| # taz.de -- Farbenforscher über Sitzbezüge: Als säße man auf Würmern | |
| > Das Design der Sitzbezüge in Bussen und Bahnen ist ein eigenes Universum | |
| > mit vielen Blautönen. Der Farbexperte Axel Venn erklärt, was besser | |
| > werden muss. | |
| Bild: Das sei zu grobschlächtig, sagt der Farbexperte zu den Sitzbezügen in d… | |
| taz am wochenende: Herr Venn, angenommen, ein Verkehrsunternehmen will | |
| seine U-Bahn-Sitze neu beziehen und bittet Sie um eine Farbberatung. Was | |
| sagen Sie? | |
| Axel Venn: Wir Menschen mögen die Farben am liebsten, die wir selbst | |
| tragen. Also die verschiedenen Töne unserer Haut, von Haaren, Lippen und | |
| Augen – die sehen wir von unserer Geburt an, und die Zuneigung dazu werden | |
| wir nicht mehr los. Das sind warme, weiche Töne von Creme über Beige bis | |
| zum erdigen Umbra. Was gibt es Schöneres als ein sanftes Erröten? Auch | |
| Hausfassaden haben oft diese Farben. | |
| Aber wenn man Menschen nach ihrer Lieblingsfarbe fragt … | |
| … sagen 35 bis 40 Prozent: Blau. Das soll dann aber nie kühl sein, sondern | |
| beispielsweise Himmelblau. Nun verordnet Blau zwar Orientierung, Logik und | |
| Vernunft, jedoch kaum freundliche Zuwendung. Wir möchten auch nichts Blaues | |
| essen. Grün ist besser, das ist die Farbe der Pflanzenwelt. | |
| Die meisten Sitze im öffentlichen Verkehr sind hierzulande blau – die der | |
| Deutschen Bahn nämlich. | |
| Schwierig. Es zeigt: Das sind keine Kümmerer, sondern unachtsame | |
| Transporteure. Sie denken zu wenig darüber nach, ihren Kunden die Bahnfahrt | |
| zu einem Kurzurlaub zu machen. Die Grundphilosophie sollte sein, dass der | |
| Mensch im Mittelpunkt der Gestaltung steht und nicht nur Technik und | |
| Funktionalität. Gestaltung sollte Empathie ausdrücken. Die Kunden sollten | |
| sich gut aufgehoben fühlen und gar nicht aussteigen wollen. | |
| Worauf sollte man bei der Musterung der Sitzbezüge achten? | |
| Es sollte möglichst unauffällig sein, so wie ein Faux-Uni: ein Muster, das | |
| so kleinteilig ist, dass es auf den ersten Blick einfarbig wirkt. Das | |
| ergibt eine sehr natürliche Optik, so wie ein Wald- oder Gartenboden. Ein | |
| solches Muster bekämpft uns nicht, sondern es lädt ein. Und verbirgt | |
| außerdem Schmutz. | |
| In den neunziger Jahren wurden Muster mit Absicht unübersichtlich | |
| gestaltet, damit man Schmierereien mit Markern nicht so sieht. | |
| Die Frage ist eher: Wie verhindere ich, dass etwas angegriffen wird? Wenn | |
| die Botschaft von Farben und Muster angenehm ist, dann passiert das | |
| seltener. Was schon kaputt aussieht, das achtet man nicht. Dass die Form | |
| der Funktion folgen soll, ist zwar gut. Aber wenn die Gestaltung eines | |
| Sitzes vom Sitzen abhält, dann erfüllt es die Funktion auch nicht. | |
| Welche Rolle spielen hier Kontraste? | |
| Ein guter Kontrast ist wie die Beziehung von Mann und Frau. Etwas Härteres | |
| passt gut mit etwas Weichem und Sanftem zusammen. Ein Grau mit einem | |
| gedeckten Orangebraun. Oder ein Grün mit der Komplementärfarbe, also einem | |
| gedämpften Rosarot. Generell sind Komplementärfarben, also die Farben, die | |
| sich im Farbkreis gegenüberliegen, gut. Sie sind sich zwar nicht ganz | |
| einig, aber trotzdem Komplizen, die zusammen eine Geschichte erzählen | |
| wollen. | |
| Also immer schön mit Kontrasten arbeiten? | |
| Zu stark dürfen sie wiederum auch nicht sein. Der stärkste ist der von | |
| Schwarz und Weiß. Sich in Räumen aus diesen Farben aufzuhalten, ist | |
| schrecklich. Und alles, was im Farbkreis nebeneinandersteht, ist | |
| langweilig. Rot und Orange zum Beispiel. Das Ziel muss sein, anzuregen, | |
| aber nicht aufzuregen. | |
| Womit wir bei der Harmonie wären. | |
| Harmonie herzustellen, ist kompliziert. Sie besitzt eine Sprache, die auf | |
| Verständigung zwischen Produkt und Nutzer aus ist. Etwas ist dann | |
| harmonisch oder schön, wenn ein Kollektiv das so sieht. Für ältere Menschen | |
| ist Harmonie wichtiger als für junge. Die wollen sich nicht mehr aufregen, | |
| sondern besänftigt werden. Ich glaube, Gestalter und Entscheider denken zu | |
| wenig darüber nach, ob ihr Werk auch gemocht wird. Doch dann wird es auch | |
| geschont. | |
| Welche Bedeutung hat dafür das Material eines Sitzbezugs? | |
| Auf den älteren Sitzen in der Berliner U-Bahn sitzt man wie auf Wachstuch. | |
| Das eignet sich förmlich dazu, daran herum zu schneiden. Besser ist ein | |
| kräftiger Veloursstoff mit angerauter oder weicher Oberfläche. Der bringt | |
| ein natürliches Gefühl auf der Haut und darauf gibt man besser acht. Wir | |
| tragen schließlich auch Stoffe am eigenen Körper. | |
| 3 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Mayer | |
| ## TAGS | |
| ÖPNV | |
| Bus | |
| Bahn | |
| Emissionen | |
| BVG | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| VCD-Chef über Nulltarif im Nahverkehr: „Die Idee klingt verlockend“ | |
| So einfach geht es nicht, sagt Phillip Kosok vom Verkehrsclub VCD. Die | |
| Städte brauchen Geld vom Bund, um Überfüllung in Bussen und Bahnen zu | |
| vermeiden. | |
| Pressesprecherin über BVG-Sneaker: „Sie müssen den Schuh tragen“ | |
| Die Berliner Verkehrsbetriebe bringen Schuhe mit einem integrierten | |
| Jahresticket raus. Was das soll, erklärt Pressesprecherin Petra Reetz. | |
| die wahrheit: Goethe, die Ente und ich | |
| Am 20. August anno 2010 reiste ich nach Weimar. Zum 200. Mal jährte sich um | |
| dieses Datum die Erstveröffentlichung der „Farbenlehre“ Goethes, … |