# taz.de -- Fußball in der VW-Stadt: Was wird aus Wolfsburg? | |
> Die Männer vom VfL spielen in der Relegation gegen den Abstieg. Die | |
> Frauen hingegen könnten das Triple gewinnen. Was das bedeutet? Eine | |
> Erkundung. | |
Bild: Spieler vom VfL Wolfsburg stehen nach dem Relegations-Spiel auf dem Platz… | |
Der Wolfsburger an sich ist „scheußlich“. Hockt immer zu Hause. Das | |
Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt völlig. Überall nur VW. „Ohne Käfer wü… | |
Wolfsburg veröden.“ Zur Geisterstadt werden. So stand es vor genau 50 | |
Jahren im Stern, wie man in einer Ausstellung des Fotografen Robert Lebeck | |
im Kunstmuseum lesen kann. Ach so, und in der neuen Stripbar am Bahnhof | |
musste man 1968 eine holländische Stripperin entlassen, weil sie auf der | |
Bühne mit Banane arbeitete. „Das war für den Wolfsburger einfach zu viel“, | |
wird der Geschäftsführer zitiert. | |
Die vielfältigsten Vorurteile gegen Wolfsburg gibt es also schon immer, die | |
Untergangsprophetien auch. Seit Jahren mokieren sich moralisch sensible | |
Menschen, weil Hitler die Gründung der Stadt 1937 per Führerbefehl | |
anordnete, der ICE zweimal durchgefahren ist und die Frau eines | |
Fußballprofis sich einst angeblich weigerte, nach Wolfsburg zu ziehen, weil | |
ihr das zu piefig schien. Die Anhänger des VfL Wolfsburg werden von normal | |
reaktionären Traditionalisten als minderwertig eingestuft, anderswo sei es | |
„echte Liebe“, hier aber nur Plastik und Halblebigkeit. | |
Ganz und gar nicht widerlegbar ist allerdings, dass der VfL Wolfsburg in | |
den letzten Jahren unternehmerisch viel falsch gemacht haben muss, weshalb | |
man nun zum zweiten Mal in Folge in der Relegation gegen den Abstieg in die | |
Zweite Liga spielt. Am Pfingstmontag muss man beim Zweitligadritten | |
Holstein Kiel ein glückliches 3:1 aus dem Hinspiel von Donnerstag | |
verteidigen. | |
Währenddessen könnten die Frauen des VfL das sogenannte Triple gewinnen. | |
Bundesligameister sind sie bereits, am Samstag stehen sie in Köln im | |
DFB-Pokalfinale, am kommenden Donnerstag in Kiew im Finale der Champions | |
League gegen Titelverteidiger Olympique Lyon. Weshalb unlängst auch einer | |
den Männern zuschrie, man solle doch statt ihrer besser die Frauen antreten | |
lassen. | |
## Epochenumbruch im internationalen Frauenfußball | |
Das klingt erst mal gut, aber es ist als Beleidigung der Männer gemeint und | |
damit letztlich auch der Frauen. Es bringt in der Regel nicht weiter, die | |
beiden Sportarten und Wirtschaftszweige Männerfußball und Frauenfußball zu | |
vergleichen. Letztlich sind es zwei Welten, weshalb weder Gehälter noch die | |
Bedingungen für Erfolg zu übertragen sind. Aber interessant am VfL ist | |
schon, dass es sich bei den Männern um nacheiferndes Epigonentum mit | |
bescheidenem Erfolg handelt, während die Frauen Avantgarde auf | |
allerhöchstem Niveau darstellen. | |
Heißt: Die Männer sollten dahin, wo die ganz Großen sind. Die Frauen sind | |
da, wo die ganz Großen hinwollen. Das Champions-League-Finale ist schon das | |
vierte für den VfL Wolfsburg in sechs Jahren. Im internationalen | |
Frauenfußball vollzieht sich mutmaßlich gerade ein Epochenumbruch: Globale | |
Unternehmen wie Manchester City, Chelsea, Paris St. Germain, FC Barcelona | |
und nun auch Manchester United investieren nebenbei in die Nische, die | |
große Zeit der reinen Frauenclubs wie 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam | |
geht zu Ende. | |
An einem lauschigen Spätfrühlingstag sitzt Ralf Kellermann auf der Tribüne | |
