# taz.de -- Tod von Stephen Hawking: Ein enorm populärer Nerd | |
> Stephen Hawking betrieb seine überaus komplexe Forschung buchstäblich in | |
> seinem Kopf. Er war eine Mischung aus Sphinx und Orakel. | |
Bild: Stephen Hawking im Jahr 2007 beim Ausflug in die Schwerelosigkeit | |
Neulich hatte ich Gelegenheit, in Zürich mit Ben Moore zu sprechen. Der | |
Astrophysiker hat dort den alten Lehrstuhl von Albert Einstein inne. Als | |
Professor für theoretische Physik gehört er zu den wenigen Menschen, die | |
Stephen Hawking nicht nur persönlich begegnet sind – sondern ihm | |
intellektuell und fachlich auch problemlos folgen konnten. Auf die Frage, | |
was ihn an dem berühmten Kollegen besonders fasziniere, dachte Moore lange | |
nach. Dann sagte er: „Zunächst, dass er die richtigen Fragen gestellt hat. | |
Und dann die lustige Kommunikation. Wenn man ihn etwas fragt, muss man zehn | |
Minuten bis zu einer Antwort warten. So lange braucht sein Sprachcomputer“. | |
Stephen Hawking, der nun im Alter von 76 Jahren in Cambridge gestorben ist, | |
hat wirklich viele Fragen gestellt. Gibt es einen Gott? Was war vor dem | |
Urknall? Welche Verhältnisse herrschen im Inneren eines Schwarzen Lochs? | |
Was ist Zeit? Und wenn es Außerirdische gibt, sollten wir sie wirklich | |
kontaktieren? Zugleich war er, auch das deutete Ben Moore mit seiner | |
Antwort an, eine Mischung aus Sphinx und Orakel. | |
Der Hinweis darauf, dass Hawking 1942 auf den Tag genau 300 Jahre nach dem | |
Tod von Galileo Galilei geboren wurde, zeigt bereits seinen Stellenwert im | |
Pantheon der Wissenschaftsheiligen. Dabei sah es anfangs keineswegs nach | |
einer Bilderbuchkarriere aus, Geniestreiche waren von diesem nachlässigen | |
Studenten nicht zu erwarten. Erst in der mündlichen Prüfung konnte er sich | |
für Cambridge qualifizieren – da war bei ihm bereits eine Amyotrophe | |
Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert worden. | |
Zwar schritt die degenerative Erkrankung seines motorischen Nervensystems | |
wesentlich langsamer voran als von den Ärzten prognostiziert. Konfrontiert | |
mit der Endlichkeit der eigenen Existenz, stürzte er sich umso vehementer | |
in die Arbeit: „Ich fand, zu meiner Überraschung, das Leben lebenswerter | |
als zuvor. Und ich machte Fortschritte bei meiner Forschung“. | |
## Ziel: „Das komplette Verständnis des Universums“ | |
Darin widmete er sich der vielleicht größten Frage der Menschheit. Eine | |
Frage, die ihren Ursprung in der Antike hat, über die Jahrhunderte von der | |
Religion in den Zuständigkeitsbereich der Philosophie gewandert ist und | |
dort von Leibnitz erstmals auf den Punkt gebracht wurde: „Pourquoi il y a | |
plutôt quelque chose que rien?“ (Warum ist überhaupt etwas und nicht | |
vielmehr nichts?). Weil jede Antwort immer nur Annäherung sein konnte, | |
wurde die Frage in Variationen immer wieder gestellt. Schelling fragte: | |
„Warum ist nicht nichts?“ Heidegger fragte: „Warum ist überhaupt Seiendes | |
und nicht vielmehr nichts?“ | |
Hawking stellte sich nicht nur in diese Tradition. Er schickte sich an, | |
diese ehrwürdige Tradition durch das Liefern einer überprüfbaren Antwort zu | |
sprengen: „Mein Ziel ist einfach“, sagte er einmal: „Es ist das komplette | |
Verständnis des Universums, warum es ist, wie es ist, und warum es | |
überhaupt existiert“. | |
Ein erster Schritt war noch in den Sechzigerjahren sein (und Roger | |
Penroses) Beweis der Existenz von Singularitäten – Zustände im | |
Raum-Zeit-Kontinuum, bei dem alle physikalischen Größen sich zu einem | |
unendlich kleinen Punkt krümmen und jeder Messbarkeit entziehen. Danach | |
widmete er sich der theoretischen Untersuchung von Schwarzen Löchern. In | |
Ableitung der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenfeldtheorie | |
kam Hawking zu dem Schluss, dass von Schwarzen Löchern – entgegen der | |
damaligen Meinung – durchaus eine thermische Strahlung in Form von Teilchen | |
ausgeht. | |
Das „Loch“ ist demnach kein Vakuum, sondern geladen mit „negativer Masse�… | |
die es langsam schrumpfen lässt. Diese Annahme einer sogenannten | |
Hawking-Strahlung war sein wissenschaftlicher Durchbruch. Sie führte zu der | |
