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# taz.de -- Kinofilm über Radikalisierung: Kein Opfer von Verführung
> Die niederländische Regisseurin Mijke de Jong erzählt in „Layla M.“ von
> der Radikalisierung einer jungen und ungeduldigen Frau.
Bild: Blick in den Spiegel: Radikalisierung als Antwort auf die als ungerecht u…
BERLIN taz | Layla flitzt mit schwarzer Lederjacke und Kopftuch auf dem
Fahrrad durch Amsterdam. Als Linienrichterin bei einem Fußballspiel
streitet sie mit dem Schiri über ein nicht gegebenes Abseits. Auch sonst
geht die achtzehnjährige Oberschülerin Konflikten nicht aus dem Weg.
Besonders leicht erregt sie sich, wenn sie auf Diskriminierung und
Ausgrenzung von Muslimen trifft. Auf der Straße draußen mit Demonstrationen
gegen das in den Niederlanden eingeführte Burkaverbot. Oder im Netz, wo sie
mit einer Gruppe Gleichgesinnter Propagandavideos von Grausamkeiten aus
Syrien und dem Irak postet.
Beim gemeinsamen Abendessen mit der einst aus Marokko eingewanderten
Familie mischt die Abiturientin das Tischgespräch mit provozierend
angezettelten Debatten über Nikab und Koran auf. Als dann Razzien und
Festnahmen durch die Polizei die islamistische Gruppe treffen, entscheidet
sich Layla für den endgültigen Schritt aus ihrem bisherigen Leben und
landet nach der Blitzheirat mit einem jungen Prediger erst in der
belgischen Islamisten-Szene und dann in einer kargen Bleibe in Jordanien im
Vorfeld des „Islamischen Staates“.
Die zunehmende Affinität junger Frauen zum islamistischen Fundamentalismus
ist angesichts dessen notorisch feindseliger Einstellung zu Frauenrechten
eine irritierende Entwicklung. Seit einiger Zeit wird auch vermehrt in den
Medien nach den Motiven gefragt. Als Film fand zuletzt die
halbdokumentarische Arbeit „Der Himmel wird warten“ von Marie-Castille
Mention-Schaar aus Frankreich Aufmerksamkeit, die von der Radikalisierung
zweier Konvertitinnen aus nichtislamischen Familien erzählte.
Wie dieser Film ist auch „Layla M.“ von der Regisseurin Mijke de Jong und
dem Autor Jan Eilander, der auf europäischer Ebene koproduziert wurde,
schon 2016 entstanden. Er gründet seine Schilderung von Milieu und Figuren
in einer mit bewegter Kamera fast dokumentarischen Inszenierung.
## Eine als ausgrenzend und sinnlos erlebte Welt
Dabei liegt der Fokus auf der zuerst kraftvollen und dann gewaltsam
gedrosselten Eigenbewegung seiner jungen Heldin. Denn Layla ist kein
verführtes Opfer islamistischer Bauernfängerei, sondern sehr plausibel
gezeichnet als unzufriedene und ungeduldige junge Frau mit dem in diesem
Alter üblichen scharfen Blick für die Unzulänglichkeiten der Welt. Das
verbindet ihren Erfahrungsraum mit dem der beiden FilmemacherInnen, die in
der linken Szene der 1970er Jahre sozialisiert wurden.
Die Erinnerung an die damaligen Radikalisierungsprozesse machten sie
neugierig auf das Jetzt. Denn vieles war gar nicht so anders als bei den
jungen Islamistinnen heute: Einer als ausgrenzend und sinnlos erlebten Welt
der Ungerechtigkeit und Vereinzelung kollektive Werte und Verbindlichkeiten
entgegenzusetzen. Sich gegenüber erfahrener fremder Brutalität selbst zur
Gewalt ermächtigen. Und bloß nicht anpassen: „Das ist genau, was die
wollen, Kuffar aus uns machen, uns Angst machen, dass wir unseren Glauben
verleugnen“ sagt Layla ihrem Bruder in einer Schlüsselszene.
„Layla M.“ ist aber auch eine Liebesgeschichte, die Ehe mit dem zuerst
schüchtern wirkenden Prediger Abdel mehr als nur ein Zweckbündnis. Die
Heirat ist inszeniert als Begegnung auf Augenhöhe: So fordert Layla dem
zukünftigen Ehemann in einem Videotelefonat von ihr vorformulierte
Statements zu Gleichberechtigung und Freiheitsrechten ab. Und sie
proklamiert explizit den eigenen Wunsch, im islamischen Ausland zu
studieren und dann ihr Leben denen zu widmen, denen Unrecht widerfahren
ist. Wir ahnen schon, dass diese Gelübde und ihre Wünsche spätestens dann
an ihre Grenzen stoßen werden, wenn andere Männer und Mächte ins Spiel
kommen.
Eine grandiose Entdeckung sind die beiden jungen Hauptdarsteller in einem
auch sonst rundum überzeugenden Team. Nora El Koussour gibt Layla ungeheure
Präsenz und eine Variabilität, die vom theatralischen Teenagerauftritt
über schnippische Arroganz bis zur besorgten Ehegattin reicht. Auch Ilias
Addabs Abdel schillert mit ungewöhnlichem Facettenreichtum zwischen
zärtlichem Liebhaber und Machtmensch in einer Inszenierung, die mit einigen
erzählerischen Ellipsen auf wache Betrachter setzt. Während Familie und
Clique dabei prägnant skizziert werden, bleibt Laylas Schulleben auf ganz
wenige, fast abstrakte Szenen reduziert.
Irritierend – und vermutlich nicht als Wahrnehmungsexperiment gemeint – ist
die Tatsache, dass in der deutschen Synchronfassung die Personen jeweils
unterschiedliche Stimmen haben, wenn sie in deutscher oder in arabischer
Sprache reden, weil die Teile in arabischer Sprache original untertitelt
wurden. Der Film, der 2016 von den Niederlanden für den fremdsprachigen
Oscar nominiert wurde, gönnt seiner Heldin vor dem Ende neben viel Leid
auch einige schöne Momente mit Kindern in einem UNHCR-Camp – und
hoffentlich Erkenntnis. Genaueres darf hier nicht verraten werden. Bei
einem Dokumentarfilm würde man auf ein Sequel in fünf Jahren hoffen.
12 Apr 2018
## AUTOREN
Silvia Hallensleben
## TAGS
Film
„Islamischer Staat“ (IS)
Radikalisierung
Frauen
Protest
Schwerpunkt Syrien
„Islamischer Staat“ (IS)
Komödie
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