des AOK-Stadions, unmittelbar hinter der VW-Arena. Kellermann, 49, war bis | |
letzten Sommer in Personalunion Trainer und Sportlicher Leiter, nun ist er | |
nur noch Letzteres. De facto der Chef vom Ganzen. Er stammt aus Duisburg, | |
war mal Zweitligatorwart, trägt gepflegten Dreitagebart. Leute, die sich | |
auskennen, sagen, das Geheimnis dieses Wolfsburger Erfolgs können man in | |
einem Wort zusammenfassen: Kellermann. | |
## Besuch beim Training | |
Am Vormittag haben die „Profis“ in dem kleinen Stadion vor etwa 20 Leuten | |
trainiert. Jetzt sind 1.500 Leute da, gute, entspannte Stimmung, ein | |
bisschen wie bei Minor League Baseball in den USA. Das ganze Fußballgelände | |
wirkt wie der Campus einer amerikanischen Eliteuni, nur Wasserski haben sie | |
selbst dort drüben nicht. | |
Auch der Fußball des VfL ist sehenswert. Direktes Kurzpassspiel in hohem | |
Tempo und mit Ballhärte. Gegen den Ball wird gepresst, bis der Arzt kommt. | |
Mit dem Ball geht es zack, zack, zack. Zumindest eine Halbzeit lang. So wie | |
in dieser Halbzeit haben wir viele Spiele gemacht, sagt Kellermann. | |
Er hat den Stil vorgegeben, als Antwort auf die auch bei den Frauen um sich | |
greifende Fixierung auf das Räume verengende Gegen-den-Ball. Er hat die | |
Spielerinnen dafür gesucht, in Deutschland, in Skandinavien, in Polen, | |
zuletzt auch in Portugal. Die Konkurrenz sagt gern, dass er halt auch mit | |
dem Geld wedeln könne, aber das ist es nicht oder nicht allein. | |
Erstens war es ein weiter Weg. Zweitens haben hochklassige Fußballerinnen | |
höchste Ziele, und wenn Kellermann eine besonders Hochklassige in Stockholm | |
trifft und sie ihm sagt, was sie so alles erreichen will, dann kann er | |
inzwischen antworten: Bei uns kannst du das schaffen. Was der | |
leistungsfördernden Identifikation im Spitzenfußball dient, ist nicht die | |
Stadt, ist nicht die Region, sind nicht die Fans. Es ist die Überzeugung, | |
mit einem Team und dessen Fußballstil Ziele erreichen zu können. „Wir sind | |
eine Truppe, die sich komplett mit dem identifiziert, was wir machen“, sagt | |
er. | |
## Als „Profis“ gelten normativ die Männer | |
Das Wolfsburg der Frauen ist also ein völlig anderes Wolfsburg als das der | |
Männer. Es ist eines, das einen exzellenten Ruf hat, das strahlt. So sehr, | |
dass man zum jetzigen Zeitpunkt gegen London, Paris, Barcelona | |
konkurrenzfähig ist. Anders gesagt: Das Problem des in Wolfsburg | |
unglücklichen Nationalspielers Julian Draxler war nicht der „Vapiano“ und | |
das angebliche Fehlen kulinarischer Alternativen. | |
Was Kellermann aber auf keinen Fall will: den Männern Ratschläge geben oder | |
sich so anhören: „Wir zittern mit, was auf der anderen Seite des Kanals | |
passiert“, sagt er. „Andere Seite“, das sagt er, weil die Frauen nicht | |
neben der Arena trainieren, sondern bescheiden am Elsterweg, da ist das | |
alte VfL-Stadion. | |
Weil es aber zwei Welten sind, kann auch ein Champions-League-Sieg hier | |
einen etwaigen Abstieg dort nicht annähernd kompensieren. Die Fußballfrauen | |
sind nice to have, aber emotional und identitär gespielt wird in der | |
VW-Arena. Auch wenn sie auf der Tribüne während des Frauenspiels von den | |
„Profis“ sprechen, dann sind das normativ die Männer. Isso. | |
Dirk Borth ist in Wolfsburg aufgewachsen und geht seit 1983 zum VfL, da war | |
man in der Oberliga, und es kamen mehrheitlich Rentner. Heute ist Borth, | |
47, Chefredakteur der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung, kurz WAZ, einer von | |
