# taz.de -- Geräumtes Gebäude in Dortmund: Das Haus ohne Hüter | |
> 753 Menschen hatten einmal ein Zuhause, bis sie es wegen Brandgefahr | |
> überstürzt räumen mussten. Und der Vermieter? Kümmert sich um nichts. | |
Bild: Das Monster von Dortmund ist heute unbewohnbar. Nun sollen die Ex-Mieter … | |
DORTMUND taz | Gerade hat das junge chinesische Ehepaar erfahren, dass ihr | |
früheres Zuhause endgültig verloren ist. Hilflos sucht Mingyu C. den Blick | |
ihres Mannes. „Das können sie nicht machen“, murmelt sie, dreht sich mit | |
ihrem Körper auf dem Stuhl zu ihm um, als würde das alles auf keinen Fall | |
passieren, wenn Jiang ihr nur zustimmt. „Wie soll das gehen?“ Jiang W. | |
schüttelt den Kopf. Auch er weiß es nicht, und ihm fehlt die Kraft, Mingyu | |
zu beruhigen. Dass sie in drei Wochen alle Möbel, alle Habseligkeiten, die | |
sie noch immer dort lagern, herausholen müssen. Dass sie ihre eigene | |
Wohnung, in der sie mehr als drei Jahre ihr Leben gelebt haben, nicht mehr | |
betreten dürfen. | |
Mingyu C. und Jiang W. möchten ihren vollen Namen nicht preisgeben. Sie | |
sind zwei von 753 Menschen, die den Hannibal-II-Wohnkomplex in | |
Dortmund-Dorstfeld am 21. September 2017 verlassen mussten. Innerhalb | |
weniger Stunden ließen die Verantwortlichen der Stadt das Gebäude räumen – | |
wegen zufällig entdeckter schwerer Brandschutzmängel. Wie insgesamt 288 | |
Betroffene lebt die kleine Familie auch heute noch in keiner eigenen | |
Bleibe, sondern in einer Notfallwohnung, die die Stadt Dortmund für Fälle | |
wie ihre angemietet hat. Mingyu C. erinnert sich an jenen Tag, an dem alles | |
anders wurde, so präzise, als hätte sie das erst am Abend zuvor | |
durchgemacht: | |
Das Essen, ein Topf mit Bohnen und Speck, steht bereits auf dem Herd, als | |
es klingelt. Ein wenig verdutzt öffnet Mingyu die Tür, blickt einem | |
aufgeregten Feuerwehrmann ins Gesicht. „In einer Stunde müssen Sie hier | |
raus sein“, sagt der, trommelt ohne jede weitere Erklärung auf das | |
Ziffernblatt seiner Armbanduhr, ruft über Mingyus Schulter hinweg in die | |
Wohnung: „Packen Sie nur das Nötigste ein!“ Ob das ein Witz sei, fragt | |
Mingyu ihn noch, „kein Witz“, winkt der Mann ab und verschwindet, zwei | |
Treppenstufen auf einmal nehmend, in die untere Etage. | |
## Von der Wohnung in die Sporthalle auf eine Pritsche | |
Mingyu und Jiang wohnen mit ihrer sechs Monate alten Tochter Emily im 16. | |
von 17 Stockwerken des Hochhauses. Bei dem Gedanken an ein Feuer geraten | |
sie in Panik. Babysachen, Wechselwäsche und die Ausweise packt das junge | |
Paar zusammen, hastet vor das Gebäude, strandet zwischen Hunderten | |
Nachbar*innen, Mitarbeitenden der Stadt, Feuerwehrleuten. Alle rufen | |
Fragen, Antworten hat niemand. Jemand schickt die kleine Familie zu einer | |
nahe gelegenen Sporthalle, wo Feldbetten wie Strandliegen dicht gedrängt | |
nebeneinander platziert wurden. Informationen, warum sie die Nacht nicht in | |
ihrer Wohnung verbringen dürfen, erhalten Mingyu und Jiang an jenem Abend | |
nicht mehr. | |
Die Geschichte von Mingyu C., Jiang W. und Emily ist die einer Vertreibung. | |
