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# taz.de -- Walther Rodes „Deutschland ist Caliban“: Ein Berserker gegen Hi…
> Walther Rode steht in einer Reihe mit Kurt Tucholsky und blieb doch
> unbekannt. Sein neu aufgelegtes Pamphlet von 1934 ist eine originale
> Nazikeule.
Bild: Die Nazis verbrannten auch Walther Rodes Werke (Archivbild 1933)
Eine der ersten Streitschriften gegen Hitler und den Nationalsozialismus
ist wiederzuentdecken: Walther Rodes „Deutschland ist Caliban“. Es handelt
sich um keine gesittete wissenschaftliche Abhandlung, sondern um ein
sprachgewaltiges Pamphlet gegen den Hinterwäldler aus Braunau und die
Deutschen aus dem Jahre 1934, das durch seinen polemischen Furor und die
prophetische Klarheit besticht, mit dem es das deutsche Wesen des
Nationalsozialismus, seine mentalen Dispositionen und sein
Welt-mörderisches Streben berserkernd auseinandernimmt.
Walther Rode (geborener Rosenzweig) steht in einer Geistesreihe mit den
berühmten Literaten und Feuilletonisten der Zwischenkriegszeit von Kurt
Tucholsky bis Joseph Roth und ist doch ein großer Unbekannter geblieben. Im
Wien der untergehenden Monarchie macht er sich als barrikadenkämpfender
Anwalt und Publizist einen Namen, dessen Sinn für Gerechtigkeit und
kompromisslose Humanität sich in der Auseinandersetzung mit dem autoritär
verkommenen und moralisch bankrotten Unrechtssystem herausbildet. „Ich steh
nicht auf der Seite des Gewehrkolbens, sondern immer den Bajonettspitzen
gegenüber, jenseits des aufgepeitschten Mutes der Frontkämpfer. […] Mir ist
das Schwein von einem Angeklagten lieber als alle Gerichtshöfe der Welt“,
heißt es in dem präzisen Vorwort, das Lust darauf macht, die Schriften und
das Leben dieses Menschen eindringlicher zu studieren.
Rode verliert seinen Kampf gegen das System. Die von ihm beleidigten
Honoratioren des Rechts sorgen dafür, dass seine Anwaltskanzlei dem Boykott
zum Opfer fällt, und er sieht sich ins Exil gezwungen. Die letzten Jahre
seines Lebens verbringt er im Tessin, wo er sich schreibend über Wasser
hält. In dieser Zeit veröffentlicht er auch „Deutschland ist Caliban“, se…
letztes Buch. Er schrieb es 1933 „zum Zeitvertreib“, während er darauf
wartete (resignierend), dass Hitler „der Schlag trifft“.
Als gern gesehener Gast verkehrt er auch in Künstlerkreisen, in deren Mitte
im August 1934 zu früh und überraschend sein Herz aussetzt. Er ist 58 Jahre
alt. Zu diesem Zeitpunkt sind seine Schriften in vorauseilendem
faschistischen Gehorsam längst auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein Jahr
später begeht Tucholsky in Schweden Suizid, und Joseph Roth trinkt sich
1939 in Paris zu Tode. Keine Brüder im Geiste mehr da also, die an ihn
hätten erinnern können. Die Nazis haben ganze deutsche Arbeit geleistet.
## Keine Verständigung mit Nazis
„Deutschland ist Caliban“ trägt seine histor(iograf)ische Hellsichtigkeit
im Titel. Mit der Caliban-Figur hatte William Shakespeare im „Sturm“ eine
Gestalt purer, triebgesteuerter Natur geschaffen, ein Monster und Unmensch,
an dem alle Zivilisierungsversuche scheitern, und der nur durch sklavische
Unterdrückung in Zaum gehalten werden kann. Genauso ist es um die deutschen
Verhältnisse und das deutsche Wesen von 1933 bestellt, das die
völkisch-nationale Erhebung längst ins barbarische Extrem vorantreibt.
In den Deutschen selbst – keine gesellschaftliche Klasse oder Schicht ist
ausgenommen – ist die Zivilisation zerbrochen oder war vielleicht auch
niemals eingekehrt: „In Deutschland werden Menschen geschunden und
gemartert, massenhaft geköpft, mit Schlagringen gezwungen, Heil Hitler zu
rufen. In Deutschland werden Menschen von Staats wegen die Nieren
eingetreten, die Geschlechtsteile zerfetzt, die Rippen zerbrochen. […]
Deutsche Revolution? Organisiertes Lynchgericht! Polizeilich zugelassener
Pogrom! Reglementiertes Banditentum!“
Schon 1933 sieht Rode, dass sich mit den Nazis jede Verständigung
verbietet, dass die Antwort darauf nur Krieg heißen kann, dass dieses
Deutschland, weil es Caliban ist, untergehen muss und wird. Gleichzeitig
weiß er aber auch, dass sich die Leichenberge noch nicht genügend türmen
und Europa erst in Schutt und Asche liegen muss, bevor die Welt eingreift.
## Polemische Anatomie der Gesellschaft
„Deutschland ist Caliban“ ist eine originale Nazikeule von unbedingt
lesenswerter Aktualität. Rode liefert eine polemische Anatomie der
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse – dieses spezifische Bündnis aus Mob,
Wirtschaftseliten und intellektuellen Wasserträgern, das da im Deutschland
von 1933 sein Haupt erhebt; und er treibt ans Licht, was man die Mentalität
des zivilisationsbrechenden Wesens nennen könnte – ein gigantischer, zum
teutonischen Übermenschennichts aufgeblasener Minderwertigkeitskomplex,
geistig dumpf, moralisch indifferent und von erschreckender
Empathielosigkeit gegenüber jedem, der schwächer und nicht so ist, wie man
selbst.
Es ist diese gesellschaftliche Konstellation und Mentalität des weißen
Subprimatentums, in denen wir unsere Gegenwart in der ihr eigenen
Unmenschlichkeit erkennen können.
11 Feb 2018
## AUTOREN
Eva Berger
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Dystopie
Luft und Liebe
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