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# taz.de -- Gewalt gegen linke Politiker: Die sächsischen Vertriebenen
> Sie wurden von Neonazis gejagt. Man hat ihnen das Auto angezündet. Bis
> linke sächsische Politiker nicht mehr konnten. Sie sind weggezogen.
Bild: Weg aus Sachsen
Es gibt ein paar Leute in Freital, die gerne auf Jagd gehen. Sie hängen an
der Tankstelle ab oder in Kneipen und beobachten die Straße. Sobald jemand
auftaucht, der links aussieht oder wie ein Ausländer, werden sie
aufmerksam.
Die Leute, die gerne jagen, haben eine Chatgruppe für solche Momente. Sie
schicken dann eine Nachricht los. Manchmal sind Gleichgesinnte in der Nähe.
Sie treffen sich, verfolgen die Menschen, schreien sie an, manchmal
schlagen sie zu. Es trifft dunkelhäutige Menschen, Stadträte oder linke
Jugendliche. Hinterher schicken die Jäger Erfolgsmeldungen in den Chat. So
erzählte es ein anonymer Zeuge nach taz-Informationen der Dresdener
Polizei.
Wer sich regelmäßig mit Lokalpolitikern aus Ostdeutschland trifft,
empfindet irgendwann Erstaunen. Warum geben Menschen nicht auf, obwohl sie
täglich bedroht und beschimpft werden? Wie können sie jahrelang Tür an Tür
mit Menschen wohnen, die ihnen den Tod wünschen?
Vier Politiker aus Sachsen, die jahrelang von der rechten Szene
drangsaliert wurden, haben nach taz-Informationen in den vergangenen
Monaten ihr Amt niedergelegt und ihre Heimatorte verlassen.
Eine Recherche bei den Opferberatungsstellen Deutschlands hat ergeben:
Solche Fälle sind immer noch relativ selten. Allerdings gehen Berater davon
aus, dass sie oft nicht davon erfahren, weil sich die Menschen dafür
schämen.
Zwei der Lokalpolitiker aus Sachsen, die fortgezogen sind, wurden in den
vergangenen Jahren von der taz begleitet. Sie waren auch bereit, sich an
ihren neuen Wohnorten besuchen zu lassen. Die anderen beiden haben auf
Anfragen nicht reagiert.
## Fall I: Michael Richter
Michael Richter ist in seinem neuen Auto zum Treffen gekommen. Er ist ein
bisschen stolz, als er es zeigt, denn bis zum Schluss haben seine Verfolger
in Freital nicht herausgefunden, wo er den Wagen damals geparkt hat.
Womöglich hat ihm das das Leben gerettet.
Es ist ein warmer Frühlingstag, die Luft ist weich, es riecht nach Wasser
vom nahen See. Richter sitzt in einem Café und trinkt schwarzen Tee. Im
hintersten Eck, neben der Toilette, damit nicht jeder gleich hört, was er
da erzählt.
Wo das Treffen genau stattfindet, soll geheim bleiben, darum bittet
Richter. Auch wenn jetzt viele hundert Kilometer zwischen ihm und den
Freitaler Terroristen liegen – die rechte Szene ist gut vernetzt. Er will
nicht, dass sie gleich wieder wissen, wo er wohnt. „Südliches Bayern“, sagt
er. Es ist schön hier, eine Urlaubsregion. Richter ist jetzt arbeitslos,
deshalb geht er oft wandern. Viele Menschen, mit denen er losziehen könnte,
kennt er jedoch nicht. Manchmal besuchen ihn Freunde aus Freital.
Die Jagd auf Michael Richter begann im März 2015. Damals fanden die ersten
Antiasyldemonstrationen in Freital statt, einer Kreisstadt südwestlich von
Dresden. Richter war dort Stadtrat für die Linkspartei und organisierte den
Gegenprotest. Kurze Zeit später erhielt er Morddrohungen. „Diese feige
Ratte, steinigt ihn“, schrieb ein Freitaler aus der rechten Szene bei
Facebook.
Kurz nach Pfingsten hatte jemand Michael Richters Wahlplakate in der Stadt
abgerissen und vor dem Büro der Linkspartei abgelegt.
Lief Richter in diesen Tagen durch Freital, hängten sich manchmal Menschen
aus vorbeifahrenden Autos und pöbelten ihn an. Er kenne diese Menschen
nicht, gab er später bei der Polizei an.
Michael Richter war damals viel unterwegs. Er fuhr auch zu Demonstrationen.
