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# taz.de -- Porträt Neuköllner Stadträtin Karin Korte: Die Schulanfängerin
> Karin Korte (SPD) ist die Neue im Neuköllner Schulamt. Der Bezirk ist
> spitze bei Schulschwänzern und Schulgewalt. Wie will die Schulstadträtin
> das ändern?
Bild: Karin Korte (SPD), seit März die neue Schulstadträtin in Neukölln
Karin Korte, die neue Bildungsstadträtin von Neukölln, steht in einem
Klassenraum in der Gropiusstadt, wo sie gerade ErstklässlerInnen aus den
„Michel“-Geschichten von Astrid Lindgren vorgelesen hat. Es ist die
alljährliche Lesewoche in der Grundschule am Campus Efeuweg. Vor ein paar
Tagen war schon der Bezirksbürgermeister zum Vorlesen da, an diesem
Donnerstagmorgen ist die Schulstadträtin dran, und Korte, die gelernte
Theaterpädagogin, hat sichtlich Spaß dabei: Die Geschichte, in der Michel
in die Suppenschüssel fällt, intoniert sie, Suppengeschlürf und -geschmatz
inklusive, beinahe zu einer Art szenischen Lesung. Die Kinder kriegt sie
damit mühelos, sie hören zu, bis zum Schluss.
Das war leicht, solche Termine kann Korte. Schulen, Sportvereine,
Altenheime, der Kontakt zu „den BürgerInnen“: Als Wahlkreisabgeordnete –
bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen 2016 hat die Sozialdemokratin ihren
Wahlkreis Gropiussstadt/Buckow-Nord direkt gewonnen – war genau das
schließlich ihr Job.
Der nächste Termin fällt Korte schwerer: Als die Kinder fröhlich lärmend
wieder zur Tür raus sind, wartet da noch die Zeitung. Korte zupft halb
scherzhaft, halb ernsthaft besorgt an ihrem lindgrünen Schal, das Lächeln
sitzt nicht mehr ganz so locker: „Passt das so?“ Die Erleichterung, als der
Fotograf dann endlich zufrieden ist mit den Aufnahmen für das taz-Porträt,
ist Korte anzumerken. „So“, sagt sie zur Reporterin, „und jetzt müssen w…
noch reden, ja?“
Korte ist nicht unbedingt eine, die spontan so richtig aufblüht, wenn man
sie vor die Kamera zerrt. Dabei gehört die öffentliche Bühne jetzt
notwendigerweise zu ihrem Jobprofil dazu: Schule und Neukölln, diese
Kombination gibt früher oder später immer Schlagzeilen. Gewaltmeldungen,
Schwänzerstatistiken, Schüler ohne Abschluss – Neukölln ist da überall
Spitze, oder zumindest vorne mit dabei in den berlinweiten Statistiken.
## Was hat Korte vor?
Das große ungelöste Problem der Chancenungleichheit im deutschen
Bildungswesen, in Neukölln kann man das alles wie unter einem Brennglas
beobachten. Und natürlich möchte man genau deshalb gerne wissen: Wer ist
die Neue im Neuköllner Schulamt? Was hat sie vor?
Vielleicht muss man zunächst fairerweise auch sagen: Die erste Reihe liegt
Korte lediglich noch nicht. Seit noch nicht einmal 100 Tagen, seit dem 1.
März, ist sie Schulstadträtin, davor saß Korte als eine von vielen im
Berliner Abgeordnetenhaus. Dort war sie zwar integrationspolitische
Sprecherin ihrer Fraktion, drängte sich aber, zumindest in der öffentlichen
Wahrnehmung, in diesem Amt nicht unbedingt nach vorn. Einige, eher wenige,
Reden im Parlament, in denen sie bessere Qualitätsstandards in
Flüchtlingsunterkünften anmahnt und die Forderung nach einer
obligatorischen Altersfeststellung bei jungen Geflüchteten kritisiert.
Wer Korte allerdings auf dem Schirm hatte, war ihre Parteigenossin, die
ehemalige Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey. Die fragte Korte, kurz
bevor sie selbst ihre Amtsstube im Neuköllner Rathaus gegen den
Chefinnensessel im Bundesfamilienministerium eintauschte, ob sie sich den
Job vorstellen könne – kurz zuvor war Kortes Vorgänger, betrunken mit
seinem Auto in der zweiten Reihe parkend, im Wortsinne aus dem Verkehr
gezogen worden.
## Präsenz in der Gropiusstadt
Man kann sich gut vorstellen, was die jetzige Familienministerin an Korte
denken ließ: Beides sind Politikerinnen, die wohl wirklich eine
Verbundenheit zu diesem Bezirk fühlen. Giffey ließ es sich nicht nehmen,
Ende April zur Demo anlässlich des Todestags von Burak Bektaş heim in den
alten Kiez zu kommen; Bektaş wurde vor sechs Jahren mutmaßlich von Neonazis
ermordet.