Einer jungen Familie wird das Zuhause genommen, weil private | |
Immobilieninvestoren sich aus ihrer Verantwortung stehlen, indem sie ein | |
undurchsichtiges Netzwerk im Hintergrund aufbauen. Dessen Spuren enden in | |
einem Vorort der zypriotischen Hauptstadt Nikosia. | |
2011 kommen Mingyu, 32, und Jiang, 34, aus China zum Studieren nach | |
Deutschland, Jiang lernt Maschinenbau an der Technischen Universität, | |
Mingyu Design an der Fachhochschule. Als beide vor einem halben Jahr ihre | |
Abschlussarbeit anmelden, kommt ihre Tochter zur Welt. | |
Die jetzt zehn Monate alte Emily zupft am Hosenbein ihrer Mutter. Sie | |
scheint zu wissen, dass sie die gewollte Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie | |
in den Ikea-Kartons herumwühlt, die wie ein großes braunes Rechteck auf dem | |
Boden zusammengeschoben wurden. Mingyu und Jiang haben keinen Platz mehr | |
für die Sachen in den Kartons. Noch stehen all ihre Möbel in der Wohnung, | |
die sie vor vier Monaten überstürzt verlassen mussten. Jetzt leben sie auf | |
65 Quadratmetern, 20 weniger als früher. | |
## Das Monsterhaus von Dortmund-Dorstfeld | |
Der Hannibal II erhebt sich fast schon monströs im Westen der Stadt über | |
dem Stadtteil Dorstfeld. Die acht Wohneinheiten teilen sich 15 Hausnummern, | |
das kleinste Hannibal-Haus ist 31, das größte knapp 48 Meter hoch. 370 der | |
412 Wohnungen waren vor der Räumung belegt. Gebaut in den 1970er Jahren, | |
sollte der Wohnkomplex ursprünglich für eine soziale Durchmischung sorgen: | |
sozial geförderte Maisonettewohnungen neben Wohneinheiten für Studierende | |
der nahe gelegenen Universität. Menschen, die ein mittleres oder höheres | |
Einkommen hatten, sollten für die sozial Schwächeren den Ausgleich zahlen. | |
Fördergelder, unter anderem von der Wohnbauförderungsanstalt | |
Nordrhein-Westfalen, flossen in Millionenhöhe. Doch es bleibt bei dem | |
löblichen Versuch: Wie der Dortmunder Mieterverein berichtet, klagen die | |
Bewohner*innen schon bald über „dunkle Durchgänge, die zu Angsträumen | |
werden“, über Baumängel und hohe Betriebskosten. | |
Der damalige Bauherr, das städtische Wohnungsunternehmen Dogewo, verbessert | |
den Brandschutz, saniert die Aufzüge und die Betonfassade, senkt ab Ende | |
der 1990er Jahre sogar schrittweise die Mieten. Doch wer es sich leisten | |
kann, zieht trotzdem weg. Hunderte Wohnungen veräußert die tief in roten | |
Zahlen steckende Dogewo 2004 an eine private Unternehmensberatung. Die | |
verspricht den verbliebenen Mieter*innen lebenslanges Wohnrecht und | |
umfangreiche Sanierungen. Als das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten | |
steckt, werden diese jedoch abrupt abgebrochen. | |
Nach der Insolvenz des Unternehmens geht der Hannibal 2011 in die | |
Zwangsversteigerung. Schon in der Vorbereitung darauf wird ein | |
Verkehrswertgutachten erstellt, das auf die mangelnde Brandsicherheit | |
hinweist. Doch niemand kümmert sich darum. Mittelschichtler*innen leben zu | |
der Zeit schon längst nicht mehr im Hannibal. Vor allem ausländische | |
