# taz.de -- Protokolle zu Sensibler Sprache: „Das ist nur deine Projektion“ | |
> Kaey und Brighton Power sind trans*. Hier erzählen sie, welche Sätze sie | |
> verletzen und wie man mit Unsicherheit umgeht. | |
Bild: „Männlich und weiblich sind nur Kategorien, die sich der Mensch ausged… | |
## Kaey, 38 Jahre, wohnt in Berlin. Sie findet es ignorant und übergriffig, | |
wenn jemand sie als Mann bezeichnet | |
Was ich grundsätzlich am verletzendsten finde, ist die Formulierung „wurde | |
als Mann geboren“ oder „im Körper eines Mannes geboren“. Ich bin in mein… | |
Körper geboren. Und wenn ich eine Frau bin, dann ist das offensichtlich der | |
Penis einer Frau. Punkt. Männlich und weiblich sind ja nur Kategorien, die | |
sich der Mensch ausgedacht hat. Eigentlich wäre es doch das Leichteste, | |
einfach etwas anderes zu erfinden. | |
Außerdem triggert es mich total, wenn mich jemand als so männlich liest, | |
dass er all das, was an mir nicht männlich ist, ignoriert. Ich habe eine | |
tiefe Stimme und bin keine trans* Person, die ein hundertprozentiges | |
Passing hat, die also von Leuten immer sofort als Frau gelesen wird, und | |
trotzdem bin ich der Meinung, dass in meinem Erscheinungsbild relativ klar | |
ist, dass ich mich zumindest weiblich fühle. Wenn dann jemand „er“ sagt | |
oder mich als „Mann“ betitelt, sitze ich manchmal da und denke: Bist du | |
eigentlich blind? Das ist wirklich hochgradig ignorant und übergriffig. | |
Wenn man unsicher ist, sollte man einfach fragen. Zum Beispiel: „Ich will | |
dir nicht zu nahe treten, aber wie soll ich dich ansprechen?“ Eigentlich | |
wäre es sowieso viel besser, wenn wir das bei jedem machen würden. Ich | |
glaube, viele Leute befürchten, dass sie dadurch ihr Gegenüber infrage | |
stellen. Dabei ist es viel verletzender, einfach etwas anzunehmen. Das ist | |
ja nur deine Projektion. Du nimmst den kleinsten männlichen Anteil von mir | |
und legst den über alles drüber. Das ist eine Beleidigung. | |
Meinen Namen habe ich nicht ändern lassen. Seit 15 Jahren steht Kaey als | |
Künstlername in meinem Ausweis, und alle Leute in meinem engen Umfeld | |
nennen mich so. Meiner Mutter rutscht auch ab und zu mein Geburtsname raus, | |
aber der ist eh ziemlich neutral, es ist also nicht so, als würde sie mich | |
die ganze Zeit Thomas oder Horst nennen. Ich finde es auch schwierig, von | |
seinen Eltern zu verlangen, das im Kopf immer so umzuklicken. Aber wenn sie | |
mit jemandem telefoniert und von mir als ihrem Sohn spricht, dann sage ich | |
schon: Ich erwarte nicht, dass du sagst, ich bin deine Tochter, aber sag | |
doch einfach: „Mein Kind ist zu Besuch.“ | |
## „Das Sternchen ist mir wichtig“ | |
Ich bezeichne mich als trans* Frau. Das Sternchen ist mir wichtig, um klar | |
zu machen, dass ich nicht unbedingt in deine Definition von | |
Geschlechtlichkeit passe. Aber das handhabt jeder anders. Ich bin | |
Redakteurin bei der Siegessäule in Berlin, dem größten queeren Magazin | |
Europas. Dort schreiben wir etwa „trans Frau“ ohne Sternchen, weil das ja | |
schon eine geschlechtliche Richtung vorgibt, aber „trans* Person“ mit | |
Sternchen, weil das offener ist. | |
Außerdem sage ich nicht transsexuell, sondern transidentisch, weil das für | |
mich etwas mit Identität zu tun hat, nicht mit Sexualität. Meistens benutze | |
ich allerdings einfach den Begriff trans*. Dass man unbedingt eine | |
festgefahrene Definition braucht, finde ich problematisch. Ich bin ja auch | |
eine Dragqueen zum Beispiel, das ist für viele Leute oftmals ein | |