Korte wiederum hat hier, in der Gropiusstadt, die Präsenz, die ihr im
Abgeordnetenhaus abging: Sie ist die Ko-Leiterin des Gemeinschaftshauses
Gropiusstadt, einem Kulturzentrum mit einem ziemlich ambitionierten
Programm und einem großen Netzwerk im Kiez, das vor allem auch Kortes
Verdienst ist. Die Ko-Leitung behält sie weiterhin, trotz ihres neuen
Amtes.
Korte, die Anfang der 80er-Jahre aus Aachen nach Berlin kam, kennt den
Bezirk also gut, und zwar keineswegs nur den Süden – ein Umstand, der ihr
auch in ihrem neuen Job helfen dürfte. Sie hat zunächst lange Jahre im
Neuköllner Jugendamt gearbeitet, ab 2002 war sie vier Jahre lang die erste
Migrationsbeauftragte des Bezirks. Korte kann Türkisch, zumindest ein paar
Brocken, für ein bisschen Small Talk reicht es: „Das war schon oft ein
Türöffner“, sagt sie.
Korte kennt die Menschen in ihrem Bezirk, und sie kann mit ihren reden.
Aber kann sie auch Schulpolitik?
Korte spricht von Idealismus, von Zielen, die man sich im Schulamt bewahren
müsse, um sie dann pragmatisch umzusetzen. „Ein Gesamtbildungskonzept für
Neukölln“ schwebe ihr vor. Was heißt das? Sie will „vereinfachte
Zugangswege zu Ämtern“, eine bessere – sie verbessert sich: „ein noch
bessere“ – Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Schule.
## Wer macht was und wie vernetzt man das?
Überhaupt sei da noch zu viel Nebeneinander von Schule und Jugendarbeit:
Die Volkshochschule, die Bibliotheken, die Musikschule, alle müssten sich
mit ihren Projekten und Förderangeboten noch viel mehr zusammen tun,
Synergieeffekte nutzen.
Kurz: Was schon da ist, und wie man das vernetzt, darüber wolle sie sich
nun erst einmal ein Bild machen. Vom Fachkräftemangel, gerade auch in der
Schulsozialarbeit, wolle sie sich nicht ausbremsen lassen: „Zuerst muss die
Idee da sein, dann ergibt sich alles andere auch. So habe ich bisher immer
gearbeitet.“ Das klingt noch nicht so wahnsinnig konkret. Es klingt auch
so, als ob sie Angst hat, irgendetwas falsches in den Lautsprecher zu
sagen, der ihr jetzt hingehalten wird.
Also doch noch mal ganz konkret ein paar Punkte nachgefragt: Was hält sie
vom Neutralitätsgesetz? Das Kopftuchverbot an Berliner Schulen beschäftigte
erst kürzlich wieder das Arbeitsgericht, wo eine muslimische Lehrerin
erfolglos klagte, das Tuch in der Grundschule tragen zu dürfen. Ja,
natürlich sei sie eine Befürworterin des Neutralitätsgesetzes, sagt Korte.
„Gerade in einem Bezirk wie Neukölln fände ich das Kopftuch in Schulen
fatal.“ Man habe da eine klare Trennung von Staat und Religion, „und das
sollte auch so bleiben.“
Nächste Baustelle: Islamischer Antisemitismus, zuletzt redeten im März
wieder alle darüber, als eine jüdischstämmige Grundschülerin gemobbt wurde.
Nach all den Analysen und Diskussionen bleibt wie stets die Frage: Was tun?
Korte sagt, die Gespräche in den Schulen hätten da für sie erst angefangen.
Sie habe aber bereits festgestellt: „Es ist nicht unbedingt so: Viel hilft
viel.“
Sie erzählt, dass sie neulich an einer Schule war, „die hatten alle
möglichen Hilfe und Projekte aber trotzdem noch Probleme mit Schulgewalt.
Da muss man hin und fragen: Was von dem, das wir schon haben, können wir
denn besser aufeinander abstimmen?“ Dann spricht sie wieder von ihrer Idee
des „Gesamtbildungskonzepts“.
Und dann wird es zum Schluss doch noch mal konkret. Korte erzählt von der
Nichtschwimmerquote, die man in den dritten Klassen in den vergangenen
Jahren von 42 auf 22 Prozent senken konnte, dank eines gemeinsamen Projekts
mit den Bäderbetrieben. Sie sagt: „Es wäre gut, wenn wir die
Schulschwänzerzahlen in Neukölln ebenso reduzieren könnten. Aber da liegt
noch harte Arbeit vor uns.“ Und dass sie sich weigere zu akzeptieren, dass
das Elternhaus schon in der Grundschule über den Schulabschluss
entscheidet.
Man weiß nicht, ob da die Idealistin aus ihr spricht. In jedem Fall ist das
mal eine Ansage.
14 May 2018
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Schule
Neukölln
Neutralitätsgesetz
Neukölln
Berlin-Neukölln
Schwänzen
Jugendgewalt
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