Studierende, Geflüchtete und sozial Schwache bewohnen den Hannibal, als er | |
2017 geräumt wird. | |
Schon bei einem kleinen Schwelbrand, so wird es später heißen, hätte sich | |
der Rauch innerhalb kürzester Zeit auf den 27.955 Quadratmetern ausbreiten | |
können. „Es war Gefahr im Verzug, Gefahr für Leib und Leben“, sagt | |
Stadtsprecherin Anke Widow am Telefon. Auch sie erinnert sich an die Tage | |
und Wochen im vergangenen Spätsommer noch sehr genau. | |
## Wie die Brandgefahr entdeckt wurde | |
Wie die [1][Ruhr Nachrichten berichten] gehen am 29. August 2017, gut drei | |
Wochen vor der Räumung, fünf Personen in den Hannibal. Zwei | |
Feuerwehrmänner, ein Handwerker und zwei Angestellte der Firma Intown | |
sollen sich den Brandschutz in dem Koloss ansehen. Ein Anwohner hatte sich | |
gemeldet und per Mail von Sperrmüll, offenen Feuerschutztüren und fehlenden | |
Feuerlöschern berichtet. Die Bewohner*innen des Hannibal waren aufmerksamer | |
und sensibler geworden: Rund zwei Monate zuvor hatte in London der | |
Grenfell-Tower, ein Hochhaus mit 24 Stockwerken, gebrannt. 71 Menschen | |
starben. Und im Januar 2016 war in der Dortmunder Nordstadt in einem | |
Komplex mit 230 Wohnungen ein Feuer ausgebrochen. Damals hatte es in der | |
Tiefgarage gebrannt, bis sich die Rauchschwaden wie ein schwarzer Umhang um | |
die ganze Stadt gelegt hatten. | |
Die Feuerwehrleute notieren auf ihrem Klemmbrett die Beobachtungen des | |
Mieters und viele, viele weitere Mängel. Auf den Fluren, die in einem | |
Brandfall eigentlich als Fluchtwege dienen sollen, wurden mit Rigipsplatten | |
kleine Bereiche für Waschmaschinen und Trockner hochgezogen. Dadurch sind | |
die Korridore nun viel zu eng. Von den eingebauten Feuerschutztüren ist | |
kaum eine intakt. Eine ellenlange Liste geht zum zuständigen | |
Bauordnungsamt, das für den 19. September eine sogenannte Nachschau | |
anordnet. Als die Männer von Feuerwehr und Bauordnungsamt an diesem Tag | |
durch das Gebäude gehen, steht zufällig eine Wohnungstür offen – was | |
womöglich Hunderten Menschen das Leben rettet. Denn nur so können sie | |
feststellen, dass die Wohnungen über offene Schächte hinter teils | |
eingerissenen Rigipsplatten miteinander verbunden sind. Nichts an diesen | |
Schächten entspricht auch nur ansatzweise dem Brandschutz. Die Männer | |
betreten weitere Wohnungen, der Schachtbau ist überall gleich – gleich | |
gefährlich. | |
Denn die Belüftungsschächte sind direkt mit der Tiefgarage verbunden. Wäre | |
dort ein Feuer ausgebrochen, hätte es, so schätzt die Feuerwehr, 15 bis 30 | |
Minuten gedauert, bis der heiße Rauch das komplette Gebäude verqualmt | |
hätte. Eigentlich müssten es mindestens 90 Minuten sein. „In Windeseile | |
hätte sich der Rauch in allen Wohnungen ausbreiten können, und das ohne | |
Fluchtmöglichkeiten“, sagt Stadtsprecherin Widow. „Einfach nur | |
unverantwortlich“, murmelt sie noch. | |
Unverantwortlich handelt die Firma Intown, „das finden in Dortmund alle“, | |
sagt Mingyu C. und setzt die sich windende Emily auf ihren Schoß. Nie habe | |
die Firma freiwillig mit den Mieter*innen kommuniziert, auch nicht vor der | |
