# taz.de -- Papst Franziskus empfängt Erdoğan: Treffen sich zwei „Unbereche… | |
> Erdoğan ist der erste türkische Präsident in fast 60 Jahren, der den | |
> Vatikan besucht. An konfliktreichen Themen dürfte es beim Treffen am | |
> Montag nicht mangeln. | |
Bild: Recep Tayyip Erdoğan und Papst Franziskus bei einem Treffen in Ankara 20… | |
VATIKANSTADT dpa | Dass die Christen die Türken einst als „dauerhafte | |
Feinde“ sahen, steht im Vatikan noch heute in Marmor graviert. Auch die | |
Gemälde in der herrschaftlichen Sala Regia können Recep Tayyip Erdoğan | |
nicht gefallen: Sie zeigen eine Schlacht, bei der vor mehr als 400 Jahren | |
die Christen das Osmanische Reich besiegten. Bei seinem historischen Besuch | |
bei Papst Franziskus wird der türkische Staatspräsident am Montag weder die | |
lateinischen Inschriften noch die Gemälde zu sehen bekommen – und auch die | |
feindselige Stimmung von damals wird nicht zu spüren sein. Doch | |
spannungsfrei wird das Treffen sicher nicht. | |
Es ist der erste offizielle Besuch eines türkischen Präsidenten oder | |
Regierungschefs seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem | |
Heiligen Stuhl 1960. Erdogan will mit Franziskus über den Krieg in Syrien, | |
Flüchtlinge, den Kampf gegen den Terrorismus, Islamophobie und die | |
Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA sprechen – | |
keine leichten Themen. Dazu kommt: „Die beiden haben gemeinsame | |
Charakterzüge: Sie sind spontan und unberechenbar“, sagt der deutsche | |
Vatikan-Experte Ulrich Nersinger. | |
Seit ihrer letzten Begegnung in Erdoğans Prunkpalast in Ankara 2014 ist | |
viel passiert. Die Menschenrechtslage in dem Land hat sich weiter | |
verschlechtert. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 und dem danach | |
verhängten Ausnahmezustand, der seitdem immer wieder verlängert wird, | |
dürften Franziskus' Sorgen um die Meinungsfreiheit in der Türkei nicht | |
kleiner geworden sein. Menschenrechtler sitzen wegen Terrorvorwürfen im | |
Gefängnis. Journalisten, darunter der deutsch-türkische | |
„Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, sind ohne Anklage inhaftiert. Erdoğan h… | |
per Notstandsdekret zahlreiche kritische und pro-kurdische Medien und | |
Vereine schließen lassen. | |
Gar nicht gerne sehen dürfte der Pontifex auch die neueste Entwicklung im | |
Syrien-Krieg. Erst vor zwei Wochen ist das türkische Militär mit | |
verbündeten Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen die kurdische | |
Miliz YPG, die die Türkei als Terrororganisation einstuft, in | |
Nordwestsyrien vorgerückt. Bislang hat sich der Papst noch nicht zu der | |
Entwicklung geäußert, beklagt aber immer wieder „Kriegsstürme“ und | |
appelliert an Konfliktparteien in aller Welt. | |
## Rund 3.500 Sicherheitskräfte sind im Einsatz | |
Der Besuch wird von höchsten Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Die Angst | |
vor Terror und gewalttätigen Demonstrationen ist in der italienischen | |
Hauptstadt groß. 3.500 Sicherheitskräfte sollen im Einsatz sein. Vom | |
Vatikan quer durch Roms Zentrum bis zum Hauptbahnhof wurde ein | |
Demonstrationsverbot verhängt. | |
Das katholische Kirchenoberhaupt und später auch Italiens Staatspräsident | |
Sergio Mattarella und Regierungschef Paolo Gentiloni schütteln am Montag | |
„Hände, die mit Blut befleckt sind“ – so sieht es zumindest das kurdische | |
Netzwerk „Rete Kurdistan“, das Protest angekündigt hat. „Erdoğan Not | |
Welcome, Rom will dich nicht“, heißt es in dem Aufruf. | |
Angesichts der drängenden Themen und der knapp bemessenen Audienz-Zeit von | |
etwa 20 Minuten könnte ein Dauer-Konfliktthema zwischen dem Vatikan und der | |
Türkei in den Hintergrund treten: die Massaker an den Armeniern. | |
Trotz der Warnung Erdoğans, diesen „Unsinn“ zu wiederholen, bezeichnete | |
Papst Franziskus bei einem Besuch in Eriwan 2016 das blutige Vorgehen des | |
Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor mehr als hundert Jahren als | |
Völkermord. Daraufhin warf ihm der damalige Vize-Regierungschef und heutige | |
Verteidigungsminister Nurettin Canikli eine „Kreuzfahrermentalität“ vor. In | |
der islamischen Welt gibt es wohl kaum einen schwereren Vorwurf. Aus dem | |
Vatikan hieß es damals schlicht: Franziskus sei kein Kreuzfahrer. | |
## Jerusalem-Krise macht Treffen möglich | |
Es ist die Jerusalem-Krise, die Erdoğan und den Papst derzeit eint – und | |
die das Treffen wohl erst möglich machte. „Wir sind beide für die | |
Verteidigung des Status quo [von Jerusalem] und haben den Willen, ihn zu | |
schützen“, sagte Erdoğan vor seiner Ankunft in Rom der Zeitung La Stampa. | |
Kurz nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als | |
Hauptstadt Israels anzuerkennen, hatten Erdoğan und Franziskus zweimal | |
telefoniert. | |
Erdoğan hatte sich in dem Konflikt um die Muslimen, Juden und Christen | |
heilige Stadt zum Wortführer der islamischen Welt aufgeschwungen. „Das ist | |
nicht mehr nur die Aufgabe der Muslime, sondern regelrecht der Menschheit“, | |
betonte er staatsmännisch. Dass er nun das Oberhaupt der katholischen | |
Kirche besucht, findet in der Türkei noch wenig Beachtung. Für Erdoğan | |
dürfte es dennoch ein Erfolg sein, mit dem Papst als moralische Instanz an | |
einem Strang zu ziehen. | |
5 Feb 2018 | |
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