# taz.de -- Auftakt der CTM: Innehalten beim alltäglichen Tumult | |
> Das Berliner Festival CTM erforscht unter dem Motto „Turmoil“ | |
> widerständige Potenziale elektronisch generierter Sounds. | |
Bild: Die belgische Postmetalband Amenra | |
Die Debatte über den subversiven Charakter von Musik ist immer aktuell, | |
obwohl ihre Ursprünge bereits in der Antike liegen. Schon Platon warnte | |
bekanntlich vor der Macht der Töne, die in der Lage seien, „die höchsten | |
Gesetze des Staates ins Wanken zu bringen“. Ein historischer Moment, an | |
welchem dies tatsächlich so geschehen ist, eine Revolution ausgelöst allein | |
durch Musik, ist bis jetzt zwar nicht überliefert, dennoch gestaltet sich | |
das Verhältnis zwischen Politik und Musik kompliziert. | |
Einerseits gehört es zu den wunderbarsten Eigenschaften von Popmusik, sich | |
allein durch Kontexte mit Bedeutungen aufladen und Menschen emotional | |
mitreißen zu können. Andererseits birgt genau das die Gefahr wenig subtilen | |
Überschwangs, der politische Positionierung in eine marketingkompatible | |
Pose umschlagen lassen kann. | |
## Drängende Fragen | |
Schlüssige Antworten auf die drängenden außer- wie innermusikalischen | |
Fragen unserer Zeit möchte indes das [1][Festival CTM] in Berlin | |
formulieren. An der Schnittstelle von zeitgenössischer elektronischer Musik | |
und experimenteller Clubkultur verstand es sich seit seiner Gründung 1999 | |
nicht nur als Klassentreffen für Liebhaber unkonventioneller Klänge, | |
sondern auch als Plattform für gesellschaftliche Diskurse und deren | |
Widerhall in Musik und Kunst. | |
Im Januar 2017 reagierten die Festivalmacher mit „Fear Anger Love“ auf das | |
Erstarken von Nationalismen und reaktionären Kräften, das damals in der | |
Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten kulminiert war. 2018 folgt nun | |
„Turmoil“, was so viel wie Aufruhr oder Tumult bedeutet. Primär eine | |
Zustandsbeschreibung sei dieser Begriff, erklärt Jan Rohlf, Mitgründer und | |
Kurator der CTM, die Beschreibung einer Welt in Aufruhr, bei der keine | |
schnellen Lösungen in Sicht sind, der Ausnahmezustand zum Dauerzustand, | |
letztlich zum Alltag geworden ist. | |
Die CTM will dem gegensteuern: „Wir haben diesen Tumult als Thema gesetzt | |
und wollen das Festival als einen Moment zum Innehalten nutzen, der wieder | |
zu der Erkenntnis führt, dass wir das so nicht hinnehmen wollen“, erklärt | |
Rohlf. | |
Also Unruhe mit noch mehr Unruhe begegnen? Wer sich den Trailer zur | |
diesjährigen Ausgabe ansieht und anhört, könnte genau diesen Eindruck | |
gewinnen. Neonfarbene, psychedelisch anmutende Strudel wirbeln in irrem | |
Tempo über den Bildschirm, dazu bohren sich der schrille Noise und die | |
harten Beats des britischen Duos [2][Naked] fast schmerzhaft in die | |
Gehörgänge. | |
Es ist die naheliegende auditive Übersetzung des Themas, aber nur eine von | |
zahllosen Möglichkeiten, denen man beim CTM begegnen kann. Reibung, im | |
positiven Sinne, soll dort nicht unbedingt durch Dissonanzen entstehen, | |
vielmehr durch die Künstler*innen selbst, durch deren Diversität in | |
Ästhetik und Zugängen, Biografien, Herkunft und Hintergrund: Das Festival | |
als Blaupause für eine inklusivere Gesellschaft, als Appell, einander | |
zuzuhören, Empathie für andere, für das andere zu entwickeln, mitzufühlen. | |
Interessanterweise mündet die Frage, wie Künstler*innen den Unwägbarkeiten | |
unserer Zeit begegnen können, tatsächlich in Antworten, die grandios | |
unterschiedlich klingen. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein – für | |
einen Besuch der CTM, traditionell ein Hotspot für die Supernerds unter den | |
Musikconnaisseuren, die schon alle Acts kennen, ist das ohnehin | |
Grundvoraussetzung. | |
Dadurch erfährt man, dass hinter der irren Wut der belgischen Postmetalband | |
[3][Amenra] tief empfundene Melancholie steckt, dass Amenra in ihren | |
brachialen Soundgewittern traumatische Erfahrungen verarbeiten. | |
Oder, wie am anderen Ende der klanglichen Skala, [4][Perel], eine Berliner | |
DJ, die discoiden House produziert, dessen überkandidelte Fröhlichkeit in | |
Wirklichkeit als Reaktion auf den täglichen Horror der politischen | |
Großwetterlage zu verstehen ist. Und welche Rolle dabei die Renaissance von | |
EBM, Electronic Body Music, spielt, wie sie etwa der Trancesound der | |
rumänischen Künstlerin [5][Borusiade] mit militärisch-anarchischer Energie | |
vorantreibt, und wie prophetisch im Gegensatz dazu die Synthiepop-Pioniere | |
DAF klingen, die ebenfalls live spielen werden. | |
Geradezu programmatisch verkörpert die Idee des gleichberechtigten Chors | |
der Stimmen das mittlerweile auf zehn Personen angewachsenen [6][Holly | |
Herndon Ensemble], das sich qua Selbstverständnis intensiv mit menschlicher | |
Stimme und deren digitalen Substituten beschäftigt. | |
Am 3. Februar wird das US-Ensemble einen Abend gestalten, bei dem sich die | |
einzelnen Teilnehmer erst solo vorstellen, dann gemeinsam spielen, fast wie | |
in einer Revue, die sich womöglich als Sinnbild für das gesamte | |
CTM-Festival eignet. Tumult mag Angst und Wut abgelöst haben, die Liebe | |
aber, die ist geblieben. | |
26 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ctm-festival.de | |
[2] https://www.nake.dk/ | |
[3] http://www.ritualofra.com/ | |
[4] https://soundcloud.com/perel-music | |
[5] https://soundcloud.com/borusiade | |
[6] http://hollyherndon.com/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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