# taz.de -- Journalist und Autor Robin Detje: Funkelnde Formulierungen | |
> Robin Detje langweilt sich schnell, wie er selbst sagt. Ist er deshalb | |
> vom Kulturjournalisten zum Übersetzer komplexer Romane geworden? | |
Bild: Früher Kritiker und Essayist, heute auch als Übersetzer unterwegs: Robi… | |
Im Jahr 2006 überraschte Robin Detje uns Redakteur*innen der | |
Zeitschrift Theater heute mit einem Essay zum „Phänomen Abstieg“. Dass der | |
Text mit beißender Selbstironie und analytischer Brillanz neoliberale | |
Kulturgeschäftsmodelle und das dadurch entstandene Bedrohungsszenario für | |
das bürgerliche Theater und Feuilleton aufs Korn nehmen würde, hatten wir | |
erwartet; nicht jedoch, dass Robin Detje, der sich im Text schroff als „der | |
D.“ bezeichnete, seine Person mit derselben Schärfe angehen würde. | |
Kostprobe: „Er gelangt in die Außenbezirke höchster gesellschaftlicher | |
Kreise (Gräfin Dönhoff, Ute Lemper) und macht dort eine schlechte Figur. Er | |
weigert sich, seine Position abzusichern, und präsentiert sich als der | |
Schwierige. Ihm wird Verantwortung übertragen, aber mehrfach muss sein | |
Mentor mit seiner eigenen Kündigung drohen, um ihm die Stellung zu retten. | |
D. hält das für selbstverständlich. […] Meistens fühlt er sich ungerecht | |
behandelt. Er hält sich für einen der besten Theaterkritiker Deutschlands.“ | |
Aus heutiger Sicht wirkt unerbittlich, wie Robin Detje sich damals als | |
arroganten Ex-Großkritiker geißelte und sein Umsteuern auf andere | |
Arbeitsfelder als „Abstieg“ einstufte. In mindestens einem dieser | |
Arbeitsfelder ist er nämlich seither überaus erfolgreich: Als Übersetzer | |
maximal herausfordernder, umfangreicher Romane aus dem amerikanischen | |
Englisch, von Autoren wie William T. Vollmann, Gary Shteyngart, Kiran | |
Desai, Paul Beatty, Denis Johnson und Joshua Cohen ist Detje nicht nur | |
überaus gefragt, sondern wird auch regelmäßig für Preise nominiert. 2014 | |
erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, letztes Jahr wurde er mit dem | |
Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet. | |
Wie wird man vom Kritiker zum Übersetzer? Und ist der „Schwierige“ noch | |
schwierig? Wir treffen uns in Berlin und statten einer gerade in der | |
Ausstellung „The Female Gaze“ gezeigten Arbeit seiner Lebensgefährtin Elisa | |
Duca, mit der er seit zehn Jahren unter dem Label bösediva auch eine | |
künstlerische Arbeitsbeziehung führt, einen Besuch ab. Im Zentrum der | |
Installation in Haut- und Rosétönen stehen „Longevity Peachbuns“, mit | |
Lotusmarmelade gefüllte Dampfnudeln. | |
Duca und Detje stießen während einer gemeinsamen Künstlerresidenz in Taiwan | |
auf diverse Peachbun-förmige Antistressbälle und Cremedosen. Diese hat | |
Duca mit Perlonstrümpfen, Spitzenwäsche, tropfender Slimemasse und | |
pinkfarbenen Klebestreifen zu einem zarten Gespinst verbunden, einer | |
Beschwörung pfirsichflaumiger Backen und deren Konservierung für ewige | |
Jugend. | |
## Offenbarung auf LSD | |
Draußen, im schattigen Garten hinter der Galerie, noch ein Video auf dem | |
Tablet: Elisa Duca knüpft kleine Obstnetze an ein großes, quer durch eine | |
Galerie gespanntes Netz, das sich immer mehr füllt mit Bezügen zu Werken in | |
seiner Umgebung. „Im Grunde“, sagt Robin Detje, „mache ich nichts anderes. | |
Ich setze mich in Beziehung zu einem Buch oder einer Theateraufführung oder | |