Ein VW Golf, grün, mit dem Kennzeichen FTL-OB 112. Ein Witz, sagt Michael
Richter. Schließlich war er als Stadtrat die Feuerwehr für den
Oberbürgermeister – er half aus, wenn es brannte.
Die Menschen aus Freital, die gerne auf Jagd gingen, begannen Richter zu
verfolgen. Sie liefen ihm hinterher, fotografierten ihn und sein Auto. Das
war im Mai und im Juni 2015.
Im Juli 2015 trafen sie sich in Freital vor dem Rewe-Supermarkt, um einen
Anschlag auf Richters Auto zu planen. Man könne die Seitenscheibe mit einem
Baseballschläger zertrümmern und dann einen tschechischen Böller und einen
Rauchtopf hineinwerfen, sagte einer. „Freital soll brennen“, schrieben sie
später im Chat. Sie verabredeten sich zweimal, brachen die Aktion aber
wieder ab, weil der Fluchtweg unklar war.
Am 26. Juli 2015 kam Michael Richter von einer Reise zurück. Er stellte
sein Auto gegen 17 Uhr auf dem Parkplatz vor seinem Haus ab. Er zog sich in
seine Wohnung zurück und legte sich einige Stunden später schlafen.
Um Viertel vor eins erwachte er, weil er draußen einen Knall hörte. Er ging
zum Badezimmerfenster und sah, wie aus seinem Auto eine schwarze Wolke
aufstieg. Er lief die Treppe hinunter und rief die Polizei. Der Nachbar von
Michael Richter fotografierte das zerstörte Auto aus seinem Fenster und
schickte die Fotos per Facebook an diejenigen, die den Anschlag begangen
hatten. Sie hätten ihn darum gebeten, sagte er später der Polizei. „Geile
Sache, nun ist die Sau Fußgänger“, antwortete einer.
Der Fall landete auf dem Stapel Akten einer überforderten Staatsanwältin in
Dresden, die keine Verbindung zu den anderen Anschlägen in Freital erkennen
konnte. Die Täter blieben frei.
Zwei Wochen später wurde der Briefkasten von Michael Richter mit Bauschaum
zugeklebt. „Richter, wir kriegen dich …“, stand auf einem Aufkleber, den
jemand danebengeklebt hatte.
Michael Richter änderte seine Gewohnheiten. Er hatte ein neues Auto, mit
dem er zur Arbeit fuhr. Aber er ging jeden Tag zu einer anderen Zeit aus
dem Haus und nahm immer eine andere Route. Am Wochenende verließ er
Freital, so oft es ging. Sein Zuhause war kein Zuhause mehr.
Auch ins Parteibüro der Linkspartei ging er kaum noch. Denn auch dort wurde
regelmäßig eingebrochen; immer wieder wurde die Scheibe eingeschlagen oder
gesprengt. Nach einem solchen Angriff hing dort eine „To-do-Liste“ mit
Politikern aus Freital. Richters Name stand ganz oben, dahinter hatte
jemand mit schwarzem Edding drei Häckchen gemalt.
Aus der Stadt, aus der Verwaltung erhielt er kaum Rückhalt. Der
Oberbürgermeister leugnete, dass Freital ein Problem mit der rechten Szene
habe. Ein Kollege im Stadtrat war bei der NPD und mit den Tätern
befreundet. Es gab noch eine Handvoll Menschen, die Richter unterstützten,
aber sie zogen sich immer mehr zurück. Denn auch sie wurden bedroht, sobald
sie sich öffentlich äußerten. Richter meldete keine Demonstrationen mehr
an.
Die Strategie der Rechtsradikalen war fast aufgegangen. Richter und seine
Unterstützer schwiegen jetzt oft, sie verschwanden aus der Öffentlichkeit.
Trafen sie sich doch mal zu Veranstaltungen, dann brauchten sie
Sicherheitspersonal. Vor den Türen versammelte sich oft eine Gruppe von
Pöblern und erwartete die Leute, die sich auf den Heimweg machten, mit
Gebrüll.
Im November 2015 wurden Mitglieder der Gruppe Freital festgenommen. Im
April 2016 folgte eine weitere Razzia durch die Spezialeinheit GSG 9. Der
Anschlag auf Richters Auto war Teil einer ganzen Serie, bis hin zu
versuchtem Mord an Flüchtlingen.
