# taz.de -- Usbekischer Aktivist in Deutschland: Wie in einem Agentenkrimi | |
> Der usbekische Journalist Ali Ferus saß in Moskauer Abschiebehaft. Dann | |
> kam das Angebot, nach Deutschland zu kommen. Nun ist er frei. | |
Bild: Lebt jetzt in Deutschland: Ali Ferus | |
Es ist der 15. Februar 2018, 8.51 Uhr, als der Journalist und | |
Menschenrechtsaktivist Ali Ferus die dünne weiße Linie im Flughafen | |
Moskau-Scheremetjewo übertritt und zum ersten Mal seit über einem halben | |
Jahr wieder an die Freiheit glaubt. Mit diesem Schritt hat er das | |
Staatsgebiet der Russischen Föderation offiziell verlassen und die | |
Transitzone betreten. Ein Schritt aus der Gefangenschaft, hinein ins | |
staatenlose Wartezimmer. | |
Eineinhalb Stunden später, um genau 11.23 Uhr, hebt die Aeroflot-Maschine | |
mit der Flugnummer SU2300 vom Boden ab. Vom Sitzplatz 32A blickt Ferus | |
durch die Luke in die vorbeifliegenden Wolkenfetzen. Sie erinnert ihn an | |
das Fenster in seiner Gefängniszelle, in der er die letzten Monate | |
verbracht hat. Irgendwo dahinter, über 2.000 Kilometer entfernt, befindet | |
sich sein Ziel: Frankfurt am Main. | |
Am selben Morgen wird Daria Gomelskaia in ihrer Wohnung in Berlin-Pankow | |
vom Vibrieren ihres Handys geweckt. In der Telegram-Chatgruppe „Free Ali | |
Ferus“ schreibt Pawel Gafarow, Ali Ferus’ Verlobter, um 5.11 Uhr aus | |
Moskau: „Wir folgen dem Auto, in dem sich Ali befindet, von der Haftanstalt | |
‚Suswig‘ zum Flughafen. Außer uns sind noch zwei Männer anwesend, die sich | |
als Polizisten ausgeben. Die Leute der Haftanstalt wussten nicht, wer sie | |
sind und warum sie hier sind.“ | |
Daria Gomelskaia kann nicht mehr schlafen, sie macht sich Sorgen. Irgendwie | |
klingt das eher nach Entführung als nach Freilassung. Dabei soll sie die | |
beiden mittags am Flughafen in Frankfurt abholen. 20 Minuten später folgt | |
die nächste Nachricht Gafarows: „Als der Transporter an einer Tankstelle | |
Halt gemacht hat, bin ich kurz zum Wagen rüber, um Ali Ferus anzusehen. Er | |
hat ein Peace-Zeichen mit den Fingern gemacht. Die Sicherheitsleute des | |
Transporters wirkten besorgt wegen der zwei unbekannten Männer in Zivil.“ | |
Daria Gomelskaia ist sich nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Erst als | |
Gafarow um 7.48 Uhr meldet: „Positiver Ausgang: Wir gehen zum Gate“ und | |
jemand den Gruppenchatnamen von „Free Ali Ferus“ in „Sieg“ umbenennt, | |
glaubt sie wirklich an ein Wiedersehen in Frankfurt. | |
Knapp zwei Wochen später sitzen Ali Ferus, sein Verlobter Pawel Gafarow und | |
ihre gemeinsame Freundin Daria Gomelskaia zusammen in einem israelischen | |
Restaurant in Berlin-Mitte und erinnern sich an den Tag von Ferus’ | |
Freilassung. Im Hintergrund klimpert Geschirr, die Kaffeemaschine läuft. | |
Ali Ferus wirkt zunächst abwesend, abgelenkt durch die Geräusche, so, als | |
ob er sie nicht mehr gewöhnt ist. Fast ein bisschen schüchtern guckt er | |
immer wieder auf sein Handy. | |
## Männer in Zivil | |
„Es lief alles total chaotisch ab“, sagt er auf Russisch, Daria Gomelskaia | |
übersetzt. Die Kontrolleure im Flughafen hätten seine Papiere zunächst | |
nicht anerkannt. Dazu die Anwesenheit der beiden Männer in Zivil, die sich | |
später als Geheimdienstmitarbeiter herausstellten. „Ich hatte riesige | |
