Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Greenpeace steigt bei Öko-Siegel aus: Was rettet den Wald wirklich?
> Reicht das FSC-Siegel für nachhaltige Waldwirtschaft aus? Christoph Thies
> von Greenpeace im Streitgespräch mit FSC-Geschäftsführer Uwe Sayer.
Bild: Baumarbeiten in Brasilien: Kann das FSC-Siegel Wälder nachhaltig schütz…
taz: Greenpeace steigt beim internationalen „Forest Stewardship Council“
(FSC) aus. Damit wird das strengste Siegel für eine ökosoziale
Holzwirtschaft in Misskredit gebracht – ist das wirklich nötig?
Christoph Thies: Das FSC-Siegel ist das strengste internationale Siegel für
die nachhaltige Waldwirtschaft, das es gibt. Eigentlich soll es auch
Urwälder schützen. Aber es passiert das Gegenteil. Sie werden zerstört,
vielleicht nur etwas weniger schnell. Das ist nicht akzeptabel.
Uwe Sayer: Das ist zu einseitig. Der FSC kämpft dafür, dass ökologische und
soziale Standards eingehalten werden. Der Waldarbeiter im nicht
FSC-zertifizierten Betrieb in den Tropen arbeitet zum Beispiel in
Badelatschen mit der Motorsäge, ohne Handschuhe und ohne Helm. Im
FSC-zertifizierten Wald ist dies anders, die Arbeitsbedingungen der
Menschen werden spürbar verbessert.
Christoph Thies: Wir haben das in Gabun und in der Republik Kongo genau
untersucht. Da werden durch den Urwald Forststraßen für den Abtransport des
Holzes geschlagen. Der FSC geht in Regionen rein, die von der industriellen
Waldnutzung verschont werden sollten – und gibt dem ein grünes Image.
Greenpeace hat das auch früher schon kritisiert. Warum hat sich nichts
geändert?
Uwe Sayer: Für viele Volkswirtschaften ist der Wald die wichtigste
Ressource. Wenn Regierungen dort beschließen, diesen Wald zu nutzen, dann
sagen wir: Macht das lieber mit uns und unseren ökologischen und sozialen
Standards. Es ist nicht die Rolle des FSC, zu entscheiden, ob in einem
Wald Holz geschlagen wird oder nicht.
Christoph Thies: Wir wollen nicht ganzen Volkswirtschaften verbieten, Wald
zu nutzen. Da muss ich Sie korrigieren. Es gibt kein einziges Land, dessen
Wälder alle Urwälder sind. Allenfalls sind in einigen Ländern des
Kongobeckens oder in der Guayana-Region im nördlichen Amazonas-Gebiet noch
der größte Teil des Waldes Urwald.
Uwe Sayer: Worüber wir hier reden, das ist eine bequeme Position aus
Deutschland. Von hier aus die volkswirtschaftliche Entwicklung anderer
Regionen infrage zu stellen und kein Gegenkonzept zu liefern – das ist
einfach.
Christoph Thies: Das soll keine bequeme Position sein. Ich rede nicht
davon, dass die Gemeinden vor Ort keine einzelnen Stämme mehr aus dem
Urwald holen dürfen sollen, sondern davon, den industriellen Holzeinschlag
zu stoppen. Da hilft ein Instrument einfach nicht, das sich darauf
fokussiert, die Bewirtschaftung zu verbessern.
Uwe Sayer: Es ist schon viel, wenn das FSC-Siegel draufklebt, aber das
heißt nicht, dass schon alles gut ist. Wir deutschen Konsumenten haben
einen rekordverdächtigen Papierverbrauch von 250 Kilo Papier pro Jahr und
Person und sagen dann: „Ganz schlimm. Da geht Wald den Bach runter.“ Der
FSC in Deutschland plädiert schon immer dafür, weniger Papier zu
verschwenden, mehr zu recyceln. Das will nur niemand hören.
Was ist genau passiert, dass Greenpeace ausgerechnet jetzt aussteigt?
Christoph Thies: Urwälder sind gigantische Speicher von Kohlendioxid. Zudem
bieten sie Platz für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten. Bisher sind aber
nur wenige von ihnen geschützt. Und Straßenbau, Holzeinschlag und Rodungen
gehen weiter. Wir hatten gehofft, dass der FSC eine Art Vorreiterrolle
spielen kann und sich auf die weniger wertvollen, sogenannten
Sekundärwälder beschränkt.
Uwe Sayer: Es gibt beim FSC aufgrund von Greenpeace-Anträgen einen
Beschluss, die letzten großen intakten Waldlandschaften, die Intact Forest
Landscapes, IFL, in das Denkkonzept einzubeziehen und Kerngebiete zu
meiden.
Christoph Thies: Dieser Beschluss war 2014 ein großer Erfolg, er hat aber
nichts geändert, weil er noch immer nicht ernsthaft umgesetzt ist.
Uwe Sayer: Der FSC arbeitet wie wahnsinnig an diesem hoch komplexen
Konzept. Das braucht Zeit. Aber schon jetzt müssen FSC-zertifizierte
Betriebe in Urwaldgebieten 80 Prozent dieser Fläche unberührt lassen. Es
geht also nicht darum, dass der FSC nicht willig ist, das einzubauen.
Christoph Thies: Das stimmt aber nur in Einzelfällen, weltweit längst noch
nicht. Es hat sich viel zu wenig getan seit 2014. Und das ist mehr als nur
ein Zeitproblem. Der FSC hat drei Kammern, die Wirtschaftskammer, die
Umweltkammer, die Sozialkammer. Das finden wir eigentlich gut. Aber die
Wirtschaftskammer hat so viel Macht, auch mehr Ressourcen, dass es nicht
vorwärtsgeht. Das können wir als Mitglied, das für alles mit verantwortlich
ist, nicht länger mittragen.