Es wurde ruhiger in der Großen Kreisstadt Freital. Aber viele, die an den
Taten beteiligt waren oder die der Gruppe geholfen hatten, leben immer noch
dort. Bis heute. Auch zwei derjenigen, die Richters Auto in die Luft
gesprengt haben.
Michael Richter bekam im März 2017 die Akte zu seinem Fall. Darin las er,
dass die Gruppe weitere Anschläge auf ihn geplant hatte. In einem Chat
sprachen die Mitglieder darüber, dass Richter beim nächsten Anschlag im
Auto sitzen solle. Sie planten, ihn zu töten oder zumindest schwer zu
verletzen. „Richter weg und das Problem 1 ist weg“, schrieb einer.
Sie verfolgten Michael Richter wieder. Machten Fotos von ihm. Einmal bei
einer Würdigung von Ehrenamtlichen, meistens aber auf der Straße. Sie
erfuhren, dass sein neues Auto in einer Tiefgarage stand, aber sie wussten
nicht, in welcher. Nach taz-Informationen diskutierten Mitglieder der
Gruppe darüber am Telefon und im Chat.
Richter ist Sozialpädagoge. Er kommt aus Nordrhein-Westfalen und ist für
die Arbeit nach Sachsen gezogen. Acht Jahre lang hat er in Freital gewohnt.
Anfangs hat es ihm dort gefallen, sagt er. Ende 2017 beschließt er, die
Stadt zu verlassen. Er findet eine neue Stelle in einer Klinik und zieht
nach Bayern.
Beim Treffen dort sagt er, dass er geblieben wäre, wenn die Verwaltung in
Freital anders reagiert hätte. Aber der Oberbürgermeister der CDU habe sich
nie klar gegen die rechte Szene ausgesprochen. Richter wirkt erschöpft, als
er darüber spricht. Die vergangenen Jahre haben an ihm gezehrt. Er freut
sich jetzt darauf, ein wenig Ruhe zu haben.
Er will erst einmal in Bayern bleiben, obwohl es mit seiner neuen Stelle
nicht geklappt hat. Nach einigen Monaten haben sie sich einvernehmlich
getrennt. Richter sieht sich jetzt „als Privatier, das klingt besser als
arbeitslos“. Aber er will auch wieder politisch aktiv werden und für die
Linkspartei in Bayern arbeiten.
Im März 2018 wurden die Mitglieder der Gruppe Freital zu langen Haftstrafen
verurteilt. Kurz nach dem Urteil wurden weitere Razzien durchgeführt. Nicht
nur in Freital, sondern auch in Niedersachsen und Bayern leben weitere
Unterstützer.
Eine Wohnung, die bei den Razzien durchsucht wurde, liegt im südlichen
Bayern. Nicht weit weg von Richters neuem Wohnort.
## Fall II: Mario Müller
Mario Müller hat lange überlegt, ob er noch einmal öffentlich über seine
Erlebnisse reden möchte. Immerhin ist er ja auch deshalb umgezogen, um
endlich ein friedlicheres Leben führen zu können. Tritt er wieder in
Erscheinung, könnte es sein, dass es mit dem Frieden schnell vorbei ist.
Deshalb spricht er hier unter Pseudonym. Da er aus einer kleinen Gemeinde
kommt und dort einer der wenigen war, die sich öffentlich gegen die rechte
Szene ausgesprochen haben, wird auch der Name dieser Gemeinde nicht
genannt.
Zum Treffen in einer Dresdner Eisdiele kommt er mit federnden Schritten. Er
bestellt sich ein großes Softeis und spricht dann erst mal eine Weile
darüber, wie gut es schmeckt. Kein Vergleich zum letzten Interview: Da
hatte er sich gerade in seiner Hütte im Wald verschanzt und davon erzählt,
dass er Sicherungsmaßnahmen gegen Eindringlinge ergriffen hat.
Mario Müller ist heute SPD-Politiker, aber er war lange bei der
Linkspartei. Seit Jahrzehnten hat er sich im antifaschistischen Umfeld in
Sachsen engagiert, er hat die Szene beobachtet und Demonstrationen
organisiert. Fast genauso lange haben ihn Rechtsradikale auf ihrer Liste
und versuchen ihn einzuschüchtern.
Mario Müller wurde in Dresden geboren, 2001 zog er zusammen mit seinem
Bruder in eine kleine Gemeinde, die etwa eine halbe Stunde entfernt liegt,
weil dort seine Großeltern lebten. Ab 2008 wohnte er in einem kleinen
Holzhaus im Wald.
