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# taz.de -- Alexander Schimmelbuschs neuer Roman: Büchner im Businessanzug
> Wenn die Mitte austickt. Alexander Schimmelbusch wirft mit
> „Hochdeutschland“ ein grelles Licht auf die seelische Verfassung der
> Nation.
Bild: Was hat die neue Beschäftigtenklasse hervorgebracht? „die beherzte Der…
Einen Roman zur Zeit zu versuchen, einen Kommentar zur Gegenwart, noch
während sie geschieht, birgt für SchriftstellerInnen ein großes Risiko. Wer
sich in der Literatur allzu intim auf das Hier und Jetzt einlässt, auf
akute Skandale, saisonale Stimmungen und „Aufreger“, läuft Gefahr, dass der
Text schon wieder veraltet ist, bis er endlich erscheint. Was am
Schreibtisch noch ein radikales Statement, ein guter Gag gewesen sein mag,
kann sechs bis zwölf Monate später überholt, lächerlich, peinlich wirken.
Alexander Schimmelbusch wagt mir seinem vierten Buch jetzt genau das: einen
Roman zur Zeit. Er wagt sogar mehr: einen explizit politischen Roman.
Und dieses Projekt ist ihm gelungen – auf geschickt verstörende, schrille
Art. „Hochdeutschland“ heißt die Geschichte. Sie sticht mitten hinein in
eine politische Verzweiflung, die viele – auch die Rezensentin – dieser
Tage umtreibt. Man könnte sagen: Das Buch wirkt. Es haut, um gleich einmal
daraus zu zitieren, rein wie „eine Flasche Richebourg für 2.400 Euro“. Oder
wie eine Grußformel vom anderen Ende der Einkommensskala: „Isch fick deine
Mutter!“
## Ansteckende Links-rechts-Verwirrung
„Hochdeutschland“ spielt hauptsächlich im Rhein-Main-Gebiet, am
Finanzstandort Mainhattan, doch auch in anderen Regionen wird man es
wiedererkennen. Es ist ein Land, in dem Arm und Reich fast schon grotesk
weit auseinandergedriftet sind. Eines, in dem eine schlimm ansteckende
Links-rechts-Verwirrung grassiert und der Populismus aus allen Ecken und
Kanälen kräht.
Über die BewohnerInnen heißt es in Schimmelbusch-typischer Garstigkeit:
„Sie hatten Angst vor der Steuerprüfung, vor der Schuldenfalle, vor der
erektilen Dysfunktion beziehungsweise vor der Scheidentrockenheit. Sie
hatten Angst vor den dunklen Augen der Afghanen oder Libyer oder Iraker
oder Syrer oder wer all diese Leute eben waren. Sie hatten Angst vor dem
betrügerischen Glied in ihrer Lieferkette, das die Kontrollen der
Discounter aushebeln würde, um moldawisches Eselhack in ihre Buletten zu
schustern.“ Und: Sie haben „Angst vor dem großen monatlichen Meeting“, an
dessen Ende womöglich die Abwicklung und Aussortierung steht.
In jenes misstrauische bis misanthrope Soziotop pflanzt der Autor einen
Romanhelden der Extraklasse: Victor, Investmentbanker, 39, Vater einer
sechsjährigen Tochter, von deren Mutter er getrennt lebt. Im 32. Stock
eines Spiegelglasturms herrscht der virile Single-Mann über „junge
Hoffnungsträger mit makellosen Lebensläufen“ und räsoniert: „Eine
Investmentbank war eine Sklavenkolonie mit Ketten aus Bonuszahlungen.“
Schon früh im Roman spricht er aus, wer oder was jene „neue Klasse“ von
TopverdienerInnen – auch ihn selbst – hervorgebracht hat: „die beherzte
Deregulierung der deutschen Kapitalmärkte“.
Ja, tatsächlich: In dem nach außen so Zeitgeist-treu wirkenden Helden –
sein Porsche ist ein geräuscharmes E-Modell, sein Glasbungalow an einem
wohlhabenden Taunus-Hang ist komplett mit digitaler Selbststeuerung
ausgestattet – verbirgt sich ein Kapitalist der alten, sogar der ganz alten
Schule. Während er sich in edlen Lobbys mit teuren Weinen betäubt, sich im
Hauptstadthotel Adlon von einer Masseurin hie und da mal etwas
Handentspannung andienen lässt oder die Gattin seines Taunus-Nachbarn kühl
und hart durchvögelt, hadert er mit dem „System“.
Victor glaubt allen Ernstes noch – oder wieder – an die soziale
Marktwirtschaft. Er reibt sich an der „radikalen Heilslehre von der
Entsolidarisierung, die in den letzten zwei Jahrzehnten lustvoll einen
tiefen Keil in die Gesellschaft des Westens getrieben hatte. Auch in
Deutschland konnte vom egalitären Ideal Ludwig Erhards keine Rede mehr
sein. Obwohl er zur unantastbaren Erben-Kaste gehört, zu den
„Erfolgsdeutschen“, verfasst er eines Tages, wie im Rausch, ein politisches
Manifest. Dessen Punkte sind einigermaßen radikal: Umverteilung von oben
nach unten – Rückverstaatlichung sämtlicher Infrastruktur – eine
gesetzliche Obergrenze für Privatvermögen.