Räumung, als schon ständig etwas in dem Gebäude defekt war. „Im neunten | |
Monat meiner Schwangerschaft musste ich bis in den 16. Stock laufen, weil | |
der Aufzug nicht funktioniert hat.“ Doch entweder handelten die | |
Bewohner*innen selbst, oder die Stadt sprang ein. | |
Zwölf Stunden warten Mingyu C. und Jiang W. am Tag nach der Räumung auf die | |
Nachricht, dass sie eine Notfallwohnung von der Stadt erhalten. Um kurz vor | |
Mitternacht, im strömenden Regen, kommen sie dort an, am anderen Ende der | |
Stadt, im ruhigen Dortmund-Wickede. Auf ihrem Smartphone zeigt Mingyu die | |
Bilder vom Tag ihrer Ankunft: Wisch, vier Betten, Decken, Kissen, wisch, | |
ein Esstisch mit Stühlen, wisch, Herd, Töpfe, Teller. Das muss für die | |
ersten Tage reichen. | |
## Die Hausverwalter sind abgetaucht | |
Auf der ersten Mieterversammlung Anfang Oktober, zu der auch Mingyu und | |
Jiang gehen, kündigen Baudezernent Ludger Wilde und Oberbürgermeister | |
Ullrich Sierau an, der Hannibal werde auf längere Sicht nicht bewohnbar | |
sein. Die Mieter*innen sind entsetzt, einige drohen mit Hungerstreik. | |
Intown-Vertreter*innen sind keine zugegen, auch fortan wickelt die Stadt | |
die gesamte Kommunikation ab. Dabei ist sie längst nicht mehr die | |
Eigentümerin oder Verwalterin des Gebäudes. | |
Der Dortmunder Mieterverein berichtet von einer „wahren Bieterschlacht“, in | |
deren Rahmen der Hannibal Ende 2011 für 7 Millionen Euro an die in Berlin | |
ansässige Lütticher 49 Properties GmbH geht. Nach der Versteigerung soll | |
ein Unternehmensvertreter auf die Frage, was die Firma mit dem Hannibal | |
plane, die wolkige Antwort gegeben haben: „To make it nice … and bring nice | |
people“. Als Gebäudeverwalterin wird zunächst die Dairos Property | |
Management GmbH eingesetzt, im August 2016 dann die Intown Property | |
Management GmbH. Ihre Adresse in Berlin ist Sitz zahlreicher | |
Objektgesellschaften. Recherchen des Mietervereins und der taz ergaben, | |
dass die Lütticher Properties GmbH im Besitz einer auf Zypern registrierten | |
Eigentümergesellschaft ist. Auch Intown gehört einer Firma mit Sitz auf | |
Zypern. Dort laufen alle Fäden, die um den Hannibal gesponnen sind, | |
zusammen. | |
Wer vor dem Hannibal steht, muss den Kopf ganz in den Nacken legen, um das | |
oberste Stockwerk sehen zu können. Die orangebraunen Balkone an der | |
Frontseite schieben sich immer mehr nach vorne, je weiter es nach unten | |
geht. Als hätte man die oberste Schublade einer Kommode nur einen Spalt | |
breit geöffnet, die unterste dagegen ganz herausgezogen. Nur mit Wachschutz | |
dürfen Mieter*innen das Gebäude jetzt noch betreten, nur kurz, wenn sie | |
spontan vorbeikommen, etwas länger, wenn sie vorab einen Termin | |
vereinbaren. | |
## Hausverwaltung will Schadenersatzansprüche vermeiden | |
In einem kleinen, schäbigen Container vor einem der Eingänge zum Hannibal | |
hat Intown ein Büro eingerichtet. Ein junger Mann mit gegeltem schwarzen | |
Haar öffnet schwungvoll die Tür, knöpft den eleganten grauen Mantel zu und | |
schüttelt den linken Ärmel über die edle Golduhr am Handgelenk. „Alle | |
