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# taz.de -- die wahrheit: Goethe, die Ente und ich
> Am 20. August anno 2010 reiste ich nach Weimar. Zum 200. Mal jährte sich
> um dieses Datum die Erstveröffentlichung der „Farbenlehre“ Goethes, …
Bild: Das sei zu grobschlächtig, sagt der Farbexperte zu den Sitzbezügen in d…
… die der Dichterfürst stets als sein naturwissenschaftliches Hauptwerk
ansah. Doch all das kam mir nicht in den Sinn. Ich war recht desolat, zumal
kurz zuvor ein Kollege verstorben war. So sollte die Reise nach Weimar
Abhilfe schaffen. Auch war ich von meiner Mutter in die Hauptstadt
deutscher Klassik bestellt worden.
Weimar lag recht freundlich, und wer nicht gerade den Begriff einer
lebhaften deutschen Stadt mitbringt, der wird angenehm überrascht sein über
den hinreichend ansehnlichen Ort. Pflichtschuldig besuchte ich Goethes Haus
am Frauenplan und die Ausstellung zur „Farbenlehre“, die ein arg putziges
Treiben war mit ihren Exponaten und Experimenten, die aus heutiger Sicht
vollkommener Mumpitz sind.
Am Abend schließlich traf ich meine Mutter, die aus hier nicht näher zu
berichtenden familiären Gründen in Weimar weilte. Unsere Gesellschaft stieg
am „Plerderhatz“ ab, so hieß der Herderplatz nun auf den Straßenschildern.
Man hatte wegen einer törichten Werbemaßnahme die Namen der Plätze und
Straßen wie in einem Schüttelreim durcheinandergeworfen und täuschend echte
Folien den Schildern aufgeklebt, so dass nicht nur unbedarftere Gemüter
sich kaum mehr in Weimar zurechtfanden. Das also war moderne Kultur oder
jedenfalls das, was eine thüringische Kleinstadt darunter verstand.
Narrenwerk!
Zum Mahl kehrten wir in einem Lokal am Platze ein, dessen Namen wir an
dieser Stelle gnädig verschweigen. Als alter Freund der Ente schlug mein
Herz mir hoch bis zum Hals, als ich die Köstlichkeit auf der Menükarte
entdeckte, die ich sofort orderte. Doch was war das? Der Vogel, den die
mürrische Bedienung brachte, war durchaus paralysiert, zum Glück
unbefiedert lag die Ente als Gerippe da, als hätte sie den Hafer nicht mehr
verdauen können. Das halb zerstörte Ding war ungenießbar, innen roh und
blutig, außen an der Haut ohn jede Knusprigkeit, dafür verbrannt. Die
beigeordneten Klöße waren aus Beton gegossen und roh in der Kauftunke
ersäuft – und das in diesen Breiten, da die Thüringer sich ihrer Klees und
Knölla rühmen!
Wäre ich Goethe, ich hätte dieses Entenungeheuer zurückgewiesen und mich
bitterlich beklagt. So mümmelte ich still wenige Brocken in mich hinein und
dachte nach. Sollte dies Blendwerk des Teufels mir einen Spiegel vorhalten,
wie es vor 205 Jahren eine Ente in Helmstedt Goethe getan hatte? Wollte man
auch mir gestandenem Germanisten zu verstehen geben, dass das, was mir da
gezeigt wird, im Grunde ich selbst bin? Dass der Zustand, in dem sich dies
katastrophale Gericht befand, meinem eigenen Zustand glich?
Mit einem scheußlich scharfen Obstler spülte ich den üblen Geschmack und
alle Analogien herunter. Schnaps ist Schnaps, und Goethe ist Goethe. Ich
ließ die Rechnung kommen und lud meine Mutter ein. Als ich der verwunderten
Kellnerin das unerhört hohe Trinkgeld gab, überkam mich ein wohliges
Behagen.
27 Aug 2010
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
ÖPNV
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