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# taz.de -- Der Press-Schlag: Früher war mehr Nottingham
> Eine Erinnerung an Uefa-Cup-Nächte unter der Bettdecke und daran, dass
> die Bundesliga-Rückrunde früher einmal spannend war.
Bild: Sehnsuchtsort City Ground Nottingham
Nun ist schon wieder eine Rückrunde in der Fußball-Bundesliga gestartet.
Die 55., wenn mich meine Suchmaschine nicht täuscht. Die Bundesliga ist
also drei Jahre älter als Ihr Kommentator, der erst zur Saison 1966/67
einsteigen konnte, weil ich vorher noch tot war, wie der
Gesellschaftstheoretiker Günther Anders es einst in seinem Hauptwerk „Die
Antiquiertheit des Menschen“ formulierte. Er selbst bezeichnet diesen
Moment, den er im zarten Alter von fünf Jahren hatte, als „existenziellen
Schock“.
Der alte Besserwisser. Immerhin verstarb er, als der Autor dieser Zeilen
gerade an seiner Diplomarbeit über Anders saß. Ich selbst bin zwar noch
nicht tot, aber Fragen zur Unsterblichkeit haben spätestens ein anderes
Gewicht bekommen, seitdem ich in einer barrierefreien Wohnung lebe, und für
Ausfahrten über zwei Meter auf meinen Elektroscooter umsteigen muss.
Dass irgendwann die Fußball-Bundesliga ohne mich wird auskommen müssen, mag
zwar für mich persönlich bedauerlich sein. Aber dieses Wissen hilft
andererseits auch, Dinge zu erkennen, die weit über meine Lebensspanne
hinauszugehen scheinen.
Der Vater des Kommentators behauptet zum Beispiel, dass es Zeiten gegeben
hat, in denen die Meisterschaft noch nicht zur Winterpause entschieden war.
Gut, auch Ihr Kommentator kann sich verschwommen an Zeiten erinnern, in
denen Borussia Dortmund, Werder Bremen oder sogar der Hamburger SV die
Münchner Bayern zum Tanz baten.
## Die Filmrolle ins Funkhaus
Die Lieblingserinnerung Ihres Kommentators ist allerdings, dass
Fernsehbilder vom aktuellen Bundesligaspieltag dereinst ein rares Gut
waren. Direkt nach Spielende wurden damals Filmrollen an todesmutige
Motorradfahrer übergeben, die diese Bilder rechtzeitig zur Sportschau um 18
Uhr zum Funkhaus des WDR am Kölner Appellhofplatz brachten.
Vermutlich ist der Beruf des todesmutigen Motorradfahrers mittlerweile
ausgestorben. Oder er hat sich dorthin zurückentwickelt, wo er seinen
Siegeszug einst begann: In die Jahrmärkte oder Varietés, wo das Publikum
schon immer gerne dafür zahlte, Motorradfahrern bei unmöglichen
Fahrmanövern an Steilwänden zu sehen.
Ihr Kommentator ertappt sich dabei, gänzlich nostalgisch zu werden. Denn in
Zeiten, als noch nicht jedes Spiel zeitgleich überall auf der Welt gesehen
werden konnte, konnten auch noch Überraschungen gedeihen. Bitte gestatten
Sie Ihrem Kommentator einen Moment der Rührseligkeit. Die weite Welt des
internationalen Fußballs entdeckte er nämlich in den siebziger Jahren. Wenn
alle paar Wochen eine Uefa-Cup-Runde gespielt wurde, nahm er das Radio mit
unter seine Bettdecke. Nottingham Forest war der Verein, mit dem er an
solchen Abenden mitfieberte. Hörte sich schon mal cool an. Oder sagte man
damals noch „kühl“? Ihr Kommentator war nie in Nottingham. Vermutlich ist
das eine gesichtslose mittlere Großstadt in den Midlands, deren Team
normalerweise einen mittleren Platz in seiner Liga belegt.
## Schönheit des Radio
Aber in den Nächten mit dem Radio unter seiner Bettdecke konnte er es ganz
deutlich spüren. Wie der Sheriff von Nottingham seinen Männern den Befehl
gab, brandschatzend durch Europa zu ziehen. „Wird gemacht, Sheriff!“,
schworen die dann. Und knüppelten sich durch bis ins Achtelfinale, wo dann
gut organisierte Geldbesitzer aus Mailand, Madrid oder München ihren Traum
beendeten.
Unter diesen Umständen bleibt eigentlich nur noch, auf den nationalen Pokal
zu hoffen. Obwohl auch da seit einigen Jahren verdächtig oft der Satz in
die Mikros gesprochen wird: „Der Pokal ist der kürzeste Weg ins
internationale Geschäft.“
Ja. Ist er. Und Ihrem Kommentator bleibt nichts, als weiter ruhe- und
schlaflos nach einer alternativen Veranstaltung zum Uefa-Pokal für sich,
seine Decke und sein Radio zu suchen. Knud Kohr
22 Jan 2018
## AUTOREN
Knud Kohr
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