Victors partner in crime ist sein Freund Ali, ein „Türkenjunge vom
Kottbusser Tor“, Erbe eines „Döner-Imperiums“. Mit der Unterstützung se…
fleißigen Eltern schaffte es der Migrantensohn in den 1990ern an eine
Elite-Uni, wo die beiden jungen Männer sich trafen. Später machte Ali
Karriere im Bundestag, bei den Grünen – „ohne jeden Zweifel die deutscheste
aller deutschen Parteien“, wie Victor befindet. Doch Ali ist bald
unzufrieden damit und gründet seine eigene „Liste Osman“. Als
Parteiprogramm dient Victors grelles Umverteilungsmanifest. Er hat es Ali
zugemailt, unter dem Betreff „Hessischer Landbote“ – sozusagen als Büchn…
im Businessanzug.
## Im Zentrum steht der deutsche Politfetisch schlechthin
Das alles grenzt, möchte man zunächst meinen, deutlich ans Genre Satire.
Victors Manifest klingt an vielen Stellen beklemmend populistisch,
„völkisch“ sogar: „Wenn wir unsere Vorzeigebetriebe weiter verhökern wie
auf einem orientalischen Basar, dann wird das hier bald nicht mehr unser
Land sein“, heißt es – und schmeckt nach AfD. An anderer Stelle wiederum
wirkt es verblüffend gendergerecht und flüchtlingsfreundlich, gefordert
wird etwa eine „Armada aus Seenotrettungskreuzern“ fürs Mittelmeer sowie
„faire und transparente Verfahren“ für Geflüchtete.
Im Zentrum des Papiers steht jedoch der deutsche Polit-Fetisch schlechthin,
die sagenumwobene „Mitte“, von Victor als „Wir“ beschworen: „Denn wir…
Kinder der Mittelklasse, liebe Freundinnen und Freunde. Unsere Eltern haben
uns zu fröhlicher Bescheidenheit erzogen“ – schließlich verbrachte jenes
Wir seine Kindheitsurlaube „in ordentlichen Betonkästen an demokratischen
Stränden“. Das Pamphlet vermischt den Tonfall von Björn Höcke mit dem von
Oskar Lafontaine, schiebt dem „üblichen FDP-Gelaber“ den Riegel vor,
schwelgt stattdessen im Norbert-Blüm-Duktus – und formuliert, alles in
allem, exakt das Wahlprogramm, das die SPD bei den vergangenen Wahlen
vielleicht hätte retten können. Letztlich gibt Schimmelbusch mit
„Hochdeutschland“ dem Begriff des „Extremismus der Mitte“ (Seymour Mart…
Lipset) einen neuen, nur auf den ersten Blick absurden Dreh.
Im Roman führt das Manifest zu einem spektakulären Erfolg für die „Liste
Osman“, zu einem Bundeskanzler Ali – und zu einem Superminister für
Finanzen und Bildung namens Victor. In der Realität, bei der
Groko-zermürbten LeserIn, führt es zu einer interessanten Unruhe. Meint der
Autor es wirklich so? Oder ist das nur dieser Roman-Victor? Hat er aber
nicht mit vielem recht? Warum klingt es dann so ätzend, so falsch und
gefährlich? Man kann auf die Idee kommen, den Roman immer wieder nach
„verdächtigen Stellen“ abzuklopfen. „Hochdeutschland“ funktioniert wie…
Reflektor: Die eigene etwaige politische Gereiztheit, Ungeduld,
Unsicherheit wird einem brutalst zurückgeworfen.
## Leitmotiv: das braune Erbe
Schimmelbusch, laut Pass Österreicher, Jahrgang 1975, wuchs als Sohn eines
Wirtschaftsgranden just in jener hessischen Wohlstandswelt auf, die er
jetzt (erneut) schildert, und war fünf Jahre als Investmentbanker tätig,
bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Schon in seinem Romanerstling „Im
Sinkflug“ von 2005 handelte es sich beim Ich-Erzähler um einen sich selbst
zerfleischenden „Erfolgsdeutschen“, der dem Autor in vielem zu ähneln
schien.
Ein Leitmotiv aus allen Schimmelbusch-Romanen wird in „Hochdeutschland“
besonders deutlich: die Nazis, das braune Erbe, aus dem die Bundesrepublik
ihren Wohlstand zog und bis heute zieht. Gegen jenen Sumpf nehmen sich die
Neuen Rechten für Romanheld Victor als dumme „Playmobil-Nazis“ aus. Ob er
sich da nicht verrechnet? An manchen Stellen erinnert Victor an Erich
Kästners Romanheld „Fabian“ von 1931, den selbst ernannten „Moralisten�…
der im späten Taumel der Weimarer Republik vögelnd, saufend und salbadernd
durch die Großstadt zieht – während ringsum das Land in den Faschismus
kippt.
Seine Erzählerposition als Upperclass-Insider hat Schimmelbusch
mittlerweile zu einem eigenwilligen und erstaunlich kohärenten Werk
ausgebaut. Seine teils lakonische, teils giftige (Selbst-)Ironie kann
süchtig machen. Der Ennui, der große edle Daseinsekel, der viele bourgeoise
Dandys in der Literatur kennzeichnet, war immer auch sein Thema. In
„Hochdeutschland“ gönnt er seinem Helden nun den Versuch, sich in schlecht
riechende Fußgängerzonen zu mischen. Wie genau es ausgeht, soll natürlich
nicht verraten werden. Nur so viel: Zum Ende bleibt ein markantes, ein
typisches Schimmelbusch-Bild hängen – menschliche Hirnmasse, die auf „eine
drei Tage alte FAZ“ spritzt.
11 Mar 2018
## AUTOREN
Katja Kullmann
## TAGS
taz.gazete
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