# taz.de -- Leipziger Buchkunst-Preis verliehen: Eine große Chance für das Pa… | |
> Wie konsumieren US-Amerikaner Medien? Für sein Buch über dieses Thema | |
> erhielt der HGB-Professor Ludovic Balland den Walter-Tiemann-Preis. | |
Bild: Das Buch „American Readers at Home“ befragt Amerikaner zu ihrem Medie… | |
Leipzig taz | Welche Medien prägen unser Bild von der Welt? Wie viel Zeit | |
verbringen wir täglich damit, uns zu informieren? Und welche Nachrichten | |
finden Eingang in unser Langzeitgedächtnis? Der Schweizer Grafiker Ludovic | |
Balland ist von September bis Dezember 2016 durch die USA gereist, um | |
mitten im Wahlkampf einige Dutzend US-Amerikaner zu ihrer Beziehung zu den | |
Medien, insbesondere zur gedruckten Tageszeitung, zu befragen. | |
Gesetzt in seiner eigenen Schrift und angelehnt an die Spaltenbreite der | |
New York Times sind die Interviews nun unter dem Titel „American Readers at | |
Home“ in einer einzigartigen Mischung aus Newspaper und Photobook | |
erschienen. Unterteilt in geografische Kapitel geht es von New York nach | |
Philadelphia, über Washington nach San Francisco – Donald Trump und Hillary | |
Clinton sind stets dabei. | |
Jenseits politischer Überzeugungen gewähren die Interviews unerwartet | |
private Einblicke: Charlie Scheips, einst Chefassistent von David Hockney, | |
liest immer zuerst die Traueranzeigen, bevor er sich den Kunstthemen | |
widmet, die Sportseiten sind ihm willkommene Grillanzünder. Für | |
Berufsdomina Lydia Faithfull, aktiv bei den Hookers for Hillary, gehört der | |
HIV-Schock von 1982 neben dem Mauerfall zu den frühesten Erinnerungen an | |
Nachrichtenmeldungen. Und der Tag nach der Trump-Wahl, der fühlte sich für | |
sie „almost like 9/11“ an. | |
Von Balland gestaltete Publikationen werden regelmäßig im Wettbewerb „Die | |
schönsten Schweizer Bücher“ prämiert, zweimal schon gewann er die | |
Goldmedaille der Stiftung Buchkunst für „die schönsten Bücher aus aller | |
Welt“. Am 15. März wurde „American Readers at Home“ mit dem renommierten | |
Walter-Tiemann-Preis ausgezeichnet, als ein „höchst stimmiges Gesamtwerk“, | |
dessen Typografie den Inhalt verstärkt, kommentiert, organisiert und dabei | |
eben auch unbekannte Wege geht. | |
## Medienkonsum ist hochgradig subjektiv | |
Es ist keine sozialwissenschaftliche Studie, die Balland vorgelegt hat, die | |
Interviewpartner bewegen sich zwischen einer CNN-Reporterin und einem | |
Obdachlosen. Und doch macht die Zusammenstellung indirekt eines deutlich: | |
Medienkonsum ist hochgradig subjektiv, kaum zu beeinflussen von | |
Redaktionen, die um thematische Vielfalt und inhaltliche Ausgewogenheit | |
ringen. Neben inszenierten Schwarz-Weiß-Porträts seiner Interviewpartner – | |
zumeist mit einer Zeitung in der Hand – hat der Grafiker auf seiner | |
13.000-Meilen-Reise fotografiert: in Farbe und mit deutlichen Referenzen an | |
Robert Frank und Lee Friedlander. | |
Seit Januar ist Balland nun Professor für Typografie an der Hochschule für | |
Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dass der Walter-Tiemann-Preis ihm in deren | |
Festsaal verliehen wurde, ist Zufall. Bereits im Februar hatten seine | |
Studierenden erste Ergebnisse aus einem Workshop beim jährlichen Rundgang | |
der Hochschule präsentiert. | |
Auch hier waren journalistische Elemente präsent, schlug sich das Spiel mit | |
verschiedenen Interviewtechniken in der Grafik nieder. „Wir sind digital | |
und Papier. Wir wollen neue publizistische Plattformen erforschen und | |
