# taz.de -- Aktienhändler über Kurswetten: „Wir sind keine schlechten Mensc… | |
> In Dortmund hat der Prozess um den Anschlag auf einen Bus des BVB | |
> begonnen. Ein sogenannter Daytrader erklärt, wie Wetten auf Aktienkurse | |
> funktionieren. | |
Bild: Trainer Thomas Tuchel konnte kurz nach dem Anschlag noch nicht ahnen, das… | |
Der Mann, der im April einen Bombenanschlag auf einen Bus des | |
Fußballvereins Borussia Dortmund verübt hat, steht seit Donnerstag vor | |
Gericht. Er soll auf einen Kurssturz der BVB-Aktie gewettet haben – als | |
sogenannter Daytrader. | |
taz: Herr Mueller, der Angeklagte in Dortmund soll versucht haben, mit dem | |
Anschlag den Kurs der BVB-Aktie zu beeinflussen, um damit ein Vermögen zu | |
verdienen. Er war offenbar als privater „Daytrader“ aktiv. Was sind das für | |
Leute, wie funktioniert das? | |
Andreas Mueller: „Daytrading“ bedeutet so viel wie „Tageshandel“. Kurz | |
gefasst, handelt es sich um Wetten auf Kursschwankungen. Ich mag das Wort | |
„Wette“ aber nicht, bezeichne es lieber als das spekulative Beobachten von | |
Preisentwicklungen. Ein Daytrader entscheidet sehr schnell, wann er mit | |
einer Investition ein-, wann er wieder aussteigt. Er beschäftigt sich nicht | |
zwingend nur mit Aktien, sondern auch mit sogenannten Derivaten, mit | |
Finanzprodukten wie Optionen, Futures oder Währungsgeschäften. Wenn es gut | |
läuft, kann er damit in kürzester Zeit deutliche Gewinne machen. Wenn das | |
sogar binnen weniger Minuten gelingt, nennt man das „Scalpen“. Es | |
funktioniert technisch genauso, wie es auch die großen institutionellen | |
Anleger machen, Fonds-Gesellschaften zum Beispiel. | |
Nur dass einzelne, freiberufliche Daytrader wie Sie ganz allein zu Hause | |
vor ihren Computern sitzen. Angeblich gibt es rund 70.000 Menschen | |
bundesweit, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. | |
Einen Computer braucht man dazu nicht mehr, ich selbst erledige die meisten | |
Geschäfte längst über mein Smartphone, es gibt sehr gute Apps für den | |
Wertpapierhandel. Die Zahl 70.000, die immer wieder kursiert, ist falsch, | |
sie umfasst wohl eher die Summe aller Daytrading-Konten, die in Deutschland | |
registriert sind. Betrieben werden diese aber nur von etwa 10.000 Personen, | |
fast ausschließlich Männern, würde ich sagen. Nicht alle sind ausgebildete | |
Betriebswirtschaftler, ich kenne auch frühere Mechaniker, Lehrer, Menschen | |
aus verschiedenen Berufsgruppen, die das Traden zu ihrem Brotjob gemacht | |
haben. | |
Es sind also Laien, die den Großanlegern Konkurrenz machen? | |
Generell hat jeder die Möglichkeit dazu. Man muss sich bei einer | |
registrierten Handelsplattform, einem Online-Broker anmelden. Große | |
Anbieter wie Comdirect, eine Commerzbank-Tochter, bieten diesen Service | |
ohnehin auch für Privatpersonen an. Aber sie verlangen hohe Gebühren. | |
Geübte Daytrader nutzen günstigere Plattformen, bei denen man allerdings | |
ganz auf sich selbst gestellt handeln muss. Wenn man das ernsthaft | |
betreiben, gar davon leben will, braucht man nicht nur Disziplin und | |
Konzentration – sondern auch Zeit. Meine Arbeitstage richten sich nach den | |
Börsen. Das Xetra-Handelssytem, auf dem die meisten Werte gehandelt werden, | |
ist werktags von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet. Das sind dann auch meine | |
Arbeitszeiten. | |
Um mitspielen zu können, braucht man aber vorher schon ziemlich viel Geld, | |
richtig? | |
Ja. Angenommen, Sie wollen monatlich 1.000 Euro zum Lebensunterhalt für | |
eine kleine Wohnung und ab und an einen Döner verdienen, ohne dafür | |
klassisch arbeiten zu gehen: Bei einer durchschnittlichen Rendite von acht | |
Prozent – so viel hat etwa der Dax seit den 1980er Jahren kontinuierlich | |
zugelegt – müssten Sie dafür über 120.000 Euro Startkapital verfügen. | |
Das Geld würde dann für einen arbeiten, wie man so sagt. Zahlen Sie | |
eigentlich Steuern? | |
Ja, natürlich. Wie jeder Freiberufler muss ich Einkommensteuer abführen, | |
hinzu kommt die Kapitalertragssteuer, da kann man rund 25 Prozent ansetzen. | |
Wichtig ist: Ich warne immer wieder vor Leichtfertigkeit. In der Szene gilt | |
der Erfahrungswert 90-90-90: 90 Prozent der Daytrader verlieren 90 Prozent | |
ihrer Einlagen innerhalb von 90 Tagen. Weil sie nur mangelnde Kenntnisse, | |
weil sie sich überschätzt oder zu hastig und gierig gehandelt haben. Die | |
Eintrittsschwelle in das Geschäft ist niedrig, es gibt keine geregelte | |
Ausbildung, jeder kann sich Daytrader nennen. Manche haben sich damit | |
ruiniert. Man braucht eine starke Psyche, muss sich kontrollieren können. | |
Oft denke ich: Es müsste so etwas wie einen verbindlichen | |
Börsenführerschein geben. | |
Neben Journalist*innen und Politiker*innen zählen Spekluant*innen | |
sicherlich zu den Berufsgruppen mit dem schlechtesten Image. Wie gehen Sie | |
damit um? | |
Inzwischen recht gelassen. Der Handel mit Wertpapieren ist legal, | |
gesetzlich geregelt – und er pumpt Liquidität, Bewegung in die Märkte, hat | |
eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Es gibt, wie in allen Branchen, auch | |
schwarze Schafe, klar. Was den Prozess in Dortmund angeht: Die Tötung von | |
Menschen in Kauf zu nehmen, um davon zu profitieren, ist absolut | |
indiskutabel. Wir sind keine schlechten Menschen. So wie LKW-Fahrer nichts | |
dafür können, dass Terroristen mit LKW Menschen töten, so können Daytrader | |
nichts dafür, dass es zu diesem Anschlag kam. | |
22 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Katja Kullmann | |
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