den Reaktionen der Öffentlichkeit – und versuche, das passende | |
Spannungsverhältnis zu finden.“ Spannung also, ob als Übersetzer, Autor, | |
Kritiker, Performer oder bildender Kunstpartner. „Ich langweile mich | |
einfach schnell“, sagt Detje. Gleich liegt auch die Latte fürs Interview | |
ein Stückchen höher. | |
Über vieles hat Robin Detje, geboren 1964, im Laufe der Jahre ohnehin in | |
Essays und Texten freimütig Auskunft gegeben; künftige Biografinnen können | |
sich freuen. Etwa sein Aufwachsen im „noch nicht gefestigten | |
Nachkriegsmittelstand: Beamte, Angestellte, Hausfrauen. Häuser mit Garten | |
in der Vorstadt, Kriegstraumata, Buchclub.“ | |
Sein Vater ist noch zur See gefahren, wurde dann aber Beamter an der | |
Seefahrtschule Lübeck. Der Sohn kann die kühnere Karte spielen, | |
Künstlertum, Rebellion, Selbstverwirklichung. Und er macht keine halben | |
Sachen, geht nach dem Abitur für eine – „solide!“ – Ausbildung an eine | |
Schule für Bewegungstheater und Commedia Dell’Arte nach Kalifornien. Die | |
Ausbildung dauert ein Jahr und ist so prägend wie der LSD-Trip, den der | |
Schauspielschüler auf einer Busfahrt über den Highway One erlebt: | |
„Plötzlich konnte ich mich und die Welt von allen Seiten sehen.“ | |
Zurück in Deutschland, fängt er an zu studieren und zu schreiben. Er | |
landet kurz auf der Otto-Falckenberg-Schule in München, der Suhrkamp-Verlag | |
veröffentlicht ihn. Vor allem aber lernt er Benjamin Henrichs kennen, den | |
damaligen Theaterkritiker der Zeit mit einem ungewöhnlich literarischen | |
Verständnis von Kritik. Er holt Detje in die Feuilletonredaktion der | |
Wochenzeitung. | |
## Wenn Detje übersetzt, hasst er die Autoren | |
Später wechselt Detje zur Berliner Zeitung, zur Süddeutschen, plant er | |
sogar ein eigenes Zeitschriftenprojekt, Abstand, das an der Finanzierung | |
scheitert. „Immer wieder hatte ich das Glück solcher Mentorschaft, die mich | |
hoch einsteigen ließ“, erzählt Detje, „erst mit Henrichs und dann noch mal | |
mit der damaligen Chefin des Berlin Verlags Elisabeth Ruge, die mir mit | |
Kiran Desai und Gary Shteyngart aus dem Stand zwei Spitzentitel zum | |
Übersetzen gab.“ | |
Kann er beim Übersetzen den inneren Kritiker abschalten? „Solange ich | |
übersetze, hasse ich die Autoren aus vollem Herzen. Aber sobald ich fertig | |
bin, liebe ich sie wieder.“ Bei Joshua Cohen ist das sofort | |
nachvollziehbar. Cohens hyperverschachtelter Roman „Buch der Zahlen“ | |
thematisiert das Schreiben im digitalen Zeitalter – oder, auf einer | |
konventionelleren Ebene, einen krisengeschüttelten Autor namens Joshua | |
Cohen, der von einem stinkreichen kalifornischen Software-Mogul gleichen | |
Namens beauftragt wird, seine Autobiografie zu verfassen. | |
Das Werk strotzt nur so vor Worterfindungen, Sprachspielen, parallel | |
montierten Textsorten. Darüber hinaus ist Cohen ein Fan von seitenweise | |
durchgestrichenen Sätzen, Einschüben mithilfe unterschiedlicher | |
Parenthesen. Große, dabei aber ernsthaft nach Totalität strebende | |
Angeberprosa, der Detje mit Disziplin („jeden Tag drei bis fünf Seiten“) | |
und Erfindungsreichtum zu adäquater deutscher Form verholfen hat: Eine | |
Pressefrau, die nicht nur spricht, sondern „pe-errrt“, „untiefe | |
Templatitüden“, „eloxierte Coolness“, solche funkelnden, Wortfelder | |
zusammenzwirbelnden Formulierungen sprenkeln jede Seite. | |
