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# taz.de -- Urteil zu „Zwölf Stämmen“: Staat durfte Kinder aus Familien h…
> Die religiöse Gemeinschaft „Zwölf Stämme“ hält Prügel für eine legi…
> Erziehungsmethode. Dass ihnen deshalb Kinder entzogen wurden, war
> rechtens, sagt das Gericht.
Bild: Die Eltern sahen körperliche Züchtigung als unerschütterliches Dogma a…
Karlsruhe taz | Behörden dürfen Eltern die Kinder wegnehmen, wenn diese
regelmäßig und systematisch geschlagen werden. Das entschied jetzt der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Er lehnte
dabei die Beschwerde von vier Elternpaaren ab, die zu der christlichen
Sekte „Zwölf Stämme“ gehören.
Erste Vorwürfe, dass Kinder in der Sekte regelmäßig mit Ruten geschlagen
werden, waren 2012 aufgekommen. Doch es gab keine Beweise, die Ermittlungen
wurden wieder eingestellt. Die Wende kam, als der RTL-Reporter Wolfram
Kuhnigk Filmmaterial von Züchtigungen vorlegte. Er hatte als vollbärtiger
Sinnsucher zwei Wochen bei der Sekte gelebt. Die Bilder zeigten, wie Kinder
mit Gertenruten auf den nackten Hintern geschlagen wurden. Sie ließen dies
über sich ergehen, als seien sie daran gewöhnt.
Nun reagierten die Behörden schnell. Sie nahmen 40 Kinder aus den Familien
und schlossen die sekteneigene Schule. Mehrere Eltern wurden später zu
Bewährungsstrafen verurteilt, eine Lehrerin sogar zu einer Gefängnisstrafe
von zwei Jahren.
Die Trennung der Kinder von ihren Eltern war von den deutschen
Familiengerichten bestätigt worden. Auch das Bundesverfassungsgericht
lehnte eine Klage der Eltern im Jahr 2014 ab, ohne Begründung.
Letzte Hoffnung war für vier Elternpaare nun der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte in Straßburg. Den Eltern waren zunächst acht Kinder
weggenommen worden. Ein älteres Mädchen allerdings kam schon bald zurück,
weil Kinder bei den Zwölf Stämmen nur bis zum Alter von 12 Jahren
geschlagen werden. Auch ein Säugling, der noch gestillt wurde, konnte
schnell zur Mutter zurückkehren. In den anderen Fällen leben die Kinder
teilweise heute noch in Pflegefamilien.
Die Eltern machten in Straßburg ihr Recht auf Privat- und Familienleben
geltend. Dazu gehöre das Recht, die Kinder entsprechend der eigenen
religiösen Überzeugung zu erziehen. Die behördlichen Maßnahmen führten zur
Stigmatisierung ihrer religiösen Gemeinschaft.
## Klage abgelehnt
Doch der EGMR lehnte die Klagen in vollem Umfang ab. Zwar dürften Eltern
ihre Kinder religiös erziehen. Diese dürften dabei aber nicht gefährlichen
oder schädlichen Praktiken ausgesetzt werden. Die Kinder seien nicht aus
der Sekte genommen worden, um diese zu stigmatisieren, sondern um zu
verhindern, dass die Kinder weiter geschlagen werden.
Der EGMR erinnerte daran, dass die Staaten des Europarats, dem 47 Staaten
angehören, verpflichtet sind, ihre Bürger vor unmenschlicher und
erniedrigender Behandlung zu schützen. Als solche könne auch das Schlagen
von Kindern bezeichnet werden. Der Gerichtshof empfahl sogar, diese
Erziehungspraxis per Gesetz zu verbieten.
In Deutschland gibt es ein derartiges Gesetz seit dem Jahr 2000. „Kinder
haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen,
seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“,
heißt es seitdem im Bürgerlichen Gesetzbuch (Paragraf 1631). Alle
Fraktionen stimmten damals dafür, nur die CDU/CSU dagegen.
Dies bedeutet aber nicht, dass prügelnden Eltern sofort die Kinder
weggenommen werden. Vorrang muss nach der deutschen Rechtslage stets die
„Hilfe zur Erziehung“ haben, etwa in Form von Schulungen durch das
Jugendamt. Im Fall der Sekten-Eltern wäre dies jedoch keine sinnvolle
Alternative gewesen, befand nun der EGMR. Schließlich habe es sich bei den
meisten Eltern um Überzeugungstäter gehandelt, die noch vor Gericht die
Bibel zitierten als Beleg für die Zulässigkeit ihrer Züchtigungen. Eltern,
die ihre Kinder anders erziehen wollten, hätten bei den Zwölf Stämmen unter
starkem Druck gestanden, so die Straßburger Richter. Ihre Kinder hätten
auch von anderen Sektenmitgliedern geschlagen werden können.
Vor diesem Hintergrund hielt der EGMR die Wegnahme der Kinder für eine
verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz ebendieser. Der Beschluss der
siebenköpfigen Kammer fiel einstimmig.
22 Mar 2018
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kindesmisshandlung
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Menschenrechte
religiöse Gewalt
Sekte
Sekte
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