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# taz.de -- „Dwarika's Hotel“ in Kathmandu: Ein Waisenhaus für Nepals Kult…
> Das „Dwarika's Hotel“ ist bekannt für kunstvolle Schnitzereien. Gefertigt
> wurden sie von den Newar, den ersten Bewohnern des Kathmandutals.
Bild: Gerettete Schnitzereien im „Dwarika’s Hotel“ in Kathmandu
An einem kalten Wintermorgen 1952 joggt Dwarika Shrestha seine tägliche
Runde durch Nepals Hauptstadt Kathmandu, als er plötzlich verschreckt
stehen bleibt. In Shresthas Augen schmerzt der dichte Rauch eines Feuers.
Viel mehr aber tut ihm weh, was er mitansehen muss: Vor ihm zersägen
Tischler den Holzbalken eines Abrisshauses, um ihn in einem Tontopf zu
verbrennen.
Shrestha, ein siebenundzwanzigjähriger Mann aus einer stadtbekannten
Familie, schreit: „Seht ihr denn nicht, was ihr da verbrennt? Das ist
jahrhundertealte Kunst unserer Vorväter, den Newar!“ Die Arbeiter zucken
mit den Schultern: „Wir frieren und brauchen Feuerholz.“ Entsetzt kauft er
ihnen den Balken ab und bringt ihn nach Hause.
Fortan sucht Shrestha in ganz Nepal nach Holzbalken der Newar, den ersten
Bewohnern des Kathmandutals: Überbleibsel von Tempeln, Familienhäusern und
Schreinen, manche von ihnen reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Er
kauft geschnitzte Säulen, Fenster und Türen aus Salbaumholz und belagert
damit das Heim seiner Familie, die wenig erfreut ist über das seltsame
neue Hobby. Shrestha aber erkennt den wahren Wert dieser Kunst, denn
Newar-Schnitzereien sind präzise und liebevoll gefertigte Schätze, die
Geschichte und Mythen ihrer Kultur vereinen.
65 Jahre später erzählt Shresthas Witwe Ambica seine Geschichte. Gekleidet
in einer Newar-Tracht sitzt sie im hoteleigenen Garten und trinkt Grüntee.
„Mein Mann hatte das nie geplant“, sagt sie. „Es war seine Aufgabe, seine
Bestimmung, unser Kulturerbe vor dem Verfall zu retten.“ Dass um diese
Fenster- und Türrahmen herum einmal ein luxuriöses Vorzeigehotel mitten in
Kathmandu entstehen würde, in dem Ambica Shrestha nun lebt, war ebenso
wenig geplant, sagt die 83-Jährige.
Ihr graues Haar ist perfekt frisiert, der Lidschatten mit dem Farbton ihres
Sari abgestimmt, die Sitzposition elegant, ihr Lächeln selbstbestimmt:
Businesswoman, Powerfrau und Lady in einem. Die erste und bis heute einzige
weibliche Unternehmerin, die es in der patriarchalischen Gesellschaft
Nepals zu etwas gebracht hat. Ambica Shrestha widerspricht niemand. Als
Schirmherrin des „Dwarika’s Hotel“ erteilt sie in der Regel Befehle und
nimmt keine entgegen. „Dwarika war ein Revolutionär seiner Zeit, ein
Visionär und natürlich auch ein Geschäftsmann“, beschreibt sie ihren
verstorbenen Gatten.
## „Große Schwester Ambica“
Im „Dwarika’s“ nennt sie jeder Ambica Didi, Nepalesisch für „Große
Schwester Ambica“. Vom Lieferanten bis zu prominenten Besuchern wie
Stammgast Richard Gere. Ambica wiederum nennt den US-Schauspieler liebevoll
„Rich“, als ob er der Nachbarjunge wäre, der regelmäßig die selbst
gebackenen Butterkekse stiehlt.
„Noch etwas Tee?“, fragt sie. Dann klingelt sie mit einer bronzenen
Handglocke, Sekunden später erscheint eine Kellnerin. „Yes, Madam“,
„Please, Madam“, „Welcome, Madam, Ambica Didi“, schießt es aus der
Uniformierten heraus. Als Frau, die ihr Leben lang gearbeitet und gekämpft
hat, um sich durchzusetzen, unterstützt Ambica auch jene Mädchen, die von
der Gesellschaft verstoßen werden: Gehörlose, ehemalige Sexsklavinnen,
Opfer häuslicher Gewalt. Durch Kurse, Mikrokredite und Mitarbeit in ihrem
Hotel. Ambica, die so ganz nebenbei auch Honorarkonsulin Spaniens und
Vorsitzende der nepalesischen Kulturerbe-Gesellschaft ist, ermutigt damit
ihre „Mädchen“, wie sie sie mütterlich nennt, selbstständiger und
unabhängiger zu sein.
