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# taz.de -- Mobile Häuschen für Obdachlose: Home Little Home
> Erst war es eine Kunstaktion, jetzt wohnen in den Minihütten von Sven
> Lüdecke tatsächlich Obdachlose. Rund 25 stehen schon in Berlin.
Bild: Die Little Homes in Heinersdorf
Die Unterführung am S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf ist ein unwirtlicher Ort.
Man steht direkt unter der Autobahn. Es ist laut, es stinkt nach Abgasen,
und es zieht. Niemand käme auf die Idee, an dieser Stelle ein Lager
aufzuschlagen. Und trotzdem wohnen dort Obdachlose.
Schemenhaft zeichnen sich vier Häuschen vor einer Betonwand mit Graffiti
ab. Es handelt sich um sogenannte Little Homes – fast hätte man sie
übersehen. Die Ausmaße sind so, dass ein Mensch gerade so darin stehen und
liegen kann: 1,90 Meter hoch, 1,20 breit und 3,20 Meter lang. Die Wände
sind aus Pressspannplatten gezimmert, der Boden besteht aus Europaletten,
das ganze Konstrukt steht auf Rollen. Eine Matratze, ein Regal, ein
Erste-Hilfe-Set, ein Feuerlöscher werden mitgeliefert. Auch ein
Waschbecken, eine Kochmöglichkeit und ein Campingklo gehören dazu.
Kostenpunkt: Rund 800 Euro pro Stück.
Gebaut werden die Häuser nur für Obdachlose. 42 gibt es bundesweit, 16
stehen in Berlin. Sven Lüdecke, ein 40-jähriger Fotograf aus Köln, hat das
Projekt Ende 2016 ins Leben gerufen. „Am Anfang war es eine Kunstaktion“,
erzählt Lüdecke. „Aber die Sache ist losgegangen wie eine Rakete und zündet
und zündet.“ Das Projekt ist in allen Medien. 6.000 Bewerber um die
Minihütten stünden inzwischen auf der Warteliste – Wohnungslose aus dem
ganzen Bundesgebiet. Der Kontakt läuft über Facebook und WhatsApp. „Wir
werden total überrannt.“
Das Material für die Häuschen wird aus Spenden finanziert. Seit Sommer 2017
ist Little Home ein gemeinnütziger Verein. In einer Werkstatt in Köln
werden die Hütten von einer aus Freiwilligen bestehenden Baugruppe gebaut.
Dann werden die Teile auseinandergenommen, in die jeweiligen Städte
transportiert und dort mit Unterstützung der künftigen Bewohner montiert.
Letztere bekommen das Häuschen geschenkt für die Zeit, solange sie darin
wohnen.
Kritiker sprächen auch von einer „Hühnerbox“, sagt Lüdecke. „Aber wenn…
die glücklichen Gesichter der Leute sieht, ist es egal, dass es keine
Heizung und keinen Strom gibt.“ Was für die Obdachlosen zähle, sei, dass
sie etwas bekämen, was sie vorher nicht hatten, „ein kleines Zuhause mit
einem Dach über dem Kopf“. Die Häuschen seien auch gut isoliert. Eine
Messung bei 7 Grad Minus Außentemperatur habe im Innenraum 13,9 Grad
angezeigt. „Die eigene Körpertemperatur, ein Hund und zwei Grablichter
machen was aus.“
Wer eine Hütte bekommt, das wird von der Baugruppe entschieden. Es gibt
Bedingungen: Beim Kennenlerngespräch müssen die Bewerber nüchtern sein.
Junkies und Alkoholkranke schieden aus, sagt Lüdecke. Woran man das
festmacht? „Wenn wir gemeinsam bauen, merken wir, wer große Alkoholprobleme
hat.“ Später, in der Hüte, könnten die Leute dann machen, was sie wollen.