Angst, dass vielleicht doch noch etwas passiert und ich nicht fliegen | |
darf.“ Daria Gomelskaia erzählt, wie sie die ganze Aktion über den Chat | |
verfolgte. „Das war wie in einem Agentenfilm.“ | |
Am Ende ging dann doch alles gut. Inzwischen hat Ali Ferus eine | |
vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland, ein Asylantrag läuft. | |
Freunde haben ihm ein WG-Zimmer in Göttingen organisiert, wo er ein Büro an | |
der Uni hat und an verschiedenen Projekten mitwirken kann. „Alle waren | |
extrem hilfsbereit, es war unglaublich.“ | |
Ali Ferus setzt seine Brille ab und reibt sich die Augen. Hinter ihm und | |
den anderen liegen anstrengende Wochen. Dass sie jetzt hier so | |
zusammensitzen können, dafür mussten sie und viele andere lange kämpfen. | |
Sechseinhalb Monate, um genau zu sein. Sechseinhalb Monate – so lange | |
[1][saß Ali Ferus, der mit bürgerlichem Namen Churdoberdi Nurmatow heißt, | |
in einem graugelben Gebäude namens Suswig, unweit von Moskau, in | |
Abschiebehaft]. „Gefängnis“ nennt er es. Der einzige Unterschied: Hier | |
werden ausschließlich Ausländer gefangen gehalten, deren Aufenthaltspapiere | |
nicht korrekt oder abgelaufen sind, die illegal ein- oder ausgereist sind. | |
An diesem Ort wurde Ferus sechseinhalb Monate festgehalten, weil sein | |
Asylantrag von den russischen Behörden abgelehnt wurde und er nach | |
Usbekistan abgeschoben werden sollte. So weit die offizielle Version. | |
„Das Urteil war politisch motiviert“, weiß Ali Ferus heute. Für die | |
Behörden war er ein unbequemer Gast. In Moskau war der 31-Jährige für | |
Menschenrechtsorganisationen aktiv und arbeitete als Reporter für die | |
regierungskritische Zeitung Nowaja Gaseta. Er berichtete vor allem über die | |
Situation von Migranten und deren Ausbeutung. Ferus spricht neun Sprachen, | |
das verschaffte ihm Zugang zu sonst isolierten Milieus. | |
Sein erster Artikel für die Zeitung trägt den Titel „Usbekischer Flüchtling | |
im Zentrum Moskaus entführt“ und beschreibt die Machenschaften des | |
usbekischen Geheimdiensts in Russland. Im Nachhinein wirkt der Text wie | |
eine Art Vorahnung auf das, was auch ihm drohen sollte. Im Dezember 2016 | |
veröffentlicht er außerdem einige kritische Artikel zu den | |
Präsidentschaftswahlen in Usbekistan. | |
Heute ist sich Ferus sicher: Das war der eigentliche Auslöser der | |
Festnahme. „Warum hätten sie mich sonst plötzlich verhaften sollen? Ich | |
hatte nie Probleme mit der Polizei. Mein Asylantrag lief noch.“ Pawel | |
Gafarow nickt. Sie vermuten, der usbekische Geheimdienst habe Druck auf die | |
russischen Behörden ausgeübt. Denn schon im März letzten Jahres wurde Ali | |
Ferus einmal verhört. Anwesend waren damals auch zwei Männer in Zivil, die | |
usbekisch miteinander sprachen. | |
Mit dem usbekischen Geheimdienst hatte Ferus schon früher einmal Kontakt. | |
Mit 17 Jahren zog er aus Russland zu seinem Vater nach Usbekistan und nahm | |
die usbekische Staatsbürgerschaft an. Davor besaß er einen sowjetischen | |
Pass. Weil er sich in liberalen Kreisen bewegte und sich kritisch über den | |
Präsidenten Karimow äußerte, wurde der usbekische Geheimdienst auf ihn | |
aufmerksam. Ferus sollte als Informant für sie arbeiten. Doch er weigerte | |
