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# taz.de -- Parlamentswahl im Irak: Kompromisse und Korruption
> Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi sieht sich bereits vor der Wahl
> als Sieger, Bagdad ist friedlich wie lange nicht. Aber viele Probleme
> sind ungelöst.
Bild: Ein Wahlplakat des amtierenden Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi in Ba…
Bagdad taz | Gemächlich schlendern Frauen an den Auslagen der Geschäfte in
der Einkaufstraße von Adhamiya vorbei. Lichterketten lassen die
Abu-Hanifa-Moschee, das Heiligtum in dem historischen sunnitischen Viertel
von Bagdad, erstrahlen. In den Straßenrestaurants gegenüber sitzen Familien
auf bunten Plastikstühlen bei Kebab und Reis.
Plötzlich taucht ein Politiker auf. Begleitet von einem Scheich in weißem
arabischen Männerkleid, jungen Männern in Anzügen und einer geschminkten
Frau in schwarzer Robe, geht er durch die Reihen. Ein Fotograf macht
Bilder. Kurz blicken ein paar Gäste auf, dann wenden sie sich wieder ihrem
Essen zu.
Es ist Wahlkampf im Irak. Am 12. Mai finden Parlamentswahlen statt, die
vierten seit dem Sturz des ehemaligen Despoten Saddam Hussein durch die USA
vor fünfzehn Jahren. Doch das Interesse der Wähler ist gering. Das zeigt
die Szenerie rund eine halbe Stunde später, als Yunis Mahmud auftaucht der
ehemalige Kapitän der irakischen Fußballnationalmannschaft. Im Nu wird
Mahmud, der sein Team vor elf Jahren zum Sieg in der Asienmeisterschaft
führte, von Fans belagert.
In einem der Restaurants muss der 37-Jährige für das Publikum Fleischstücke
auf einen Metallstab aufspießen. „Ihn würde ich sofort wählen“, sagt
Kleinhändler Abu Mohammed über den Fußballstar. „Er hat uns Iraker
zusammengebracht.“ Heftiges Nicken unter den Umstehenden. Der Fußballstar
steht freilich nicht zur Wahl. Doch Abu Mohammed drückt damit aus, was
vielen Wählern und Wählerinnen unter den Nägeln brennt: die tiefe Spaltung
des Landes, vor allem der Dauerkonflikt zwischen den Schiiten und Sunniten.
Sie haben genug davon, wollen fünfzehn Jahre nach dem Sturz von Saddam und
dem Blutvergießen, das mehr als 100.000 Tote gefordert hat, endlich nach
vorne blicken.
## Der IS ist weitgehend besiegt
Geeint nach vorne blicken – genau das verspricht Iraks Ministerpräsident
Haider al-Abadi, der laut Umfragen in Führung liegt. Der Schiit kam vor
vier Jahren, kurz nachdem die Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS)
rund ein Drittel des Landes überrannt hatten, als Kompromisskandidat ins
Amt. Nach [1][zähem Kampf], vor allem einer langen und blutigen Schlacht um
die Millionenstadt Mossul, sind [2][die IS-Extremisten heute weitgehend
besiegt].
Entgegen seinen Drohungen gelingt es dem IS nicht, den aktuellen Wahlkampf
mit Anschlägen zu überziehen. Und das will etwas heißen im Irak, [3][wo
Selbstmord- und Autobombenanschläge] in der Vergangenheit zur tödlichen
Begleitmusik von Wahlkämpfen gehörten. Nicht nur in Adhamiya, auch in
anderen Vierteln Bagdads ist die Sicherheitslage so gut wie nie seit dem
Einmarsch der US-Amerikaner im März 2003. Bis spät in die Nacht gehen die
Hauptstädter in den neuen Malls shoppen oder in Restaurants essen.
Damit will Abadi punkten – Nasr (Sieg) nennt sich das von ihm angeführte
Bündnis. Im Zentrum seines Wahlkampfs steht der Sieg über den Terrorismus.
Darüber hinaus präsentiert er sich als Einer des Landes. Mit den Kurden im
Norden des Iraks, denen er nach ihrem umstrittenen
Unabhängigkeitsreferendum vergangenes Jahr die Grenzen aufzeigte, hat er
einen Kompromiss erzielt: Auf seiner Liste treten außer Schiiten auch
Sunniten und Kurden an. Als erster Regierungschef in der Geschichte des
Irak macht der 66-jährige Elektroingenieur, der fast die Hälfte seines
Lebens im Exil in Großbritannien verbrachte, Wahlkampf im ganzen Land.
Dabei reiste er in den letzten Wochen in die ehemalige IS-Hochburg
Falludscha, nach Kirkuk und in die kurdische Regionalhauptstadt Erbil.