## Wie auf Zehenspitzen | |
So präzise er auch im Detail arbeitet, geht es beim Übersetzen doch um den | |
Sound, den Robin Detje intuitiv erspürt und nicht analytisch oder | |
literaturwissenschaftlich abzuleiten versucht. Also prüft er, indem er nur | |
die ersten 20, 30 Seiten eines Buches liest, ob sich eine Resonanz | |
einstellt – „auf keinen Fall lese ich erst das ganze, sonst nehme ich mir | |
den Arbeitsantrieb!“ | |
Tatsächlich kann Detje auch zum behutsam Tastenden werden, wie man der | |
Übersetzung von Brit Bennetts gerade erschienenem, schmerzhaft | |
melancholischem Debüt „Die Mütter“ anmerkt. „Wie auf Zehenspitzen“, s… | |
er, habe er sich durch die Erzählung der 1990 in Südkalifornien geborenen | |
Autorin bewegt, bemüht, das Unbehauene ihrer Prosa nicht vorschnell zu | |
glätten. Was ihm unbedingt gelungen ist: Die Verletzlichkeit von Bennetts | |
familiär belasteten Protagonistinnen einer Black Community, die alles | |
anders machen wollen als ihre Eltern und doch Wiederholungszwängen | |
erliegen, spiegelt sich in jeder Zeile von Detjes flüssig-brüchiger | |
Übertragung. | |
Vom Übersetzen (gut) leben zu können, ist harte Arbeit. Nach den letzten | |
Großprojekten musste Detje sich drei Wochen nach Kreta abseilen. Aber so | |
richtig durchgehalten hat er das Ausruhen nicht: Zeitungslektüre und ein | |
Knossos-Besuch inspirierten ihn zwischendurch zu einem feministischen Essay | |
für Zeit-Online. Als Essayist hat er außerdem mehrfach den Wechsel an der | |
Volksbühne kommentiert, vielleicht auch aus einer Art vatermörderischen | |
Überidentifizierung mit Chris Dercon heraus. | |
## Schwäche als Privileg | |
Frank Castorf nämlich, dessen bislang einzige, unautorisierte und nach wie | |
vor so erhellend wie spaßig zu lesende Biografie (leider vergriffen: | |
„Castorf. Provokation aus Prinzip“, Berlin 2002) Detje geschrieben hat, | |
holt ihn 2007 als Dramaturg an die Volksbühne. „Der Intendant saß ganz | |
unten im dunkelsten Schacht einer tiefen, weit verzweigten Schaffenskrise“, | |
schreibt er zehn Jahre später in einem hyperbolischen Abschiedstext von der | |
alten Volksbühne, in dem nur noch Stalin-Biografien gewälzt werden und alle | |
Mitarbeiter tränenüberströmt zur Arbeit kommen. Nach drei Monaten schmiss | |
der neue Dramaturg damals hin und entschuldigt sich: „Schwäche ist ja das | |
Privileg von Menschen in unheroischen Zeiten.“ | |
Diese „Schwäche“ verteidigt Robin Detje in seinen Essays, die mitunter die | |
wilde Form von Wutausbrüchen annehmen und doch für das Neue und Helle, für | |
Emanzipation und Idiosynkrasien eintreten, vehement – vielleicht auch gegen | |
Dämonen aus heroischeren Tagen, die gelegentlich in der Gegenwart | |
vorbeischauen und mit Wiederkehr drohen. Ein anarchischer Witz steckt in | |
dieser Vehemenz, aber auch, wie er selber lachend feststellt, einige | |
autoritäre Gesten. | |
Ein Widerspruch? „Wenn ich schon austeile, versuche ich wenigstens, nicht | |
nur hausväterlich zu vermitteln, sondern mich auch mit nackter Brust | |
angreifbar zu machen.“ Das Treffen in der Galerie am Berliner Lützowplatz | |
hat übrigens nur verhältnismäßig leichte 45 Minuten gedauert. Sehr schnell | |
und auf den Punkt ist Robin Detje nämlich außerdem. | |
19 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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Kunst Berlin | |
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