| # taz.de -- Regisseur über Stadtentwicklung Berlins: „Politik hat zu wenig n… | |
| > Am Mittwoch beginnt das Filmfestival Achtung Berlin. Regisseur Hans | |
| > Christian Post zeigt seinen Dokumentarfilm „Wessen Stadt?“. | |
| Bild: Filmstill aus „Wessen Stadt“ | |
| taz: Herr Post, Sie stellen am Donnerstag auf dem Filmfestival Achtung | |
| Berlin Ihren zweiten Dokumentarfilm über Berlin vor. Was fasziniert Sie so | |
| an dieser Stadt? | |
| Hans Christian Post: Ich mag viele Dinge an Berlin. Man findet in Berlin | |
| die deutsche und die europäische Geschichte als architektonischen Ausdruck | |
| in sehr konzentrierter Form. Das ist hier sehr spürbar, sehr deutlich. | |
| Außerdem mag ich die Stimmung in der Stadt, die in den neunziger Jahren | |
| aufkam und bis heute prägend ist. | |
| Wie würden Sie diese Stimmung beschreiben? | |
| Ich habe immer das Raue und Kaputte an Berlin gemocht. Und auch die | |
| Melancholie und Tristesse der Stadt. Aber ich mag natürlich auch die | |
| positive Aufbruchstimmung und kulturelle Offenheit, die bis heute diese | |
| Stadt bestimmt. Aufgrund der niedrigen Miete und des großen Leerstands gab | |
| es in den neunziger Jahren viel mehr Möglichkeiten als in vielen anderen | |
| großen Städten Europas. Berlin war ja lange völlig vergessen und | |
| heruntergekommen. | |
| In Ihrem Film „Wessen Stadt?“ geht es um einen Architekturstreit, der vor | |
| einem Vierteljahrhundert in Berlin tobte – es ging dabei grob umrissen um | |
| die Reparatur Berlins durch eine Rückkehr zur kompakten, historischen | |
| Stadt. Aus heutiger Sicht erscheint dieser Streit völlig abgehoben und die | |
| Verbitterung, mit der er geführt wurde, absurd. Welche Relevanz hat der | |
| Streit heute noch? | |
| In diesem Streit wurden nur vordergründig Fragen des Stils und der Ästhetik | |
| verhandelt. Eigentlich ging es darum, dass man Teile der deutschen | |
| Geschichte am liebsten vergessen wollte. Man wollte eine Tradition | |
| erfinden, eine neue Geschichte konstruieren. Und dabei war man auch sehr | |
| vehement gegen das Bauerbe der DDR. | |
| Einer Ihrer Interviewpartner in dem Film sagt an einer Stelle, man habe | |
| sich in Berlin zu sehr von der Architektur belästigt gefühlt. Man habe eine | |
| Architektur schaffen wollen, die etwas Selbstverständliches ausstrahlt, als | |
| sei sie schon immer da gewesen. | |
| Viele fanden die Brüche, die diese Stadt ausmachen, zu anstrengend. Das | |
| Bunte, Brutale von Berlin. Und dazu noch die vielen baulichen Experimente | |
| der Avantgarde, die im 20. Jahrhundert und vor allem in der Nachkriegszeit | |
| ausgetragen wurden. | |
| Ihr Interviewpartner Daniel Libeskind meint, dass der Wunsch zu vergessen | |
| verständlich sei, dass aber der posttraumatische Stress die Stadt immer wie | |
| ein Gespenst heimsuchen wird, wenn man ihn nur verkleistert. | |
| Ich habe diese Meinung lange geteilt, vor allem in Bezug auf den Umgang mit | |
| dem baulichen Erbe der DDR. Aber was das betrifft, hat sich einiges in | |
| Berlin geändert. Am Anfang wollte ich ja einen sehr streitbaren Film | |
| machen, ähnlich wie bei meinem ersten Dokumentarfilm „Last Exit | |
| Alexanderplatz“, den ich auch auf dem Filmfestival Achtung Berlin gezeigt | |
| habe. In diesem Film ging es um die Pläne, den Alex mit jenen Hochhäusern | |
| zu bebauen, die dann nie kamen. | |
| Der zweite Film sollte ebenso kontrovers werden? | |
| Ja. Ich hatte mir zum Beispiel am Anfang überlegt, viele Abrisse zu filmen. | |
| Aber dann konnte ich gar keine Abrisse mehr finden in Berlin. Im Grunde ist | |
| die Stadt längst an einem ganz anderen Punkt angelangt. Als der Palast der | |
| Republik 2006 abgerissen wurde, war das wie ein Endpunkt. Es war, als | |
| wüssten alle, dass sie damit einen Schritt zu weit gegangen sind. Seitdem | |
| wird immer weniger abgerissen. | |
| Es wirkt wie eine Entschuldigung, dass in den vergangenen Jahren am | |
| Alexanderplatz sehr viele der Gebäude, die in der DDR gebaut wurden, unter | |
| Denkmalschutz gestellt wurden. | |
| Das zeigt tatsächlich eine andere Art und Weise des Umgangs mit dem Erbe | |
| der DDR. | |
| Viele Ihrer Interviewpartner, die damals wütend mitgemischt haben in diesem | |
| Streit, wirken in Ihrem Film müde und resigniert. Zum Beispiel Hans | |
| Stimmann, der sich in seiner Zeit als Staatssekretär für Planung in der | |
| Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 1996 bis 1999 für die kritische | |
| Rekonstruktion Berlins nach historischen Stadtgrundrissen einsetzte. | |
| Ich kann diese Müdigkeit gut nachvollziehen. | |
| Warum? | |
| Das, worüber sie damals stritten, war gar nicht wichtig. Ich würde | |
| rückblickend sagen, es war sogar sehr dumm. Es war nur insofern bedeutend, | |
| weil es von der soziale Frage ablenken konnte. | |
| Sie meinen die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. | |
| Genau. Und das ist wahrscheinlich eigentlich der Geist, der die Stadt | |
| Berlin heute heimsucht. | |
| Am Ende Ihres Films zeigen Sie das Haus der Statistik, das erst kürzlich | |
| erfolgreich der Spekulation entzogen wurde. | |
| Das Haus der Statistik ist ein Symbol für das kreative, freie, bezahlbare | |
| Berlin. Ein Symbol, dass die Verdrängung gestoppt werden kann. | |
| Berlin hatte eine große Chance in den neunziger Jahren, aber diese Chance | |
| wurde verpasst. Besteht noch Hoffnung? | |
| Die Politik hat immer zu schnell gehandelt und zu wenig nachgedacht. Das | |
| ist heute völlig klar. Trotzdem ist die Stadt noch lang nicht so voll | |
| gebaut wie andere europäische Großstädte, etwa Amsterdam oder Kopenhagen. | |
| Das, was gerade in Berlin passiert, ist überall sonst viel weiter | |
| fortgeschritten. Es gibt noch zahlreiche Möglichkeiten, das auszubremsen. | |
| Ich hoffe, dass die Politik noch intensiver mit den Investoren spricht. Und | |
| noch mehr die Geschichte dieser Stadt reflektiert. | |
| 11 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| ## TAGS | |
| Stadtentwicklung | |
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