Und doch: Trotz all dieser Fortschritte ist wenig Begeisterung für
[4][Abadi] zu spüren. Das liegt nicht nur daran, dass es dem Regierungschef
an Charisma fehlt, wie selbst seine schiitischen Anhänger beklagen. Sein
größtes Handicap ist, dass er weiterhin Mitglied in der von seinem
Amtsvorgänger und heutigem Vizepräsidenten Nuri al-Maliki angeführten
schiitisch-fundamentalistischen Dawa-Partei ist. Zum einstigen Siegeszug
des IS hatte nicht zuletzt die Politik Malikis beigetragen, der mit seinem
harten proschiitischen Kurs viele Sunniten in die Arme der Fanatiker
getrieben hatte.
## „Es gibt keine Gerechtigkeit“
Zudem schadet Abadi, dass er vor Monaten mit einem Bündnis mit der Liste
der schiitischen Milizen liebäugelte. Diese sind durch ihre führende Rolle
im Kampf gegen den IS heute im Irak so stark wie nie. Zwar zollen ihnen
dafür auch Sunniten Respekt, aber sie haben nicht vergessen, dass einige
der wichtigsten Milizen in der Vergangenheit Jagd auf die sunnitische
Minderheit machten. Umgekehrt wiegt für viele Schiiten schwer, dass
Sunniten ihr Heil im Widerstand suchten. So sehr sich beide Seiten
wünschen, diese konfliktgeladene Vergangenheit hinter sich zu lassen,
trauen sie Abadi nicht zu, dass er dafür der richtige Mann ist.
All das spiegelt sich auch im Viertel Adhamiya wiederr. „Sicher, Abadi ist
besser als Maliki“, sagt Omer Ali, der in der Einkaufstraße einen Laden für
Frauenkleidung betreibt. „Aber ihn wählen? Nie und nimmer.“ Warum nicht?
„Die sunnitischen Gebiete sind zerstört. Leute wie wir kriegen keine Jobs.“
Er selbst habe einen Bachelor in Verwaltung und einen Magister in Jura,
doch auf seine Bewerbungen habe er nicht einmal eine Antwort erhalten. „Es
gibt keine Gerechtigkeit“, sagt er. Und überhaupt werde sich mit der Wahl
nichts ändern. Er werde nicht wählen.
Mit dieser Haltung ist Omer Ali nicht allein. Neben Konfessionalismus und
Anstellung beim Staat ist die Korruption für viele Wähler in der Hauptstadt
das wichtigste Thema, egal ob Schiiten oder Sunniten.
Nicht nur Abadi, auch seine Konkurrenten tragen dieser Stimmung Rechnung.
Selbst die mit Iran verbündeten schiitischen Milizen, die im Kampf gegen
den IS eine führende Rolle spielten, haben Sunniten aufgestellt und machen
Abadi jetzt den Rang streitig. Darüber hinaus finden sich unter den mehr
als 7.000 Kandidaten und Kandidatinnen, die sich landesweit auf Dutzenden
von Listen um die 329 Sitze im Parlament bewerben, viele unbekannte
Gesichter. All dies trifft jedoch auf viel Skepsis bei den Wählern. „Egal,
wen wir wählen, das Führungspersonal bleibt das gleiche“, sagt Omer Ali.
Der Irak ist eines der wenigen arabischen Länder, in denen es demokratische
Wahlen gibt. Doch aufgrund der in der Verfassung festgelegten Bestimmungen
wird Abadi Koalitionspartner brauchen, selbst wenn er die Wahl gewinnt –
wie es die Umfragen vorhersehen. Mit den Regelungen wollten die
Verfassungsväter eine „Diktatur der Mehrheit“ verhindern und sicherstellen,
dass Schiiten, Sunniten und Kurden einen Konsens finden. Zwar ist es ihnen
trotz aller Krisen immer wieder gelungen, sich zusammenzuraufen. Aber das
wird in Zukunft nicht reichen. Um das Land vorwärts zu bringen, wie es sich
viele Wähler wünschen, müssen die Politiker zu echten Kompromissen bereit
sein.
Wirklich geschafft, die Iraker zusammenzuschweißen, hat bisher nur der
ehemalige Fußballprofi Yunis Mahmud. Nach ein paar Selfies mit seinen Fans
in Adhamiya entschwindet er in das Dunkel der Nacht.
12 May 2018
## LINKS
[1] /Rakka-markiert-einen-Wendepunkt/!5456084
[2] /Irak-nach-der-IS-Herrschaft/!5499009
[3] /Doppelanschlag-in-Bagdad/!5477098
[4] /Konflikt-im-Irak/!5012514
## AUTOREN
Inga Rogg
## TAGS
Irak
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