einfach müde], | |
Thomas Müller ist dies seit Jahren. Das Einsparen von Energie in | |
vermeintlich kleinen Spielen ist keine Charakterfrage, sondern | |
Überlebensmodus. Das vollzieht sich im Unterbewusstsein oder im Körper und | |
wird bei Spitzenclubs ja das ganze Jahr über praktiziert. | |
Was nun die Verbindung mit der Gesamtsituation in Deutschland angeht, so | |
besteht die Gemeinsamkeit darin, dass die gefühlte Stimmung viel mieser ist | |
als die reale Lage. Dieses „größte Blamage aller Zeiten“-Geschwätz von | |
Leuten wie Lothar Matthäus ist faktisch falsch. Die größte Fußballblamage | |
aller Zeiten ist und bleibt Matthäus selbst. | |
## Seit Mitte der nuller Jahre in Verantwortung | |
Sowohl Merkel als auch Löw sind seit Mitte der nuller Jahre in | |
Verantwortung, aber das ist nur eine chronologische Koinzidenz. Löw hat als | |
Helfer und Nachfolger des Reformers Jürgen Klinsmann den radikalen Wandel | |
gebracht, den die Merkel-Jahre versäumt haben. Radikal bedeutet nicht, | |
Steine zu schmeißen. Sondern Arbeitsprozesse radikal zu verändern, um in | |
Gegenwart und Zukunft erfolgreich zu sein. Das ging deshalb, weil Löw eben | |
nicht die Befindlichkeiten der Gesellschaft und ihre permanente Zustimmung | |
brauchte. Sonst würden heute noch Oliver Kahn und Michael Ballack spielen. | |
Löw hatte also faktischen Erfolg, weil er nicht wie Merkel verzögerte. Und | |
Merkel hatte Zustimmung, weil sie dem Willen der Gesellschaft folgend nicht | |
modernisierte. Seit 2016 ist Löw zu altmerkelesk geworden und hat damit | |
nichts bewahrt, sondern alles verloren. Und Merkel sah plötzlich die | |
Notwendigkeit der politischen Veränderung ein, [3][aber Jamaika ging | |
nicht]. | |
Wenn das DFB-Team-Aus eine Lehrgeschichte abgeben soll, so diese: Es gibt | |
auch beim Fußball keine einfachen Antworten. Man muss die Komplexität der | |
Realität annehmen, sich damit identifizieren, dass alles schwierig ist. Man | |
muss dem Ball strukturiert hinterherrennen und das geil finden. Und dann | |
ist es großartig, wenn es am Ende passt. | |
29 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Deutsche-Elf-in-Russland/!5516750 | |
[2] /DFB-Team-verliert-gegen-Suedkorea/!5516745 | |
[3] /Sondierungen-gescheitert/!5465454 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Frauen-WM 2019 | |
WM-taz 2018: Neben dem Platz | |
Jogi Löw | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Fußball | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
Alice Weidel | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Löw bleibt Bundestrainer: Die Ohnmachtserklärung des DFB | |
Trotz der historischen WM-Pleite bleibt beim DFB alles beim Alten. Jogi Löw | |
macht als Bundestrainer weiter – denn dem Verband fehlt Plan B. | |
Kommentar Underdogs in WM-Vorrunde: Nur echt mit 48 Mannschaften | |
Bei aller Kritik am Turniermodus der WM 2026, eines wird er bringen: Mehr | |
kleine Mannschaften. Die Underdogs haben bei dieser WM begeistert. | |
Public-Viewing im Berliner Knast: Zum Aus Deep Purple | |
In der U-Haftanstalt Moabit verfolgen 60 Gefangene den Untergang des | |
deutschen Teams beim Public-Viewing ohne Tonübertragung aber mit live | |
Filmmusik. | |
Die AfD und die DFB-Elf: „Glückwunsch Erdoğan“ | |
Das Verhältnis der AfD zur Nationalmannschaft ist schwierig. Kein Wunder, | |
dass der Schuldige fürs Vorrundenaus schnell gefunden war. | |
WM-Abschied, Reaktionen im Netz: #Schlandschande | |
Aus, aus, aus, das Turnier ist aus! Für die deutsche Mannschaft geht's nach | |
Hause und das Internet freut sich. Unsere Social-Media-Schau. | |
Gruppe F: letzter Spieltag: Vorrundenaus für Deutschland | |
Tränen und Enttäuschung bei der deutschen Elf: für sie geht's nach Hause. | |
Die Schweden schlagen Mexiko 3:0, trotzdem schaffen es beide ins | |
Achtelfinale. |