zwei Lokalzeitungen. Man residiert in der Porschestraße, gegenüber dem | |
Rathaus, in „Downtown Wolfsburg“, wie der kurzzeitige VfL-Spieler Stefan | |
Effenberg sagen würde. | |
## Das neue Wolfsburg | |
Mit dem damals zufälligen Aufstieg 1997 sei ein neues, junges Publikum zum | |
VfL gekommen, sagt Borth. Plastik? „Für die ist das normale Liebe und | |
totale Identifikation.“ Ein bisschen wie in Freiburg, als Volker Finke kam | |
und der SC durchstartete. Millennials oder in den 90ern Geborene kennen es | |
nicht anders, für die war Wolfsburg immer in der Bundesliga. Für Borth ist | |
der VfL ein Teil des „neuen Wolfsburg“, das in den ersten Jahren des neuen | |
Jahrhunderts entstand. | |
Der damalige VW-Imperator Ferdinand Piëch hatte sich selbst die Frage | |
gestellt: Hat Wolfsburg überhaupt eine Zukunft für Volkswagen? Was | |
gleichbedeutend mit der Frage war: Hat Wolfsburg eine Zukunft? Seine | |
Antwort war: Ja. Also, muss die Lebensqualität auch so hoch sein, dass man | |
in der Freizeit oder zum Einkaufen nicht mehr flieht oder gleich anderswo | |
in Deutschland lebt. | |
Und dann wurde die Stadt upgedatet, mit Autostadt, Museen, riesigem | |
Einkaufszentrum und einem neuen Fußballstadion für einen Club, der Teil | |
dieses Updates wurde. „Junge Leute identifizieren sich total mit dieser | |
Stadt“, sagt Borth, „das merken wir einfach.“ Wollen mal nicht übertreib… | |
sagen Zugezogene, aber man könne hier wirklich gut leben. | |
In der Tourismusforschung kriegen sie auf die Frage, was Leute mit | |
Wolfsburg verbinden, die Antwort: 1. VW. 2. VfL. Der Fußballclub, obwohl | |
hundertprozentige VW-Tochter, wird gerade auch von den Wolfsburgern als | |
etwas Eigenes empfunden. Vielleicht braucht es das in einer Stadt, in der | |
alles VW ist und selbst alle Stadträte der Grünen Diesel- und Benzinautos | |
bauen. | |
## Alles orientierte sich an Martin Winterkorn | |
Insofern trifft es sich schlecht, dass das Öffentlichwerden des | |
VW-Abgasbetrugs mit Dieselfahrzeugen und der Beginn des VfL-Niedergangs | |
zeitlich zusammenfallen, in die zweite Jahreshälfte 2015. Es ist nicht so, | |
dass es große Fußballstrategien gäbe, die von VW kommen, aber VW ist ein | |
sehr hierarchisch organisiertes Unternehmen. Alles orientierte sich am | |
Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. | |
Heute wird Winterkorn wegen Verschwörung zum Betrug per Haftbefehl gesucht. | |
Als er wackelte und dann stürzte, kam die VW-Welt durcheinander, jeder | |
musste sehen, wo er selbst blieb, keiner konnte sagen, was wer für den VfL | |
wollen würde. Allofs weg, García Sanz weg, am Ende blieben ein | |
Steuerexperte und ein Jurist. Es ging abwärts. Das ist eine Erklärung, die | |
in Wolfsburg kursiert. | |
2015 markiert auch das Ende der „Lebensversicherung“. So nannte man es, | |
wenn jemand bei VW unterkam. Gutes Geld, sicherer Job, keine Fragen offen. | |
Heute leben sie auch in Wolfsburg mit der Ahnung, dass es unschön zu Ende | |
gehen kann. Und verdrängen es auch wieder, so gut es geht. | |
So gesehen wäre ein Abstieg des VfL in dem Jahr, in dem Wolfsburg 80 Jahre | |
alt wird, ein kaum zu ignorierendes Menetekel. Geht es in Kiel schief, | |
dann ist das, als würde an der Wand der Autostadt nicht Werbung für das | |
nächste schöne Konzert projiziert, sondern ein hässlicher Satz: Die | |
erstklassigen Jahre sind vorbei. | |
18 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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