# taz.de -- Ein Jahr nach dem BVB-Bus-Anschlag: Ein Verein sucht sich selbst | |
> Der Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus jährt sich zum ersten Mal. Für | |
> Borussia Dortmund geht es seitdem auf und ab – und die Stadt leidet mit. | |
Bild: Ruhig und besonnen verließen die Fans am 11. April 2017 das Stadion, nac… | |
Am Tag des Prozessbeginns Ende Dezember griff Pflichtverteidiger Carl W. | |
Heydenreich zu einem Winkelzug: „Keine Stadt in ganz Deutschland ist so | |
sehr mit ihrem Verein verwoben wie Dortmund“, sagte er. Er bedaure daher, | |
dass die Verhandlung am Dortmunder Landgericht stattfinde; dass die meisten | |
Prozessbeteiligten, die Schöffen beispielsweise, mit hoher | |
Wahrscheinlichkeit BVB-Fans und allein deshalb nicht objektiv seien. | |
Heydenreichs Mandant heißt Sergej W. – und soll vor genau einem Jahr einen | |
Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus verübt haben. | |
Richter Peter Windgätter schaute damals zu seiner Linken, dann zu seiner | |
Rechten, erkundigte sich, ob besonders feurige BVB-Fans unter den | |
Beteiligten seien und ob sie die Berichterstattung über den Fall verfolgt | |
hätten. Die Männer und Frauen schüttelten den Kopf oder zuckten mit den | |
Schultern. | |
Es war ein ungewöhnlicher Moment in einem ungewöhnlichen Prozess, der etwas | |
für die Stadt Dortmund sehr Gewöhnliches zeigte: Dortmund ist der BVB, und | |
der BVB ist Dortmund. Und wenn einer drei Sprengsätze am Mannschaftsbus des | |
BVB zündet, um daraus Gewinne an der Börse zu erzielen, dann trifft er | |
nicht nur die 28 Menschen im Bus, sondern auch die 600.000 | |
Einwohner*innen der Stadt. Beide, den Verein Borussia Dortmund wie auch | |
die Stadt, hat dieses Attentat verändert. | |
In Dortmund gibt es mit dem BVB verknüpfte Anlässe, die funktionieren wie | |
weltpolitische Großereignisse: In Dortmund heißt es: „Wo warst du, als der | |
BVB in den vier Minuten der Nachspielzeit durch Tore von Marco Reus und | |
Felipe Santana das Spiel gegen den FC Málaga drehte und ins Halbfinale der | |
Champions League einzog?“, „Wo warst du, als Robert Lewandowski in diesem | |
Halbfinale Real Madrid (!) praktisch im Alleingang plattmachte und damit | |
den Finaleinzug ebnete?“, „Wo warst du, als kurz vor diesem | |
Champions-League-Finale bekannt wurde, dass Mario Götze, das Herz und die | |
Seele der Mannschaft, zu Bayern München wechselt?“ | |
## Ein Band zwischen Verein und Stadt | |
In der Ära Klopp, in der man märchenhafte Erfolge wie zwei Meisterschaften | |
und einen Double-Sieg feierte, aber auch gramvolle Niederlagen erlebte, | |
wuchs ein enges Band zwischen dem Verein und der Stadt. Es sorgte dafür, | |
dass man jeden Angriff auf den Verein persönlich spürte. Als Klopp ging, | |
litt eine ganze Stadt. | |
Der sportliche Erfolg unter Klopps Nachfolger Thomas Tuchel blieb. Doch | |
nach dem Anschlag dann plötzlich das: offene Dispute zwischen Trainer und | |
Vereinsführung, ein Geschäftsführer, der die Mannschaft schon einen Tag | |
nach der durchlebten Todesangst wieder aufs Spielfeld schickt, ein Trainer, | |
der intern sagt, das sei schon in Ordnung, um sich dann vor der Presse als | |
angeschossenes Reh zu inszenieren. Und eine Stadt, die fragt: „Wo warst du, | |
als der BVB Ziel eines Anschlags wurde?“ | |
Mehr als 60.000 waren am 11. April 2017 bereits im Stadion, im | |
Signal-Iduna-Park, zu dem die BVB-Mannschaft eigentlich unterwegs war. Um | |
kurz vor 20 Uhr sickerten die ersten Nachrichten dorthin durch, die | |
Zuschauer starrten auf ihre Handys, saugten die Bilder auf: Der Bus mit dem | |