Greenpeace Kanada, USA, Neuseeland bleiben – was ist da anders?
Christoph Thies: Greenpeace International hat das den Länderbüros
freigestellt. Für Kanada beispielsweise ist es wichtig, dass die
Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern im Rahmen des FSC gut läuft.
Warum kann der FSC etwa in der Demokratischen Republik Kongo nicht einen
zumindest vorläufigen Einschlagstopp, ein Moratorium, erlassen?
Uwe Sayer: Wenn wir nicht hingehen, wer geht dann dahin? Wir glauben, dass
wir mehr verändern, wenn wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, die den Wald
sonst ohne entsprechende Standards nutzen würden.
Christoph Thies: Es besteht aber die Gefahr, dass man unfreiwillig mit den
Mächtigen in den Ländern paktiert und so eine nicht funktionierende
Regierung und massive Korruption zementiert.
Uwe Sayer: Der FSC wird die Wälder der Welt nicht alleine retten.
Christoph Thies: Lassen Sie die Verbraucher entscheiden – und machen
zumindest kenntlich, welche Produkte aus dem Urwald kommen und welche
nicht. Dann gibt es ein Siegel für FSC Urwald, eins für FSC Urwald-frei.
Uwe Sayer: Das würde vermutlich viele Verbraucher überfordern. Die Welt
schreit auch nicht nach mehr Naturschutz, sondern nach intensiverer
Nutzung. Die Realität ist nicht kuschelig, also müssen wir Lösungen suchen,
damit Ressourcen verantwortungsvoll genutzt werden.
Dieser Streit über das FSC-Siegel steht für ein Problem in der
Umweltpolitik – alle ahnen, es muss sich was ändern – um dann nichts zu
tun?
Christoph Thies: In Deutschland hat sich das Buch „Das geheime Leben der
Bäume“ wie verrückt verkauft. Es zeigt, dass der Wald kein reiner
Holzlieferant ist. Das ist schon mal was.
Uwe Sayer: Wegwerfmöbel verkaufen sich auch wie verrückt. Das Holz, dass in
einem Möbelhaus angeboten wird, ist im Kopf von Verbrauchern entkoppelt von
dem Wald, in dem sie sich am Wochenende erholen wollen. Das FSC-Siegel ist
ein Instrument, das die Nutzung verbessert. Wer Urwälder schützen will,
muss sich um den größeren politischen Rahmen kümmern.
Schon beim FSC sieht man, wie schwierig es ist, Umwelt, Wirtschaft,
Soziales zusammen zu denken. Was soll da in der Politik anders sein?
Christoph Thies: Allein Kohlendioxid zu mindern wird nicht reichen, will
die Menschheit die Erderwärmung ernsthaft auf deutlich unter 2 Grad
Celsius, möglichst 1,5 Grad beschränken, damit es nicht überall
unerträglich wird. Jedes Land wird sich in den nächsten Jahren neben der
Minderung von CO2-Emissionen auch Ziele für mehr CO2-Bindung setzen müssen.
Der Wald ist die größte Chance, die die Menschheit hat, CO2 aus der Luft zu
holen.
Könnte Greenpeace ein eigenes Siegel schaffen?
Zu aufwendig. Wir empfehlen Verbrauchern, Holz- und Papierprodukte aus
Recyclingmaterial zu kaufen. Und sonst sollten sie sich für Waren von
FSC-Betrieben aus Deutschland oder anderen Ländern entscheiden, in denen es
keine Urwälder mehr gibt.
Uwe Sayer: Ein freiwilliges Label kann Politik nicht ersetzen. Ich wünsche
sehr, dass es Greenpeace gelingt, die Regierungen weltweit dafür zu
sensibilisieren, wie wichtig intakte Wälder für die Zukunft sind. Darum
gehen wir auch nicht im Streit auseinander. Greenpeace und der FSC ergänzen
sich.
18 Apr 2018
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Wald
Umweltschutz
Greenpeace
Wald
Greenpeace
Schwerpunkt Hambacher Forst
Paraguay
Regenwald
## ARTIKEL ZUM THEMA
FSC-Holz aus Russland: Kahlschlag mit gutem Gewissen
Viele achten beim Kauf von Holz auf das FSC-Siegel. Eine Studie zeigt
jetzt, dass aus Russlands Urwäldern trotz Zertifizierung Brachflächen
werden.
„Greenpeace Magazin“: Neuer Chef, neue Linie?
Greenpeace tauscht überraschend die Spitze des bisher unabhängigen
„Greenpeace Magazins“ aus. Die Redaktion fürchtet um ihre journalistische
Freiheit.
Rodungsstart im Hambacher Forst: Die ersten Bäume fallen
Besetzer*Innen wollen den Energiekonzern RWE an der Abholzung des 12.000
Jahre alten Waldes im Rheinischen Braunkohlerevier hindern.
Waldrodung in Paraguay: Abholzen per Dekret
Präsident Cartes ließ kürzlich auf seinem Landgut zwei Millionen Bäume
fällen. Die Erlaubnis hat er sich selbst erteilt. Experten sind alarmiert.
Gerettetes Schutzgebiet am Amazonas: Der Wald hat noch mal Glück gehabt
Brasiliens Regierung stellt das Renca-Gebiet unter Schutz, statt dort
Rohstoffe fördern zu lassen. Umweltaktivisten bleiben trotzdem skeptisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.