Als die Shresthas jenes Stück Land kaufen, auf dem sich heute ihr
Vermächtnis befindet, besitzt Ambicas Ehemann bereits Hunderte Fenster und
Türbalken. Er erkennt, dass es sich bei den Schnitzereien nicht um
individuelle Werke handelt, sondern dass sie Teil eines größeren Ganzen
sind und wieder zusammengeführt werden müssen. Zwar weiß Shrestha nicht,
wie und in welcher Form, aber er weiß, dass es einer Renaissance des
Altholzes bedarf. Viele Schnitzereien sind über die Jahre hinweg
zerborsten, verschimmelt oder von Insekten befallen. Um die Teile zu
renovieren, benötigt er Handwerker, die mit dieser alten Tradition vertraut
sind.
Zwar sind solche Spezialisten noch rarer als die Schnitzereien selbst, aber
die Shresthas finden sie. Und sie engagieren auch gleich zehn Lehrlinge,
die den Beruf vom Meister lernen und dem Aussterben dieser Kunst vorbeugen
sollen. Die Restaurierung und Erhaltung der Balken kostet viel Geld, und
bald erschöpft sich Dwarika Shresthas Beamtengehalt aus der städtischen
Planungskommission. Eine wohlhabende Amerikanerin hilft aus. „Sie fragte,
ob wir ihr ein kleines Zimmer auf unserem Grundstück bauen, damit sie sich
für einige Zeit einmieten könnte, um in Ruhe ihre Diplomarbeit zu
schreiben“, sagt Ambica.
Die Shresthas lassen Ziegelsteine zwischen Fenster- und Türbalken legen.
Bald darauf vermieten sie ihr erstes Zimmer. Die Amerikanerin bringt
Freunde mit, die eine Unterkunft suchen. Nachdem zehn Zimmer gebaut und
vermietet sind, registriert Dwarika Shrestha 1977 die Anlage offiziell als
Hotel. Das „Dwarika’s“ ist geboren.
## Die Herausforderung
Mit den Mieteinnahmen erweitern die Shresthas den Bau, aber noch bevor
Dwarika sein Lebenswerk vollenden kann, erliegt er 1992 einem Krebsleiden.
Ambica ist am Ende, will dennoch den Traum ihres Mannes verwirklichen. Mit
ihrer Tochter Sangita reist sie um die Welt, bewirbt ihr Hotel, um die
Finanzierung zu sichern. „Alle sagten nur, ich sei verrückt und solle das
verrottende Holz bleiben lassen“, sagt sie. „Das spornte mich an.“ 1998
stellen die beiden Shrestha-Frauen das „Dwarika’s“ fertig. Doch zur Ruhe
kommt die Familie nicht und lässt die hauseigenen Handwerker weiterhin
Fenster und Türen in der Werkstatt renovieren: „Wir haben so viele
Puzzlesteine, also müssen wir stetig erweitern.“
Heute ist das „Dwarika’s“ ein Arsenal an Backsteingebäuden. 350 Menschen
arbeiten dort. Es verfügt über 86 Zimmer, einen labyrinthartig anmutenden
Garten, einen Pool, eine Bibliothek, drei Restaurants, wo Gäste zwischen
kontinentaler, japanischer und nepalesischer Küche auswählen können, ein
Spa sowie einen Shop mit traditioneller Kunst und Schmuck. Jeder Winkel in
dem Hotel strotzt vor Eleganz und Charme. „Es ist ein Ort des Friedens und
der Ruhe, wo man die kreativen Vibrationen der Holzschnitzereien spüren
kann, die ihnen ihre Meister eingehaucht haben“, sagt Ambica.
Ausgezeichnet mit internationalen Preisen für seinen Service und die
Erhaltung des nationalen Erbes verfügt das „Dwarika’s“ aber über keinen
einzigen Stern. „Wollen wir auch nicht“, sagt Ambica. „Mit Sternen kann m…
nicht aufwiegen, was wir hier haben. Wir sind eine andere Art von Hotel.“
Worin liegt der Unterschied zu anderen Luxushotels? „Wir sind natürlich,
wir sind Nepali, wir sind Newar“, sagt sie. „Wir gehören keiner Kette an
und auch keinen internationalen Investoren. Wir sind heimisch und
persönlich!“
## Tontöpfe, Diwans und antike Holzmöbel
Auf moderne Technik und anderen Schnickschnack verzichtet das „Dwarika’s“.
Antike Holzmöbel, Diwans und tiefbauchige Tontöpfe schmücken die Zimmer. Im
„Dwarika’s“ schlafen die Gäste in der reichen Vergangenheit des Landes,
Nepals architektonischer und artistischer Blütezeit.
Ambica und ihre Familie müssen sich nicht mehr darum bemühen, antike
Schnitzereien zu suchen. „Mittlerweile kommen sie zu uns“, sagt sie. Viele
Newar-Familien bieten ihre Balken an, gerade nach dem Erdbeben, bei dem
etliche ihrer Häuser zerstört wurden. „Wir ermutigen die Leute allerdings,
die Balken nicht zu verkaufen, sondern in ihren Neubauten originalgetreu zu
integrieren. Die Menschen entdecken unsere alten Traditionen wieder und es
erfüllt mich mit Freude und Stolz, meinen Teil dazu beigetragen zu haben.“
So hätte es auch Dwarika gewollt.
28 Jan 2018
## AUTOREN
Martin Zinggl
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