geliebten Logo, der am Straßenrand steht; die zerborstenen zwei | |
Fensterscheiben hinten, auf der rechten Seite; die durch die Explosion | |
zerstörte Hecke beim Hotel L’Arrivé, in dem sich die Mannschaft zuvor | |
aufgehalten hatte; die Metallstifte aus den Bomben, die sich in einige | |
Sitze gebohrt haben; die Spieler, unter ihnen Nuri Şahin und Marcel | |
Schmelzer, die schon seit ihrer Jugend für den BVB spielen, verängstigt, in | |
einem Pulk von Polizisten. | |
Und die Fans hörten, dass Abwehrspieler Marc Bartra und ein Polizist | |
verletzt wurden. Eine Woche darauf erfuhren sie, dass jemand die BVB-Aktie | |
zum Einsturz bringen wollte, um sich zu bereichern – versuchter Mord aus | |
Habgier. Kaum jemand in Dortmund wird diese Momente je vergessen. | |
## Ein nicht zu erklärendes Jahr | |
Dieses Jahr nach dem Anschlag wäre einfach zu erklären, wäre es irgendeiner | |
Logik gefolgt. Der Logik zum Beispiel, dass die BVB-Spieler traumatisiert | |
sind und deshalb oft so besch… Fußball spielen. | |
Doch das „Jahr danach“ war so durchwachsen, dass es keiner Analyse | |
standhält: Das Spiel am Tag nach dem Attentat verlor der BVB 2:3, schied | |
aus der Champions League aus. Gewann dafür aber rund sechs Wochen später | |
den DFB-Pokal. Thomas Tuchel wurde gefeuert, der Niederländer Peter Bosz | |
verpflichtet. | |
Der holte in den ersten sieben Spielen furiose 19 von 21 möglichen Punkten, | |
führte Dortmund an die Tabellenspitze, verlor dann nur noch, wurde | |
gefeuert. Peter Stöger vom 1. FC Köln wurde angeheuert, gewann jedes Spiel | |
in der Bundesliga, schied aber prompt aus der Europa League aus und verlor | |
erst kürzlich mal eben 6:0 gegen Bayern München. | |
Vielleicht zeigt gerade diese Unbeständigkeit beim BVB, dass es schlicht | |
keine Erklärungen gibt für menschliche Gefühle und wie diese sich auf die | |
sportliche Leistung oder auch jeden anderen Lebensbereich auswirken. | |
Vielleicht ist es an dem einen Tag ein Geruch, ein Geräusch, ein rasch vor | |
dem inneren Auge vorbeiziehendes Bild, das den ein oder anderen an den 11. | |
April 2017 erinnert. Vielleicht ist an einem anderen Tag alles wie | |
weggeblasen. | |
## Mehr Ware als Menschen | |
Vielleicht haben die Spieler auch mehr denn je realisiert, dass ihre | |
Wahnsinnsgehälter sie eben nicht nur zu Multimillionären machen, sondern | |
auch zu einer Art Ware, über die andere verfügen. Vielleicht hadern sie | |
gelegentlich mit ihrem Beruf oder ihrer Vereinsführung. Viele von ihnen | |
sagten mittlerweile vor Gericht als Zeugen aus, berichteten, wie sie in | |
Todesangst im Bus ausharrten, weil sie Panik vor dem hatten, was sie | |
draußen erwarten könnte. | |
Als Mittelfeldspieler Nuri Şahin am vergangenen Sonntag von einem Reporter | |
darauf angesprochen wurde, wie er dem Jahrestag des Anschlags entgegensehe, | |
fegte er dem Journalisten fast das Mikrofon aus der Hand, so schnell | |
bemühte er sich wegzukommen. „Sie wollen nichts sagen, kein Problem, kann | |
ich verstehen“, rief dieser ihm noch hinterher. | |
Immer öfter mischt sich auch in enttäuschte Spielanalysen der Fans | |
mittlerweile der Satz „Ja, wer weiß denn schon, ob das nicht auch noch mit | |
dem Anschlag zu tun hat?“, ausgepfiffen wurde die Mannschaft selbst nach | |
der blamablen Niederlage bei Bayern München nicht. Stattdessen hält die | |
Stadt zu ihr. Weil sie selbst die Folgen des Anschlags spürt – wie einen | |
Phantomschmerz. | |
11 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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