| # taz.de -- Filmkomödie über Panikattacken: Vier Fäuste für ein Burnout | |
| > Der Film „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ erzählt von | |
| > einer Frau, der alles zu viel wird. Bis die Panikattacke ihr beim | |
| > Fremdgehen hilft. | |
| Bild: Der Moment, wenn dir die eigene Angstattacke das Frühstück wegisst | |
| Bremen taz | Eines Morgens wacht Luisa im Schlafzimmer neben sich selbst | |
| auf. Oder besser: neben ihrer Abspaltung, die Ann heißt und eine handfeste | |
| Manifestation ihrer Stressreaktion ist. Sie ist also keine Einbildung, die | |
| im Kino nur die Protagonisten und die Zuschauer sehen können. Ann ist für | |
| alle sichtbar, entwickelt langsam ein eigenes Bewusstsein und sagt Sätze | |
| wie: „Eigentlich bin ich eine Panikattacke, aber ich wollte auch mal raus!“ | |
| Verwechslungskomödien sind ein altes Sub-Genre, in dem seit Shakespeare | |
| nicht viel Neues passiert ist. Doch der Regisseurin Lola Randl ist genau | |
| das mit diesem Dreh gelungen: Denn ihre Protagonistin wird mit sich selbst | |
| verwechselt. | |
| Luisa hetzt durch ihr Leben, weil sie alles haben will, und zwar sofort. | |
| Der sympathische Ehemann reicht ihr nicht, sie braucht auch noch eine | |
| Affäre mit seinem attraktiven Chef. Im Beruf als Paartherapeutin will sie | |
| erfolgreich sein und sich auch noch an der Töpferscheibe künstlerisch | |
| verwirklichen. | |
| Da ist es schon von Vorteil, wenn ihre Doppelgängerin das Wochenende brav | |
| mit dem Ehemann verbringt und sie selber mit dem Geliebten eine Spritztour | |
| macht. Trotzdem hat sie Angst vor ihrem anderen Ich. Denn was ist, wenn | |
| diese eine bessere Version von ihr ist? Und natürlich darf niemand Luisa | |
| und Ann zusammen sehen. | |
| Man kann nur bewundern, wie radikal und uneitel Lina Beckmann sich in diese | |
| Doppelrolle gestürzt hat. Als Luisa ist sie eine egozentrische | |
| Neurotikerin, als Ann ein noch völlig ungeformter neuer Mensch, der sich so | |
| bewegt, spricht und fühlt, als täte er alles zum ersten Mal. | |
| ## Keine von beiden ist sympathisch | |
| Wirklich sympathisch ist aber auch sie nicht, denn sie ist ja nicht | |
| liebenswerter, sondern nur neuer als das Original. „Sie hat keine Angst, | |
| dass sie vor der Kamera schlecht aussieht“, sagt die Regisseurin über die | |
| Schauspielerin, die 2008 in ebenfalls Randls Spielfilm „Die Besucherin“ ihr | |
| Kinodebüt gab. | |
| Die Szenen, in denen sie zugleich als Luisa und als Ann auf der Leinwand zu | |
| sehen ist, machten dies zu einer technischen schauspielerischen Arbeit für | |
| Beckmann, die bisher mehr für das Theater als vor einer Kamera gearbeitet | |
| hat. | |
| Da wurde zwar auch mit einem Double gedreht, aber da es viele komplizierte | |
| Sequenzen gibt, in denen die beiden Frauen sich berühren, musste Beckmann | |
| solche Szenen in drei bis vier verschiedenen Einstellungen spielen, die | |
| dann in der Postproduktion zusammengefügt wurden. Sie spielte dabei ohne | |
| Gegenpart ins Leere. Und da alles genau passen musste, gab es viele | |
| Wiederholungen. Dennoch wirkt ihr Spiel spontan und intensiv. | |
| Randl riskiert einiges, wenn sie es dem Publikum schwer macht, sich mit | |
| ihrer Hauptfigur zu identifizieren: „Sie ist angespannt, narzisstisch, | |
| geizig und angstbesessen“, sagt sie selber über Luisa. | |
| ## Autobiographischer Film | |
| Dann erzählt sie, dass „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ e… | |
| autobiografisches Werk ist: Sie kenne diese Phasen der Überforderung und | |
| Abspaltung von sich selbst. Und weil sie das Drehbuch mit „ein wenig | |
| Leidensdruck“ geschrieben habe, sei ihr Film auch eine Satire geworden, in | |
| der ein grelles und buntes Leben vorgeführt werde, um die Leere zu | |
| kaschieren. | |
| Der Film spielt in einer modellhaften Comicwelt: In der Ferne steht ein | |
| Regenbogen über einem Atomkraftwerk, und die Menschen wohnen in grotesk | |
| verbauten modernistischen Häusern. Die beiden Männer in Luisas Leben | |
| arbeiten in einer Firma, die diese zwar dekorativen, aber im Grunde | |
| unbewohnbaren Immobilien verkaufen. Sie wohnen sogar in Musterhäusern, | |
| sodass jeden Moment potenzielle Kunden an der Tür klingeln und eine | |
| Besichtigungstour machen könnten. | |
| Diese künstliche Außenwelt entspricht der Gefühlswelt der Filmfiguren, und | |
| so ist es gar nicht mehr komisch, wenn die Menschen getrieben und freudlos | |
| dem beruflichen Erfolg, dem Luxus, gutem Essen und Sex hinterher jagen. | |
| Randl hat diese Plastikwelt auf allen Ebenen konsequent gestaltet. Die | |
| Farbdramaturgie besteht aus lauten Signalfarben. Schattierungen wären fehl | |
| am Platz. Und die Musik besteht zum Teil aus quasi-klassischen Stücken, die | |
| klingen, als hätte sie Elektromusik-Pionierin Wendy Carlos in den | |
| 1970er-Jahren auf ihrem Moog-Syntheziser gespielt. Auch sie wirken flach, | |
| kalt und mechanisch. | |
| ## Umkehrung der Geschlechterrollen | |
| Interessant ist die ganz selbstverständliche Umkehrung der | |
| Geschlechterrollen in diesem Film, denn die Männer sind nicht viel mehr als | |
| klischeebehaftete und vermeintlich weibliche Wunschfantasien: Der Geliebte | |
| hat einen tollen Körper und ist immer willig, der Ehemann ist anhänglich, | |
| verlässlich und kocht gerne. | |
| Benno Fürmann und Charly Hübner macht es sichtlich Freude, diese | |
| Karikaturen zu spielen. Und dass Beckmann und Hübner auch in der Realität | |
| miteinander verheiratet sind, gibt dem Film noch einen weiteren ironischen | |
| Dreh. | |
| Weil der Film sowohl von der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein als | |
| auch von der Nordmedia finanziert wurde, sind Teile in Hamburg und | |
| Niedersachsen gedreht. Das Wattenmeer bei Cuxhaven bietet für die letzten | |
| Einstellungen des Films einen eindrucksvollen Kontrapunkt, denn hier | |
| schlägt die Protagonistin in der elementaren Realität auf. Und dafür gibt | |
| es kein passenderes Sinnbild als das Meer. | |
| 9 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
| ## TAGS | |
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| WDR | |
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