Inhalte neu beleuchten“, stand gleich einem Manifest an der Wand. | |
Vor 20 Jahren wurde Balland klar, dass das Schriftbild, die Art und Weise, | |
wie ein Text aussieht, prägend für seine Lesbarkeit ist. Inzwischen kann | |
man seine Schriften mit einem Klick im Netz erwerben, für 150 Schweizer | |
Franken. Balland, 1973 geboren in Genf, studierte Visuelle Kommunikation in | |
Basel, wo er heute ein eigenes Büro führt. | |
## Die Leipziger Professur erscheint wie ein logischer Schritt | |
Er verantwortete das Erscheinungsbild des Museums für Moderne Kunst in | |
Warschau und das des Stadttheaters Basel. Zuletzt gestaltete er den Reader | |
der documenta 14, der eher an einen Skizzenblock denn ein fertiges Buch | |
denken lässt und somit spiegelt, was die Weltkunstausstellung im Jahr 2017 | |
sein wollte: im Prozess. | |
Die Professur in Leipzig scheint nun ein logischer Schritt: Schon 2008 war | |
Balland Gastprofessor an der Bauhaus Universität in Weimar, unterrichtete | |
von 2003 bis 2015 Typografie, Art Direction und Grafikdesign in Lausanne. | |
Ohne Unterrichtserfahrung wäre er heute nicht da, wo er ist, erklärt er im | |
Interview: „Ich bekomme von den Studierenden so viel, wie ich ihnen gebe: | |
Was ich im Büro mache, nehme ich mit in die Akademie, das ist eine Art | |
Face-to-Face-Reality-Check.“ | |
Für die kommenden sechs Jahre wird Balland an der Leipziger Hochschule | |
unterrichten, will den Austausch mit Unis, Journalistenschulen und | |
Politikern fördern, seinen Unterricht in jeder Hinsicht öffnen. So wird es | |
Module geben, für die physische Präsenz nicht entscheidend ist, denen auch | |
Interessierte aus New York folgen können. Studierende sollen nicht lernen, | |
schöne Bücher zu machen, sondern sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, um | |
dann zu überlegen, wie das Endprodukt aussehen soll. | |
## „Das Papier ist entlastet“ | |
Seine Professur begreift der Schweizer vor allem als Forschungsfeld in | |
Hinblick auf die Unterscheidung von Print und Online: Das Internet | |
generiere als neuer Informationsträger auch eine neue Sprache. Eine Chance | |
für die gedruckte Zeitung: „Das Papier ist entlastet.“ Man müsse dieses | |
luxuriöse Medium besser nutzen, über neue Formate und Schreibstile | |
nachdenken, die Zeitung als Plakat verstehen – das sei ein Riesenvorteil | |
gegenüber Online. | |
„Mein Wunsch wäre, irgendwann zusammen mit einem Journalisten Chefredakteur | |
einer Zeitung zu sein, um Form und Inhalt zu programmieren.“ Autor, | |
Grafiker, Fotograf, Redakteur und Regisseur: Ludovic Balland hat mit | |
„American Readers at Home“ durchexerziert, was es heißt, neben der | |
Gestaltung auch den Inhalt zu verantworten. | |
Es ist seine in Buchform gebrachte Momentaufnahme der Scharnierzeit vor und | |
nach der Wahl Trumps. Beim Blättern scheinen einem die Seiten zwischen den | |
Fingern einzureißen, so fragil sitzen Fotos und Interviews auf dem dünnen | |
Papier im geschützten Buchraum. 550 Seiten umfasst das Werk: kein Buch, das | |
man von vorn bis hinten liest, eher hineinblättert, überfliegt, hängen | |
bleibt. Nur das Überformat steht diesem Modus im Weg. Wie die USA ist es | |
ein bisschen zu groß, zu voll, zu schwer. Es braucht einen Tisch, um | |
gelesen zu werden – keinen Coffee-Table, wohl aber einen Desk. | |
20 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Sarah Alberti | |
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