Widerspruch. | |
Aber ich bin auch eine Frau, ich bin auch ein Ossi – in mich passen eben | |
viele Identitäten. Am Ende geht es immer nur um Schubladen, in die wir uns | |
reinquetschen müssen. Klar, das brauchen wir alle, um Dinge zu verstehen | |
und sie einzuordnen, aber ich finde es wichtig, dass man offen ist, eine | |
Schublade auch mal zu wechseln. Begriffe, die ich vor 20 Jahren für mich | |
benutzt habe, benutze ich etwa heute nicht mehr. | |
Ich habe Drag gemacht, bevor ich mich als trans* verstanden habe, und bin | |
in dieser Szene sozialisiert worden. Als ich mit 17 mein Coming-out hatte | |
und mich in einen Jungen verliebt habe, habe ich mich selbst erst mal als | |
femininen Mann definiert. Irgendwann ist mir klar geworden: Oh, die Frau, | |
die ich auf der Bühne bin, das bin ja ich! Manche Leute kritisieren, wenn | |
eine trans* Frau Drag macht. Aber die Frage ist doch: Geht es bei Drag nur | |
darum, auf der Bühne das Geschlecht zu wechseln, oder darum, | |
Geschlechterrollen zu persiflieren? Denn Letzteres kann ich schließlich | |
auch machen, wenn ich mich dieser Geschlechterrolle zugehörig fühle. | |
In der Performance-Szene herrscht eine eigene Sprache. Ich nenne meine | |
Kolleg*innen auch mal „blöde Kack-Transe“, aber das geht nur untereinander. | |
Wenn ich über die Straße gehe und jemand schreit mir „Transe“ hinterher u… | |
meint das als Beleidigung, dann ist es auch eine Beleidigung. Ich kann mir | |
das Wort aber auch aneignen, wenn ich akzeptiere, dass ich trans* bin und | |
somit eine Transe. Dann drehe ich mich um und sage: „Ja, was? Ich bin eine | |
Transe. Und nun? Was willst du als nächstes?“ Das ist nichts, wofür ich | |
mich schämen muss. Deshalb ist mein Umgang damit, zu sagen: Nimm dir doch | |
lieber dieses Wort, benutze es für dich und trage es stolz. | |
Protokoll: Franziska Seyboldt | |
*** | |
## Brighton Power, 24 Jahre, wohnt in Ehingen, Schwäbische Alb. Ihm ist es | |
wichtig, dass sich die Leute bemühen | |
Gehst du aufs Damen- oder aufs Herrenklo?“, war für mich lange Zeit eine | |
der schlimmsten Fragen. Schlimm deshalb, weil mir diese Entscheidung, bevor | |
meine Brüste entfernt wurden, selbst auch schwergefallen ist. Jedes Mal. | |
Nehme ich die Tür oder die? Ich bin ein Mann, aber meine Brüste waren | |
eindeutig zu erkennen. Egal welche Toilette, ich wurde komisch angeschaut. | |
Jedes Mal hatte ich Angst, dass ich rausgeworfen werde. Es hat lange | |
gedauert, bis ich mich getraut habe, aufs Männerklo zu gehen. Das dann von | |
anderen unter die Nase gerieben zu bekommen, war schrecklich. | |
„Stehst du jetzt auf Frauen oder auf Männer?“, ist noch so eine Frage, | |
total unangebracht. Ich frage ja auch nicht jeden Menschen, auf wen er oder | |
sie steht. Die sexuelle Orientierung hat nichts mit Transsexualität zu tun. | |
Das Verletzendste aber, was je jemand zu mir gesagt hat, kam letztes Jahr | |
von einem Mitschüler aus der Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher: „Du | |
bist ja noch kein richtiger Mann.“ Ich weiß schon gar nicht mehr, in | |
welcher Situation er das gesagt hat, aber an den Satz kann ich mich sehr | |
gut erinnern. | |
Mit meinen Freunden habe ich aber großes Glück, sie haben toll reagiert, | |
als ich das erste Mal mit ihnen darüber gesprochen habe. Ich bin nicht | |
wirklich in der Trans-Community drin. Ich kenne zwei andere trans Männer, | |
mit denen ich regelmäßig Kontakt habe. Dass ich die zwei kenne, ist gut. | |
Aber mehr braucht es für mich nicht. Ich lebe einfach mein Leben. | |
