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# taz.de -- Trainer Tite macht Brasilien erfolgreich: Nach der 7:1-Apokalypse v…
> Brasiliens Trainer Tite bricht Tabus und hat die Seleção so zu alter
> Stärke zurückgeführt. Gegen Deutschland steht in Berlin der finale
> WM-Belastungstest an.
Bild: Tite bei der Arbeit
Vier Jahre können sehr lang sein im Fußball. So lang, dass man fast glauben
mag, dieses 7:1 war in Wirklichkeit nichts als Einbildung, ein deutscher
Traum, ein brasilianischer Alptraum. Wer die damals bei der WM 2014 so
gedemütigte Seleção zuletzt spielen sah, würde jedenfalls nicht auf die
Idee kommen, dass ihr nach der Apokalypse von Belo Horizonte noch Jahre der
Pein vorausgesagt wurden. Welche Mannschaft qualifizierte sich als erste
für die WM 2018? Wen führen die Wettbüros als Favoriten? Wer siegte gerade
erst 3:0 beim Gastgeber Russland?
Ja, es ist Brasilien. Dabei sind, soweit bekannt, dort von WM zu WM keine
Spieler im Labor gezüchtet worden. Marcelo, Dani Alves, Paulinho, Willian,
Thiago Silva – Spieler mit altbekannten Namen standen am Freitag in Moskau
auf dem Platz und werden es wohl auch heute beim Testspiel in Berlin wieder
tun. Dazu einer wie Philippe Coutinho, der auch 2014 schon gut kickte, aber
übergangen wurde. Bloß Angreifer Gabriel Jesus, 20, war damals noch zu
jung, bloß Abräumer Casemiro wirklich noch unter dem Radar.
Unweigerlich landet man bei der Spurensuche für das fulminante Comeback
also beim Trainer. Zumal ja erst nichts besser geworden war, als Adenor
Leonardo Bacchi, genannt Tite, 2016 übernahm. Brasilien lag in der
Südamerika-Qualifikation auf Rang sechs, Carlos Dunga hatte in seiner
zweiten Amtszeit dazu wiederholt die Copa América verbaselt und wurde kurz
vor den Olympischen Spielen in Rio gefeuert. Die ließ Tite dann in enger
Absprache von Nachwuchstrainer Rogério Micale coachen. Zwei Fachleute. Viel
mehr, Hexerei gar, hat es offenbar nicht gebraucht, um „alles zu
verändern“, wie Marcelo sagt: „Wir sind Tite viel schuldig.“
Angeführt von seinem Superstar Neymar gewann Brasilien das Olympiafinale
gegen Deutschland im Elfmeterschießen. Die damals Anwesenden werden den
infernalischen Lärm nach dem Schlusspfiff nie vergessen. Doch wie grandios
Tite den Rückenwind dieser Geistervertreibung nutzen würde – das hätte
keiner zu prophezeien gewagt. In der WM-Qualifikation gelangen neun Siege
am Stück, was es selbst beim fünfmaligen Weltmeister nie gegeben hatte.
Tites Bilanz heute: 18 Spiele, 14 Siege, drei Remis.
## Erneut ohne Neymar
Die Partie gegen Deutschland ist nun also der finale Belastungstest, bevor
der Patient endgültig für geheilt erklärt werden kann. Natürlich ist es
kein normales Spiel für Brasilien. „Das 1:7 gehört zur Vergangenheit“, sa…
Tite zwar. Aber auch er räumt ein: Deutschland zu begegnen, sei
„psychologisch wichtig“.
Auch weil das Match erneut ohne den verletzten Neymar stattfindet. 2014
hatte dessen Ausfall gegen Deutschland das Team komplett überfordert,
fußballerisch wie mental. Doch unter Tite spielt Brasilien nicht nur
variabler, es wirkt in jeder Hinsicht stabil. Der 56-Jährige aus dem
südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul gilt als guter Psychologe. Die
Dinge so bodenständig wie möglich halten, lautet seine Devise. Wenn
Brasilien für die WM sein Quartier in Sotschi am Schwarzen Meer aufschlägt,
werden die Familien der Spieler in einem nahen Hotel residieren dürfen. Von
einem „Tabubruch“ sprechen sie beim brasilianischen Verband.
Als solcher lässt sich auch Tites Arbeitsstil bezeichnen. Der erfahrene
Vereinstrainer ist im Alltag präsenter als seine Vorgänger, er recherchiert
jedes Detail über die Spielweise seiner Auserwählten und kommuniziert fast
täglich mit ihnen. Als ob er einen Klub coachen würde, wie er das früher
etwa bei Corinthians tat – mit dem Traditionsverein aus São Paulo gewann er
2012 die Copa Libertadores und, als einziges südamerikanisches Team des
letzten Jahrzehnts, auch die Klub-Weltmeisterschaft.
Danach nahm er sich ein Sabbatical und hospitierte unter anderem bei seinem
Lieblingscoach Carlo Ancelotti in Madrid. In seiner Nationalelf ist der
Einfluss der zeitgenössischen europäischen Lehre unübersehbar. Tite hat das
nötige Taktik-Update durchgeführt, am Pressing gearbeitet, der Mannschaft
eine Identität gegeben. Sein Brasilien strahlt die Überzeugung aus, in
jeder Situation zu wissen, was es tut.
## System mit Freiheiten
Die Seleção spielt ohne Hektik und versucht, durch Kombinationsfußball den
Gegner aus der Reserve zu locken und dann durch blitzartige Beschleunigung
zu überfallen. Es hat System genug, um kaum Gegentore zuzulassen, immer
kompakt zu bleiben und sauber das Spiel aufzubauen, aber es lässt Neymar
oder Coutinho auch die nötigen Freiheiten.
Tite definiert sich zuvorderst als Pragmatiker: Ein Trainer hänge vor allem
von seinem Material ab, sagt er. Ein Ideal hat er trotzdem: das Brasilien
von 1982, jene trotz Scheiterns im eigenen Land und von Ästheten aller Welt
bis heute verehrte Elf um Falcão, Socrates, Zico. „Ich sehe dieses Team,
und ich denke: was für eine wunderschöne Sache ist der Fußball“, sagte Tite
kürzlich. Noch interessanter war sein Zusatz, er glaube, mit seinem
aktuellen Kader dem Vorbild zumindest nahekommen zu können. Dem Team von
1982. Mit Spielern von 2014. Wer hätte das gedacht.
27 Mar 2018
## AUTOREN
Florian Haupt
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