sich und wurde gefoltert. 2009 schafft er es zu fliehen – und landet in | |
Moskau. | |
## Angebot aus Deutschland | |
Acht Jahre später holte ihn seine Vergangenheit in der russischen | |
Hauptstadt wieder ein. Am 1. August 2017 wird Ali Ferus auf dem Weg von der | |
Redaktion zum Gesangsunterricht festgenommen. Ein Gericht entscheidet, dass | |
er mit sofortiger Wirkung nach Usbekistan abgeschoben werden soll. Für den | |
Journalisten und LGBT-Aktivisten hätte das Folter, wenn nicht gar den Tod | |
bedeutet. In Usbekistan steht Homosexualität unter Strafe, auf dem | |
Welt-Pressefreiheits-Index befindet sich das Land auf dem 169. Platz. Noch | |
im Gerichtssaal versucht Ferus sich mit einem Kugelschreiber die Pulsadern | |
aufzuschneiden. Kurz darauf stoppt der Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte die Abschiebung in einem Eilverfahren. Ein Angebot aus | |
Deutschland, Ali Ferus aufzunehmen, liegt bereits zu diesem Zeitpunkt vor. | |
Doch bis das endgültige Urteil feststeht, muss Ali Ferus in Abschiebehaft | |
bleiben. | |
Dass sich im Januar dieses Jahres der Oberste Gerichtshof Russlands | |
einschaltete und eine Neubewertung durch das Moskauer Stadtgericht | |
forderte, liegt auch an dem Einsatz seiner Freunde und Kollegen. „Vor allem | |
die Leute von der Nowaja Gasetahaben mich von Anfang an unterstützt“, | |
erzählt Ferus, „und natürlich alle anderen“. | |
Zusammen mit einem großen Netzwerk aus Unterstützern haben die beiden | |
versucht, Druck auf die russische Politik auszuüben. Auch Amnesty und | |
Reporter ohne Grenzen waren involviert. Der Chefredakteur der Nowaja | |
Gasetawandte sich sogar an Präsident Putin. | |
Daria Gomelskaia ist Teil des deutschen Netzwerks „Freiheit für Ali Ferus“ | |
und hat versucht, Aufmerksamkeit für den Fall in Deutschland zu gewinnen. | |
Im Januar organisierte sie eine Lesung aus Ferus’ Hafttagebüchern in | |
Berlin. Dabei hat sie Ali Ferus nur ein einziges Mal getroffen. „Das war im | |
Theater in Moskau vor zwei Jahren“, erzählt sie. „Ich habe da gerade für | |
eine Menschenrechtsorganisation gearbeitet, bei der auch Ali Ferus aktiv | |
war.“ Ali Ferus legt den Kopf auf ihre Schulter. Das war das erste und | |
letzte Mal, dass sich die beiden gesehen haben. | |
Für das Wochenende sind Ali Ferus und Pawel Gafarow aus Göttingen gekommen, | |
um Daria Gomelskaia zu besuchen. In Berlin wollen sie sich mit Aktivisten | |
und Freunden treffen. Ferus nimmt einen Schluck von seinem Latte macchiato. | |
Eigentlich hat der Arzt ihm geraten, weniger Kaffee zu trinken und zu | |
rauchen, mit Magenbeschwerden war er in Deutschland angekommen, erzählt | |
Daria Gomelskaia. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er das gesagt | |
hat“, sagt Ferus lächelnd. | |
Beim Rauchen erzählt er von seinen Zukunftsplänen – auf Englisch. Zuerst | |
möchte er Deutsch lernen und dann wieder als Journalist arbeiten. Angebote | |
gebe es bereits einige. Und dann natürlich „Pascha“, er schaut zu Pawel | |
Gafarow. Im Oktober haben sich die beiden verlobt, den Antrag machte Ali | |
Ferus aus seiner Zelle, per Handy. Jetzt wollen sie heiraten. | |
3 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Paul Toetzke | |
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