Ich habe auch gar keine Zeit, jeden Tag fünf Stunden zu chatten und mich | |
mit anderen trans Frauen oder trans Männern zu vernetzen. Solche Treffen | |
gibt es in Großstädten, aber bei uns im Dorf nicht. Sprachlich bin ich da | |
auch nicht so drin, das ist mir nicht so wichtig. Ich weiß zum Beispiel gar | |
nicht, was dieses „Trans-Sternchen“ bedeutet. Ich will am liebsten als Mann | |
bezeichnet werden, ich bin ein Mann. Ansonsten ist trans Mann für mich auch | |
okay. Das Mindeste ist, dass jeder über mich mit dem männlichen Pronomen | |
spricht. Ich möchte einfach immer als „er“ bezeichnet werden. | |
## „Ich bin nicht der weibliche Name, ich bin der Mann“ | |
Dass manchmal Fehler passieren, ist auch klar, das kann ich verstehen. Wenn | |
du 18 Jahre lang deinen besten Freund mit einem bestimmten weiblichen Namen | |
angesprochen hast, dann ist das schwer abzustellen. Aber den Namen, den ich | |
bei der Geburt bekommen habe, will ich einfach nicht hören. Ich bin ja | |
nicht der weibliche Name, ich bin der Mann. Ich habe so dafür gearbeitet, | |
dass es so ist. | |
Ich bin in einem Heim aufgewachsen und habe es da lange niemandem erzählt. | |
Das erste Mal habe ich etwas gesagt, als ich 18 Jahre alt war. Da wurde ich | |
aber nicht ernst genommen. Die Betreuer im Heim dachten, das ist eine | |
Phase. Mit 21 war ich dann an dem Punkt, dass ich so nicht mehr weiterleben | |
wollte. Ich bin mit einem Kasten Bier zu meinem besten Freund und habe ihm | |
alles erzählt. Wir haben dann einen Psychologen gesucht, der sich damit | |
auskennt. | |
Der Psychologe hat mich direkt mit „Herr Power“ angesprochen, das hat so | |
gutgetan! Seit zweieinhalb Jahren habe ich jetzt meinen neuen Vornamen, | |
mein Umfeld hat das anerkannt. Ich stehe also da und habe das alles | |
geschafft … und wenn dann jemand den alten Namen sagt, das macht alles | |
kaputt. Mir ist es deshalb wichtig, dass sich jeder bemüht und das ernst | |
nimmt. Wenn das der Fall ist und trotzdem mal was Falsches rausrutscht, | |
dann kann ich aber auch mit ihm gemeinsam darüber lachen. | |
Nervig war immer, dass viele Leute, die ich kennengelernt habe, irgendwie | |
unsicher waren und sich nicht getraut haben, mich darauf anzusprechen. Das | |
habe ich aber immer ganz genau bemerkt. Dann habe ich das selbst | |
angesprochen und kurz zehn Minuten oder so alles erklärt. Es ging mir | |
darum, Unklarheiten zu beseitigen und dann einfach ein normales Gespräch zu | |
führen. | |
## „Keine intimen Gespräche nach zwei Minuten“ | |
Auf der anderen Seite: Ganz direkte Fragen von Menschen, die ich gerade mal | |
zwei Minuten kenne, sind auch nicht okay. Mit Leuten, die mir nahestehen, | |
rede ich sehr gern zum Beispiel über die Geschlechtsangleichung. Wenn es | |
aber der Kumpel einer Freundin ist, den ich eben auf einer Grillparty | |
kennengelernt habe, dann will ich nicht über so intime Sachen sprechen. | |
Die bürokratische Prozedur in Deutschland ist schlimm. Die | |
Personenstandsänderung ist wirklich ein riesiger Akt, auch mit den ganzen | |
psychologischen Gutachten, die man dafür braucht. Ich fand mich in der | |
Situation wieder, dass ich mit Testosteron angefangen hatte, aber noch der | |
weibliche Name im Pass stand. Da habe ich mich gefühlt wie ein | |
Zwischenmensch. Ich wusste gar nicht mehr, wie ich mich vorstellen sollte. | |
Da fehlen dir selbst die Worte. | |
Protokoll: Lisa Becke | |
18 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
Lisa Becke | |
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