Annahme, dass alles, was im Universum existiert, einst in einer unendlich | |
winzigen Singularität eingeschlossen war – und beim Urknall freigegeben | |
wurde. | |
Voilá und mit den Worten von Douglas Adams: die Antwort auf die „Frage nach | |
dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. | |
Hawkings Überlegungen zur Quantengravitation, der Metrik des euklidischen | |
Raumes oder der Pfadintegralformierung sind von einer so aberwitzigen | |
Komplexität, dass sie sich der Intuition des Menschen und sogar der | |
Intelligenz physikalisch interessierter Laien entziehen. Theoretische | |
Probleme wie den Informationsverlust innerhalb Schwarzer Löcher kann man | |
sich, stark vereinfacht, zwar erklären lassen. Man wird es aber spätestens | |
fünf Minuten später nicht mehr schlüssig wiedergeben können. Hawking und | |
seine Kollegen operieren, astrophysikalisch gesprochen, am Ereignishorizont | |
dessen, was der menschliche Geist überhaupt erfassen kann. | |
Umso wichtiger war Hawkings Versuch, seine Erkenntnisse mit Laien zu teilen | |
– wie vor ihm nur Kollegen wie Carl Sagan und nach ihm nur noch | |
Physikdarsteller wie Neil deGrasse Tyson. So sei die Frage, was vor dem | |
Urknall war, so unsinnig wie der Versuch, einen Ort „einen Meter nördlich | |
des Nordpols“ zu lokalisieren. 1988 erschien „Eine kurze Geschichte der | |
Zeit“, die sich zum Weltbestseller und ihren Autor endgültig zum Star | |
machten. | |
Nicht nur popularisierte hier ein Wissenschaftler Fragen der Kosmologie und | |
Stringtheorie. Er inthronisierte überhaupt erst die Wissenschaft als | |
einzige Autorität, die sich an die Antworten wagen dürfe. So erklärte er | |
bereits in den Achtzigerjahren im Vatikan, dass es in einem Universum ohne | |
Rand, Anfang oder Ende auch „keine Notwendigkeit für einen Gott“ gebe – … | |
die Kirche seit Aristoteles als selbst „unbewegter Beweger“ voraussetzen | |
durfte. Jetzt nicht mehr. | |
## Rast- und ruhelos rund um den Globus | |
Hinzu kam, dass diese Erkenntnis von einem durch seine Krankheit schwer | |
gezeichneten Mann kam. Auf den Rollstuhl angewiesen und seit einem | |
Luftröhrenschnitt auch seiner Sprache beraubt, betrieb Hawking seine | |
Forschungen buchstäblich in seinem Kopf. Ein Umstand, den er immer als | |
Segen bezeichnete. Zugleich bereiste er rast- und ruhelos den kompletten | |
Globus, trat auf Symposien und Konferenzen auf, besuchte die Antarktis, | |
stieg zum 60. Geburtstag in einem Heißluftballon auf und genoss die | |
Schwerelosigkeit in einem Parabelflug. Er fuhr seinen Rollstuhl so | |
waghalsig, dass er sich einmal sogar das Bein brach. | |
In seiner Orakelhaftigkeit äußerte er sich zu zahllosen Themen, von der | |
Gesundheitsversorgung (von der er profitierte) bis zur Besiedlung von | |
Exoplaneten (die er für notwendig hielt). Wohl genoss er auch seine enorme | |
Popularität in der Nerdkultur, als deren Schutzheiliger er sich fühlen | |
durfte. In „Big Bang Theorie“ trat er ebenso auf wie in „Star Trek“, wo… | |
gegen Newton und Einstein pokern – und gewinnen – durfte. Er war bei den | |
„Simpsons“ zu sehen und auf einem Album von Pink Floyd zu hören. | |
Neben seiner Intelligenz und seinem Humor strahlte Hawking auch eine | |
bisweilen verstörende Willenskraft und Lebenslust aus. Ein Schutzheiliger | |
mag er bleiben, ein Heiliger war er nie. Seine erste Frau, Jane, schrieb | |
nach 25 Jahren Ehe gleich zwei Bücher über die tyrannischen Facetten dieses | |
großen Geistes, dem Frauen immer als „komplettes Mysterium“ erschienen | |
waren. | |
Womöglich hat Stephen Hawking, wie Ben Moore anmerkte, immer die richtigen | |
und die richtig großen Fragen gestellt. Und es wird wohl noch länger als | |
zehn Minuten dauern, bis alle seine Antworten verstanden – oder widerlegt – | |
sind. Warum der größte Physiker unseres Zeitalters nie den Nobelpreis | |
bekommen hat, wusste er selbst am besten zu erklären: „Den Nobelpreis gibt | |
es nur für theoretische Arbeit, die durch Beobachtung bestätigt ist. Es ist | |
sehr, sehr schwer, die Dinge zu beobachten, an denen ich gearbeitet habe“. | |
14 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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