# taz.de -- Haftsstrafen in Istanbul: „Cumhuriyet“-Journalisten verurteilt | |
> Mit dem Urteil steht das Erdoğan-Regime kurz vor seinem Ziel – der | |
> Abschaffung der Pressefreiheit in der Türkei. Doch noch besteht Hoffnung. | |
Bild: Noch gibt es sie – die kritische Zeitung Cumhuriyet. | |
ATHEN taz | Nach teils mehr als eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft, und | |
einem Prozess von über neun Monaten, wurden am Mittwochabend Urteile | |
verkündet. Von 17 angeklagten Mitarbeitern der linksliberalen Tageszeitung | |
[1][Cumhuriyet wurden 14 zu teils hohen Haftstrafen bis zu acht Jahren | |
verurteilt]. Darunter der Chefredakteur Murat Sabuncu, der Herausgeber der | |
Zeitung, Akın Atalay, und der bekannteste Reporter des Blatts, Ahmet Şık. | |
Drei wurden freigesprochen. Ein weiterer Mann, der nicht Mitarbeiter der | |
Zeitung ist, aber trotzdem in dem Prozess angeklagt wurde, erhielt wegen | |
verschiedener Tweets eine Strafe von zehn Jahren. | |
Bis auf den Buchhalter von Cumhuriyet, Emre İper, der wegen | |
„Terrorpropaganda“ verurteilt wurde, sprach das Gericht die übrigen 13 | |
Cumhuriyet-Leute der „Unterstützung von Terrorgruppen, ohne deren Mitglied | |
zu sein“ für schuldig. Die Anwälte haben in allen Fällen Berufung | |
eingelegt, sodass die Urteile noch nicht rechtskräftig sind und die | |
Angeklagten auf freiem Fuß bleiben. | |
Verurteilt wurden die Cumhuriyet-Leute wegen angeblicher Unterstützung von | |
wahlweise gleich drei „Terrororganisationen“. Die kurdische PKK, die | |
linksextremistische DHKP-C und die Gülen-Sekte, die nach Ansicht der | |
Regierung und der Justiz maßgeblich an dem Putsch gegen Präsident Erdoğan | |
im Juli 2016 beteiligt war. Bewiesen wurde diese angebliche Unterstützung | |
nicht, als Belege dienten dem Gericht lediglich Artikel und | |
Twitter-Mitteilungen. | |
## Abwegige Vorwürfe | |
Wie abwegig die Vorwürfe sind, zeigt sich insbesondere an Ahmet Şık. Wegen | |
eines kritischen Buchs über die Gülen-Sekte saß er 2011 schon ein Jahr im | |
Gefängnis – jetzt soll er die Gülen-Sekte unterstützen. Der Unterschied ist | |
schlicht der, dass die Regierung 2011 noch eng mit der Gülen-Bewegung | |
verbündet war, nun in ihr aber den größten Feind sieht. | |
Die harten Urteile gegen die Cumhuriyet-Leute haben weltweit scharfe Kritik | |
hervorgerufen. In Deutschland sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne | |
Grenzen, Christian Mihr, die Urteile seien ein Schlag gegen die | |
Pressefreiheit in der Türkei. | |
Der Deutsche Journalistenverband beklagte die „Willkürurteile der | |
türkischen Justiz“. Bei dem Prozess sei es nicht darum gegangen, einzelnen | |
Journalisten ein Fehlverhalten nachzuweisen, sondern man will die Zeitung | |
Cumhuriyet, eine der letzten kritischen und unabhängigen Zeitungen der | |
Türkei, mundtot machen. Der Journalismus selbst wird damit zum Verbrechen | |
gemacht. | |
## Ein Musterprozess | |
Der Chefredakteur Murat Sabuncu bestätigte im Anschluss an die | |
Urteilsverkündung noch am Mittwochabend diesen Eindruck. Gegenüber Kollegen | |
sagte er: „Die Strafe, die ich erhalten soll, richtet sich nicht gegen mich | |
als Person, sondern gegen die Pressefreiheit in der Türkei.“ Tatsächlich | |
wird der Prozess gegen Cumhuriyet in der türkischen Öffentlichkeit als der | |
Musterprozess überhaupt angesehen, an dem sich zeigt, wie es um die | |
Möglichkeiten eines kritischen Journalismus in der Türkei steht. | |
Zwar sagte der zu zweieinhalb Jahren verurteilte Kolumnist des Blatts, | |
Kadri Gürsel, die Zeitung werde ihre journalistische Arbeit fortsetzen und | |
sich nicht einschüchtern lassen, doch es ist fraglich, wie lange Cumhuriyet | |
durchhalten kann, falls die wichtigsten Leute nach einem abschließenden | |
Urteil in der höheren Instanz wirklich für Jahre ins Gefängnis müssen. | |
Cumhuriyet und zwei weitere kleinere linke Zeitungen sind die einzigen | |
Tageszeitungen, die die Regierung noch nicht unter ihre Kontrolle gebracht | |
hat. | |
Zuletzt wurde die gesamte Mediensparte des Doğan-Konzerns, darunter das | |
größte und wichtigste Blatt der Türkei, Hürriyet, von einem Erdoğan | |
nahestehenden Geschäftsmann aufgekauft. | |
26 Apr 2018 | |
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[1] /Cumhuriyet-Prozess-in-der-Tuerkei/!5501544 | |
## AUTOREN | |
Wolf Wittenfeld | |
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