Presseanfragen über Martina Rozok“, sagt er freundlich und notiert die | |
E-Mail-Adresse auf einem Zettel. Papierberge stapeln sich auf seinem | |
Schreibtisch, Mietverträge, Listen mit den Namen von Bewohner*innen, mit | |
denen geprüft wird, ob jemand die Berechtigung hat, das Haus zu betreten. | |
Viele der Bewohner*innen berichten das Gleiche: Intown lege ihnen, | |
besonders jenen, die nur schlecht Deutsch sprechen oder wenig Geld haben, | |
Aufhebungsvereinbarungen vor, mit denen sie auf alle Rechte und | |
Schadenersatzansprüche gegenüber der Vermieterin verzichten. | |
Doch wer sich an Martina Rozok aus der Pressestelle von Intown wendet, wird | |
vertröstet – und das immer und immer wieder. Ein Interview mit dem | |
Geschäftsführer, Sascha Hettrich, sei möglich, schreibt sie zunächst, man | |
müsse sich nur noch etwas gedulden. Je öfter man nachfragt, desto mehr | |
Geduld braucht es. Andere Medien, wie etwa die lokalen Ruhr Nachrichten, | |
machen die gleiche Erfahrung. Am Ende einer jeden Mail verabschiedet sich | |
die Pressesprecherin stets mit einem süffisanten „Ihre Martina Rozok“. | |
Seit sieben Jahren arbeitet Tobias Scholz beim Dortmunder Mieterverein, | |
genauso lang beschäftigt ihn der Hannibal-Komplex. Doch die Räumung und der | |
anschließende Umgang von Intown mit den Bewohner*innen hätten ihn „aus | |
allen Wolken“ fallen lassen. „Die Mängel im Hannibal sind seit Jahren | |
Dauerthema. Aber damit, dass das Gebäude nicht einmal hätte betrieben | |
werden dürfen, hat nun wirklich niemand gerechnet“. Aus all den Unterlagen, | |
die er zum Hannibal gesammelt hat, könnte Scholz wohl ein Papierhaus in | |
ähnlicher Größe zusammenbauen. | |
## Die Spur führt zu einem Wohnhaus auf Zypern | |
Im Handelsregister findet sich als Mutter der Lütticher 49 Properties GmbH, | |
der Hannibal-Eigentümerin, eine Fanrouge Limited (Ltd.) mit Sitz auf | |
Zypern. Diese wiederum gehört einer zypriotischen Firma, der KKLAW Nominees | |
Ltd., welche nun an der Firma beteiligt ist, der die Intown-Gruppe gehört. | |
Die Spuren enden schließlich bei einer zypriotischen Anwaltskanzlei in der | |
Peripherie eines Vororts der Hauptstadt Nikosia. Wie taz-Recherchen | |
ergaben, befindet sich unter der angegebenen Adresse ein gewöhnliches | |
Wohnhaus. Nirgends wird der Name KKLAW erwähnt. Doch nicht erst seit den | |
Panama Papers liegt ein Verdacht nahe: Über solche Adressen landen die | |
Mieteinnahmen aus dem Hannibal in der Steueroase am Mittelmeer. | |
Letztlich lässt sich aus dem nebulösen Geflecht nicht entschlüsseln, wem | |
die Lütticher, der Intown-Komplex und damit der Hannibal gehören. Im | |
Grundbuch tauchen diverse Firmennamen auf, in Handelsregisterauszügen | |
ebenso. Welche Person Entscheidungen trifft, bleibt verschwommen. | |
Der Grundbucheintrag, der der taz vorliegt, zeigt: Für den Kauf des | |
Hannibal nahm die Lütticher 49 Properties GmbH einen | |
7-Millionen-Euro-Kredit bei der israelischen Bank Hapoalim auf. Damit wurde | |
der Kauf fast vollständig über Fremdkapital finanziert. Knapp zwei Jahre | |