Little Homes gibt es inzwischen in Köln, Berlin, Hamm, Bonn, Nürnberg und
Frankfurt am Main. 2018 sollen Leipzig, Hamburg und München erschlossen
werden. Die Organisation sei längst zu einem Fulltimejob geworden, sagt
Lüdecke. Little Home suche deshalb nach einem sozialen Träger. Den zu
finden sei aber schwierig, „weil wie unsere rebellische Art nicht verlieren
wollen“.
Prinzipiell dürften die Häuschen nur auf Privatgelände stehen, sagt
Lüdecke. Die meisten stünden auf Firmengelände. Um die Notwendigkeit einer
Baugenehmigung zu umgehen, müssten die Hütten verrückbar sein, darum hätten
sie Rollen.
Die einzigen Little Homes, die sich in Berlin auf öffentlichem Straßenland
befinden, sind die vier Hütten in der Unterführung in Pankow-Heinersdorf.
Als die taz dort an einem Januarnachmittag vorbeischaut, sind alle bis auf
eine mit Vorhängeschlössern verriegelt. Vor den Türen liegen Fußmatten, die
Fensterchen sind von innen zugehängt. Der Platz davor ist sauber und
aufgeräumt. Auf das Klopfen hin beugt sich ein etwa 30-jähriger Mann aus
dem offenen Häuschen. Der Kopf ist kahl rasiert, der Körper in einen
Schlafsack gewickelt. Er gibt zu verstehen, dass er Pole sei und kein
Deutsch spreche; die anderen seien gerade am Alexanderplatz.
## Aufmerksamkeit wecken
Alle Bewohner seien Polen, hatte Lüdecke zuvor am Telefon erzählt. Um
keinen Vorwand für eine Räumung darzustellen, versuchten sie, möglichst
nicht aufzufallen.
Der für das Ordnungsamt in Pankow zuständige AfD-Stadtrat Daniel Krüger
reagierte nicht auf die Anfrage der taz. Zur Bild-Zeitung hatte Krüger
gesagt, wegen der Witterungsbedingungen würden die Häuschen zurzeit
toleriert, sie könnten aber keine Dauerlösung sein. Die Pankower
Sozialstadträtin Rona Tiedje (SPD) erklärte am Freitag auf Nachfrage, sie
sei von der Idee der Little Homes begeistert. Das Problem der
Obdachlosigkeit lasse sich damit selbstverständlich nicht lösen, aber als
Übergangslösung könne das ein interessantes Projekt sein. „Wir brauchen
kreative Ansätze.“ Das findet auch die Sozialpolitikerin Fatoş Topaç. Die
Grünen-Abgeordnete hat sich Ende vergangenen Jahres mit Lüdecke getroffen.
Sie könne sich vorstellen, einen Runden Tisch zu dem Thema mit
Bezirksvertretern und anderen Interessierten zu initiieren, sagte Topaç der
taz.
Nach seinen Plänen gefragt, erklärt Lüdecke, die Little Homes seien
natürlich ein endliches Projekt. Schließlich seien zigtausend Menschen in
Deutschland obdachlos. Die Anzahl der Häuschen in den einzelnen Städten
habe man auf jeweils 25 begrenzt. In Berlin gebe es vielleicht ein paar
mehr. „Was wir mit der Aktion wollen, ist Aufmerksamkeit für das Thema
Obdachlosigkeit zu wecken.“ Die Politik müsse sich bewegen und Wohnraum für
diese Leute schaffen.
Was das laufende Projekt betreffe, sei es aber so, dass Little Home zu
jedem einzelnen Bewohner Kontakt halte, betont Lüdecke. Eine positive Folge
der Aktion sei, dass zehn der ehemaligen Bewohner inzwischen ein richtiges
Dach über dem Kopf hätten. Sechs hätten Arbeit, auch wenn es zum Teil nur
Minijobs seien. Die frei gewordenen Hütten, um deren Wartung sich Little
Home auch kümmert, gehen dann an einen Nachfolger über.
28 Jan 2018
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Obdachlosigkeit
Wohnungslosigkeit
Wochenkommentar
Obdachlosigkeit
Hannover
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