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# taz.de -- Prozessbeginn Anschlag auf BVB-Bus: Das Motiv war Aktienspekulation
> Sergej W. soll Sprengsätze am Bus des Vereins gezündet haben. Die
> Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord vor und fordert
> lebenslänglich.
Bild: Die Frage ist, ob Sergej W. tatsächlich töten wollte
Dortmund taz | Noch nie wurden ihm so viele Mikrofone ins Gesicht gehalten.
Schüchtern klammert sich Gerd Richter an seinem schwarz-gelben Schirm fest.
Ohne den Kopf zu bewegen, lässt er die Augen von links nach rechts wandern,
versucht zu erfassen, mit wem er da eigentlich spricht.
Richter, 65, ist Dortmunder und wollte „sein Gesicht sehen, um zu
ergründen, was in ihm vorgeht“. In ihm, Sergej W., dem Mann, der im April
dieses Jahres einen [1][Anschlag] auf den Mannschaftsbus von Borussia
Dortmund verübt haben soll. Am Donnerstag hat vor dem Landgericht in
Dortmund der Prozess gegen den 28-Jährigen begonnen, dem die
Staatsanwaltschaft 28-fachen versuchten Mord vorwirft – aus Habgier. „Dat
war’n Ding damals“, sagt Richter, das Ruhrpott-T statt des S, ‚damals‘ …
gesprochenem Doppel-M.
Richter findet, wer gegen den Verein ist, ist irgendwie auch gegen die
Stadt und die allermeisten ihrer 600.000 Einwohner. Dortmund ist der BVB,
und der BVB ist Dortmund. Am 11. April hatte er das Spiel in „der Kneipe
anna Ecke“ gucken wollen, doch dann waren ihm einige Bekannte mit der
unglaublichen Nachricht entgegengekommen: Das
Champions-League-Viertelfinale zwischen seinem BVB und dem AS Monaco ist
abgesagt. Um kurz vor 20 Uhr sickern schaurige Nachrichten durch: Drei
Sprengsätze sollen am BVB-Bus explodiert sein, als dieser sich auf dem Weg
zum Stadion befand. Zwei Personen, darunter Abwehrspieler Marc Bartra
sollen schwer verletzt sein, alle anderen unter Schock stehen. Das Spiel
wird abgesagt, die Polizei hält weitere Anschläge für wahrscheinlich.
Die Zuschauer starren auf ihre Handys, saugen die Bilder auf: Der Bus mit
dem geliebten Logo, der am Straßenrand steht; die zerborstenen zwei
Fensterscheiben hinten, auf der rechten Seite; die durch die Explosion
zerstörte Hecke beim Hotel L’Arrivé, in dem sich die Mannschaft zuvor
aufgehalten hatte; die Metallstifte aus den Bomben, die sich in einige
Sitze gebohrt haben; die Spieler, unter ihnen Nuri Şahin, Marcel Schmelzer,
die schon seit ihrer Jugend für den BVB spielen, verängstigt in einem Pulk
von Polizisten.
## Aktienspekulation als Motiv
Richter erinnert sich: „Unsern BVB, hab ich da gedacht, warum muss es
ausgerechnet unsern BVB treffen?“ Heute scheint die Antwort profan: Weil
der BVB als einziger börsennotierter Fußballverein in Deutschland für
Spekulationsgeschäfte infrage kam. Laut Anklageschrift soll Sergej W. auf
perfide Weise an der Börse spekuliert haben. Denn er soll in der Woche vor
dem Anschlag nicht nur BVB-Aktien gekauft haben, sondern außerdem
Put-Optionsscheine für mehr als 26.000 Euro – Wertpapiere, die steigen,
sobald die damit verknüpften Aktien abstürzen.
Wäre der Kurs der BVB-Aktie von rund fünf Euro auf einen Euro gefallen,
hätte Sergej sein eingesetztes Geld verzehnfachen und eine halbe Millionen
Euro auf seinem Konto verbuchen können. „Daytrading“ nennt sich dieses
Vorgehen, das eigentlich mit einem hohen Risiko verbunden ist – es sei
denn, man minimiert das Risiko, indem man dem Verlauf des Schicksals auf
die Sprünge hilft. „Gier?“, sagt Gerd Richter. „Bei uns im Pott gibbet n…
ehrliche Malocher“.