später findet sie einen neuen Kreditgeber: die Berlin Hyp AG, eine auf | |
Immobilienfinanzierungen spezialisierte Bank der Berliner Sparkasse. Diese | |
finanzierte mit dem Kredit aber nicht nur den Hannibal in Dortmund, sondern | |
auch eine Immobilie in Wuppertal. Auch die wurde im Juni 2017 wegen | |
Brandschutzmängeln geräumt. Und auch die wird von Intown verwaltet. | |
## Wird das Dortmunder Hochhaus zur Ruine? | |
Tobias Scholz vom Mieterverein erklärt das Modell Intown so: „Intown | |
beschafft sich Problemimmobilien, setzt dafür möglichst wenig Eigenkapital | |
ein und hält die Instandhaltungskosten so gering wie möglich.“ 370 | |
Haushalte zahlten Miete an Intown, Investitionen in das baufällige und | |
problembehaftete Haus erhielten sie dafür nicht. | |
Was Intown jetzt plant, ist unklar. Zunächst einmal haben sie die Stadt | |
Dortmund vor dem Verwaltungsgericht verklagt. Die Räumung sei unrechtmäßig | |
und unnötig gewesen. Denkbar ist, dass der Hannibal zu einer Ruine wird, | |
die irgendwann abgerissen werden muss. Oder die Tochterfirma von Intown | |
geht in die Insolvenz, der Hannibal wird wieder einmal versteigert. Oder | |
aber Intown verkauft den Hannibal selbst. Das wäre ohne Mieter*innen, die | |
noch Altverträge haben, natürlich einfacher. | |
Was für Variante eins spricht: Am Mittwoch hat Intown den Hannibal restlos | |
stillgelegt, was bedeutet, dass in den kommenden Jahren auch keine Heizung | |
laufen wird. Darunter leiden die Gebäudesubstanz und alles, was sich sonst | |
noch in dem Haus befindet. | |
Den Mieter*innen hat Intown drei Wochen Zeit gegeben, ihr komplettes Hab | |
und Gut aus dem Gebäude zu holen. Ab dem 15. Februar soll den Hannibal | |
niemand mehr betreten dürfen. Der Mieterverein versucht zurzeit, vor | |
Gericht einstweilige Verfügungen gegen Intown zu erwirken, zum Teil mit | |
Erfolg. „Die Mieterinnen und Mieter haben ein Recht darauf, ihre Wohnungen | |
dauerhaft und täglich zu betreten. Aber Intown verhält sich eiskalt“, sagt | |
Tobias Scholz. | |
Mingyu C. und Jiang W. müssen beide in wenigen Tagen ihre Masterarbeit | |
abgeben, täglich nehmen sie Emily mit in die Universität, weil die | |
ehemalige Tagesmutter zu weit weg wohnt. „Wir können einen Umzug jetzt | |
nicht schaffen“, sagt Mingyu. Ihre vollen Wangen fallen etwas ein, winzige | |
Schweißtröpfchen bilden sich auf ihrer Stirn. Eine 80-Quadratmeter-Wohnung, | |
für die sie im Hannibal 630 Euro warm gezahlt haben, werden sie in Dortmund | |
nicht mehr finden. | |
Wer Intown fragt, was sie sich dabei denken, dass knapp 300 Menschen in | |
drei Wochen eine neue Wohnung und ein Umzugsunternehmen finden müssen, wie | |
Umzüge aus der 16. Etage klappen sollen, wenn Aufzüge nicht funktionieren, | |
oder ob sie Einlagerungsmöglichkeiten für die Möbel bereitstellen, wird | |
vertröstet. Von Interviews nehme man derzeit Abstand, heißt es. Ihre | |
Martina Rozok. | |
2 Feb 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://ruhrnachrichten.atavist.com/schacht-matt-im-hannibal | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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