Dieses Holzhaus brannte 2012 ab, mit fast allem, was er besaß. Es war
Brandstiftung, sagte die Polizei. Müller war in dieser Zeit Anmelder von
Antifa-Demos in der Region. Die Täter wurden nie gefunden.
Im Jahr 2014 wurde er im Dunkeln auf dem Weg zu seinem Auto
zusammengeschlagen, wieder nachdem er eine Reihe von Demonstrationen
angemeldet hatte. Auch hier wurden die Täter nie gefasst.
„Wir haben rechtsfreie Räume“, sagt Müller. „Man kann sich gar nicht
vorstellen, was in der Provinz abgeht. Es dauert manchmal sechzig Minuten,
bis die Polizei da ist. Die Rechten verschaffen sich dann gegenseitig
Alibis.“
Müller fuhr jetzt manchmal im Kreisverkehr mehrere Runden, um zu sehen, ob
er verfolgt wird. Er meldete keine Demos mehr an. „Das soll mal jemand
anderes machen.“
Im Jahr 2016 machte eine rechte Rockergruppe in seiner Gemeinde
überregional Schlagzeilen. Müller war Gemeinderat und einer der wenigen
Politiker aus dem Ort, die die Vorgänge öffentlich verurteilten. Er sprach
mit Zeitungen, im Radio, er trat im Fernsehen auf. Die Stimmung im Ort nahm
er als immer bedrohlicher wahr. „Am Tag der Abrechnung wirst du brennen, du
roter Hund“, schrieb einer auf Facebook.
Inzwischen lag eine Trillerpfeife neben Müllers Telefon. Immer, wenn ein
Pöbler anrief, pfiff Müller so lange in den Hörer, bis der Anrufer
auflegte. „Man darf den Humor auch nicht verlieren“, sagte er damals.
Müller hielt sich kaum noch im Ort auf, er kam nur noch zum Schlafen nach
Hause. Zum Einkaufen fuhr er in umliegende Gemeinden. Jedes Mal, bevor er
in sein Auto stieg, prüfte er die Radmuttern an den Reifen. Sie waren immer
wieder locker.
„Das macht einen irgendwo auch paranoid“, sagt er. „Es ist eine sehr
belastende Situation, weil man keinerlei Möglichkeiten hat. Als
Staatsanwalt oder hochrangiger Politiker wird man vom Landeskriminalamt
geschützt. Als Gemeindevertreter überhaupt nicht.“ Müller machte seine
Arbeit ehrenamtlich, 15 Euro bekam er an Aufwandsentschädigung pro Sitzung.
Er fragte sich immer öfter, warum er sich das noch antat.
Anfang 2017 stürmten die rechten Rocker den Gemeinderat. „Ihr macht das eh
nicht mehr lange“, riefen sie. „Wir wissen, wo ihr seid.“ Gemeint war auch
Müller.
Als Mitte 2017 ein Mann sein Grundstück betrat und Fotos machte, beschloss
Müller zu gehen. Er fürchtete, dass noch mal jemand Feuer legen könnte. Er
verkaufte das Haus und zog in die Großstadt. Nach Dresden, dorthin, wo er
aufgewachsen ist.
Letztlich waren seine Jahre in dieser Gemeinde verlorene Jahre, sagt er.
Jetzt lebt er wieder im Viertel seiner Kindheit. Sein Großvater wohnt bei
ihm im Haus, sein Bruder zwei Häuser weiter. „Wir können aufeinander
achtgeben. Und ich kenne hier die Schleichwege und kann auch mal schnell
verschwinden.“
Auch er will weiter politisch aktiv sein, vielleicht demnächst für den
Landtag kandidieren. Ab und zu ist er noch in der Gemeinde und klebt
Plakate. Aber er fühlt sich jedes Mal unwohl und ist froh, wenn er wieder
abreisen kann.
„Die schweigende Mehrheit war das Hauptproblem“, sagt er. „Es wäre ganz
anders gewesen, wenn jemand zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: Schade,
dass Sie gehen. Aber ich hatte das Gefühl, dass mich dort alle nur so
schnell wie möglich loswerden wollten.“
Die Bürgermeisterin, die sich an seiner Seite gegen die rechtsradikale
Szene ausgesprochen hatte, ist dort nun allein.
24 May 2018
## AUTOREN
Steffi Unsleber
## TAGS
Schwerpunkt Neonazis
Sachsen
Gruppe Freital
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Rechtsextremismus
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