Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess um Brandanschlag: Saufen, grillen, abfackeln
> Fast sechs Jahre nach einem rassistisch motivierten Brandanschlag in
> Woltmershausen beginnt nun der Prozess – er endet wohl mit einer
> Bewährungsstrafe.
Bild: Das Haus der Familie C. kurz nach dem Anschlag im Jahr 2012
BREMEN taz | Am Ende wird Sascha T. wahrscheinlich mit einer
Bewährungsstrafe davon kommen. Darauf haben sich die Staatsanwaltschaft,
sein Verteidiger und das Landgericht schon geeinigt, ehe der Prozess
richtig begonnen hat. Angeklagt ist der 30-Jährige wegen versuchter
schwerer Brandstiftung und weil er seinen Nachbarn Fatih C. mit den Worten
„Ausländer raus“ beschimpft haben soll. Auch der Ruf „Sieg Heil“ soll
gefallen sein, dazu die Drohung „Einer fackelt gleich diese Ausländerbude
ab“.
Mittlerweile ist das alles fast sechs Jahre her – aber weil T. nicht in
Untersuchungshaft saß, blieb die Anklageschrift im Landgericht jahrelang
liegen.
Man habe „größte Schwierigkeiten“, auch nur die Haftsachen rechtzeitig zu
verhandeln, sagt der Sprecher des Gerichtes immer wieder. In der
Vergangenheit wurden deshalb schon mal Untersuchungshäftlinge entlassen,
weil das Landgericht den Prozess nicht rechtzeitig eröffnet hatte.
„Staatsversagen“ raunt einer der vielen Sicherheitskräfte, die den
Prozessbeginn gegen Sascha T. begleiten. Die Richterin kommentiert die
lange Verfahrensdauer mit keiner Silbe.
Selbst der inzwischen 26-jährige Fatih C. kann sich heute an viele Details
jener Sommernacht am Warturmer Platz nicht mehr erinnern. Als er am 28.
Juli 2012, einem Samstag, so gegen drei Uhr morgens nach Hause kommt, wird
er von Nachbarn mit „Ausländer raus“-Rufen begrüßt, sagt er vor Gericht.
Sie grillen und feiern ein paar Häuser weiter, auf ihrer Terrasse.
Er ignoriert das, sagt er, raucht seine Zigarette zu Ende und verschwindet
wortlos im Haus. Kurz danach klingelt es an seiner Haustür. Er sieht den
brennenden Stoff schon durch die Scheibe, auch die Eingangstür wird
eingeschlagen [1][„Die Flamme war einen Meter hoch“, sagte C. damals der
taz.] Was bleibt, ist ein fußballgroßes Loch im Glas und schwarzer Ruß an
der Tür. Mehrere Leute seien beteiligt gewesen, sagt C., und sie hätten
auch Holzlatten dabei gehabt.
In dem Haus wohnt zu jener Zeit die deutsch-türkische Familie C. mit sieben
Kindern. Kurz nach der Tat nimmt die Polizei in der Nachbarschaft vier
Personen fest. Am frühen Morgen kommen sie alle wieder frei. Sascha T. hat
da immer noch 1,87 Promille Alkohol im Blut, die Anklageschrift attestiert
ihm deshalb „verminderte Schuldfähigkeit“.
Der Tatort in Woltmershausen hat eine unrühmliche Vergangenheit: [2][Die
dörflich anmutende Siedlung wurde 1936 errichtet – als „Familien-KZ“ für
„Asoziale“.] Stigmatisierungen gibt es bis heute. Der Anschlag wurde 2012
erst durch den Anruf eines Anwalts bei einer Zeitung bekannt. Eine Woche
nach dem Brandanschlag gingen in Bremen rund 600 Menschen unter dem Motto
„Aufdecken statt Vertuschen!“ auf die Straße. Inzwischen ist das Interesse
gering – zum Prozessbeginn kommen nur drei Zuschauerinnen, aus dem Umfeld
des Angeklagten.
Sascha T. wird erst morgen aussagen, sein Anwalt hat ein Geständnis
angekündigt – das ist die Voraussetzung dafür, dass er mit eineinhalb
Jahren Haft auf Bewährung davon kommt.
Nur einer ist damit nicht einverstanden: Der Anwalt der Familie C., der
zunächst vergeblich versuchte, als Nebenkläger von Fatihs Mutter Nuriye
zugelassen zu werden. Es sei ein „falsches Signal“ und „nicht
nachvollziehbar“, wenn T. als freier Mann davon komme, sagt er. Seine
Mandantin war zum Tatzeitpunkt im Haus und leidet heute unter paranoider
Schizophrenie. Dass der Anschlag damit etwas zu tun hat, ist aus Sicht des
Gerichtes nicht bewiesen.
Anja S., eine der damals Tatverdächtigen, sagte seinerzeit zur taz: „Es war
idyllisch hier, bis die Ausländer kamen.“ Was an der Tür von Familie C.
passiert sei, könne sie aber nicht gutheißen. Ihre Erklärung für den
Brandanschlag: „Einfach zu viel getrunken. Aus dem Suff heraus. Es gibt
keine ausländerfeindlichen Hintergründe oder so.“
28 Feb 2018
## LINKS
[1] /Nachbarn-rufen-Auslaender-raus/!5087793
[2] /Vergessene-NS-Opfer/!5022679
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Prozess
Bremen
Brandanschlag
Freital
Schwerpunkt Rassismus
NS-Opfer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil im Freital-Prozess erwartet: Neue Härte gegen braune Brandstifter
Lange konnten rechte Attentäter mit milden Urteilen rechnen – nun verhängt
die Justiz harte Strafen. Vielleicht auch im Freital-Prozess.
Kameradschaft hetzt gegen Flüchtlingsheim: Pusdorfs Kameraden
In Woltmershausen hetzen BürgerInnen gegen ein geplantes Flüchtlingsheim.
Vorne dabei: „Nordic 12“ – eine neofaschistische Bruderschaft.
Vergessene NS-Opfer: Die Siedlung der „Asozialen“
In Woltmershausen errichtete der Bremer Senat 1936 die Anlage Hashude – ein
„Familien-KZ“ für „Asoziale“. Deren Stigmatisierung dauert bis heute a…
Demo gegen Rassismus: Polizei nach Übergriff in der Kritik
Wegen des rassistischen Brandanschlags in Woltmershausen demonstrierten am
Freitag 600 Menschen. Die Tat wird Thema im Parlament.
Nachbarn rufen „Ausländer raus“: Anschlag im Morgengrauen
Unbekannte versuchen das Haus einer Einwandererfamilie in Bremen in Brand
zu stecken. Leute von nebenan schlagen ein Loch in die Tür.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.