Mit einem hellblauen Hemd betritt Sergej W. am Donnerstag den Gerichtssaal.
Seine Haare sind lang geworden, sein Seitenscheitel sitzt tief. Er ist
klein, und während ihn Dutzende Fotografen ablichten, sieht er immer ein
wenig zur Seite, zu einem seiner Pflichtverteidiger. Während der gesamten
Verhandlung schweigt er. Das Wort ergreifen stattdessen Verteidiger Carl W.
Heydenreich und Oberstaatsanwalt Carsten Dombert.
Die Stimmung zwischen ihnen ist angespannt bis feindselig. Heydenreich regt
an, Dombert von der Sitzung abzuziehen. Dieser sei voreingenommen. Es habe
eine „beispiellose mediale Vorverurteilung“ seines Mandanten gegeben. Er
zitiert Überschriften der BILD und Stellen aus dem Spiegel, sagt,
Verfahrensbeteiligte hätten ordnerweise Akten an die Presse geliefert.
Außerdem sei „einseitig und tendenziös“ ermittelt worden, absichtlich habe
man das Bild eines „luxusaffinen, heimtückischen und habgierigen“ Menschen
zeichnen wollen – ohne auch entlastende Indizien zu beschaffen. „Ich fühle
mich nicht befangen“, entgegnet Dombert mit erhobener Stimme. „Es gab
schlicht und ergreifend keine entlastenden Umstände.“ Sergej W. sei bereits
die alternative Option gewesen zu den Verdächtigen, die direkt nach dem
Anschlag kursierten.
## Hinweis eines Börsenhändlers
So schreibt die AfD den Anschlag noch am Abend Islamisten und
Linksextremisten zu; die Polizei prüft ein islamistisches
Bekennerschreiben, das am Bus gefunden wurde. Sergej soll es geschrieben
haben, um eine falsche Fährte zu legen. Doch alle Spuren laufen ins Leere.
Schon am Tag darauf findet das Wiederholungsspiel statt, der BVB verliert
2:3.
Zehn Tage danach, an einem Freitagmorgen kurz nach 5 Uhr, verlässt Sergej
W. sein Haus in Rottenburg am Neckar und fährt zur Arbeit. Ein mobiles
BKA-Einsatzkommando folgt ihm. Seit einer Woche ist er der
Hauptverdächtige. Rudolf S., ein Börsenhändler aus dem 700 Kilometer
entfernten Bad Ischl in Österreich, hat die Ermittler der SoKo „Pott“ auf
W. aufmerksam gemacht. Wie Sergej W. stammt er aus dem Daytrader-Umfeld.
Die Frage, die vor Gericht geklärt werden muss, ist ob Sergej tatsächlich
töten wollte. Laut Staatsanwaltschaft wurde der Sprengsatz „zeitlich
optimal“ gezündet. Sie fordert daher lebenslang. Doch den zweiten
Sprengsatz, der den Bus in der Mitte treffen und damit vermeintlich den
größten Schäden anrichten sollte, platzierte Sergej zu hoch in der Hecke.
Für Sergejs Anwälte der Beleg dafür, dass der gar nicht wirklich töten oder
verletzen wollte. Doch nur dann wären vermutlich die Kurse so stark
eingebrochen wie Sergej W. es sich erhofft hatte. Dombert zeigt sich indes
überzeugt: „Der Angeschuldigte handelte, um sich zu bereichern.“
In den angesetzten 18 Verhandlungstagen bis zum 28. März soll nun
herausgefunden werden, ob das stimmt. Die Beweislage gegen Sergej W. ist
erdrückend. Auch die BVB-Spieler und Verantwortlichen, die den Anschlag im
Bus erlebt haben, werden aussagen. Am Donnerstag stellte der Anwalt von
Marc Bartra, der am Arm verletzt wurde, einen Schmerzensgeldantrag über
mindestens 15.000 Euro. „Von mir aus können sie die Verhandlung auf zwei
bis drei Tage Verkürzen“, sagt Gerd Richter noch und spannt seinen Schirm
gegen den Regen auf. „Der war’s“.
21 Dec 2017
## LINKS
[1] /Anschlag-auf-BVB-Bus/!5403157
## AUTOREN
Hanna Voß
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