# taz.de -- 55 Jahre nach dem Élysée-Vertrag: „Wir fühlen uns alle als Eur… | |
> Wie steht es um die deutsch-französische Freundschaft? Drei junge | |
> Französ*innen, die es nach Berlin verschlagen hat, erzählen. | |
Bild: Deutsch-französische Freundschaft | |
## Antonin, 29 Jahre. | |
Antonin stammt aus Grenoble und ist 29 Jahre alt. Nach seinem Studium und | |
einer ersten Arbeit in Frankreich, die ihn nicht ausfüllt, ist er | |
aufgebrochen, um drei Jahre lang um die Welt zu reisen. Er hat sich vor | |
zwei Jahren in Berlin niedergelassen. „Ich bin ein bisschen aus Zufall | |
hergekommen, ich reiste in Neuseeland und dort habe ich viele Deutsche | |
kennengelernt. Wir sind schnell Freunde geworden, ich bin ein bisschen der | |
Gruppe gefolgt. Ich hatte Berlin schon mal besucht, es hatte mir gefallen, | |
und es hat sich ziemlich natürlich so ergeben.“ | |
Bevor er hierher zog, hatte er einige Vorurteile über Deutschland – die | |
Strenge, eine wenig unmelodische Sprache, distanzierte Menschen. Aber diese | |
Vorstellungen sind schnell verschwunden: „Als ich angekommen bin, habe ich | |
schnell herausgefunden dass man einfach mit den Leuten ins Gespräch kommt, | |
das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte, sie wären reservierter. Es bleibt | |
schwer, die Sprache zu lernen, aber sobald man sich ein bisschen Mühe gibt, | |
erkennen die Leute das an und sind zugänglich, oft hilfsbereit. Es gibt | |
hier eine große Toleranz, besonders hier in Berlin, das ist es, was mir | |
hier am meisten gefällt. Man kann sein wer man will, wie man will, ohne von | |
der Gesellschaft beurteilt zu werden. In Frankreich ist das nicht der Fall, | |
alles scheint beklemmender. Und man meckert viel, aber man schlägt nie eine | |
Lösung vor, um die Sachen zu verbessern. Hier habe ich den Eindruck, dass | |
man noch optimistisch sein und hoffen kann, die Dinge zu ändern. | |
Heute studiert der junge Mann Neurowissenschaften an der Freien Universität | |
und plant, die Forschung ein paar Jahre weiterzubetreiben. „Ich hatte auch | |
Angst, dass das universitäre System wie in Frankreich ist, wo der | |
Unterricht eher unproduktiv ist, aber hier ist es wirklich sehr effektiv | |
und besser organisiert, man kommt wirklich voran. | |
Genau diese deutsche Organisation ist es auch, die eine der beachtlichsten | |
Unterschiede zu Frankreich darstellt. „Als ich angekommen bin, war die | |
schwierigste Sache zweifellos, die deutsche Verwaltung in den Griff zu | |
bekommen. Es ist ein wahres Labyrinth, vor allem, wenn man die Sprache noch | |
nicht spricht, und sehr wenige Beamte scheinen englisch zu sprechen. Hat | |
man es wiederum einmal geschafft, in den Kreis einzutreten, funktioniert | |
alles sehr gut!“, erklärt er lachend. Diese Hürde einmal überwunden, hat | |
sich Antonin in Deutschland wie zuhause gefühlt: „Im Moment sehe ich mich | |
nicht aus Berlin fortziehen. Es eine kosmopolitische Stadt, es ist | |
unbestreitbar mein zweites Zuhause geworden.“ | |
Und das Gewicht der Geschichte in all dem? „Ich habe vom | |
deutsch-französischen Tag und dem Elyséevertrag natürlich gehört. Aber das | |
sagt mir konkret nicht besonders viel. In meinem Alltag habe ich nicht das | |
Gefühl, dass das irgendetwas ändert. Klar, ich denke manchmal an die | |
Geschichte, aber meine deutschen Freunde und ich, wir fühlen uns alle als | |
Europäer, wir entstammen derselben Kultur und wir haben dieselbe Lust, die | |
Dinge zu verändern. Unter Freunden kommt es vor, dass wir uns Witze zu | |
Klischees über die Franzosen und die Deutschen um die Ohren hauen, aber | |
weiter geht es nicht. Im Grunde sind wir genau gleich. | |
## Mathilde, 31 Jahre. | |
Seit sechs Jahrenlebt Mathilde in Deutschland. Die junge Frau ist | |
ursprünglich aus dem Elsass und ist Regisseurin. „Ich bin Elsässerin, daher | |
hatte ich Lust etwas zu entdecken, was ein Teil von mir ist, den ich aber | |
nicht kannte. Ich hatte nicht unbedingt Vorurteile gegenüber den Deutschen, | |
eher ein Bewusstsein ihre starken Präsenz in der Kultur, der Poesie, der | |
Oper: emotional sehr beladene Dinge.“ | |
Mathilde hat mehrere Dokumentationen über die deutsch-französischen | |
Beziehungen verwirklicht. Eine Arbeit, bei der sie den Deutschen schnell | |
sagen musste, was sie von ihnen denkt, und zuhören musste, was die | |
Deutschen von den Franzosen dachten: „Das war eine sehr gute Erfahrung, ich | |
habe erkennen können, dass wir enorm viele Sachen gemein hatten, obwohl wir | |
historisch gesehen ununterbrochen im Krieg waren.“ Zur Präsenz der | |
Geschichte in ihren Beziehungen zu den Deutschen, erklärt die Regisseurin: | |
„Natürlich spüre ich jeden Tag das Gewicht dieser Geschichte zwischen | |
unseren Ländern, und in den Gesprächen spricht man ziemlich schnell über | |
das Verhältnis, dass die Deutschen zu ihrer Geschichte haben, aber ich habe | |
ein großes Vertrauen in sie, politisch, und sogar mehr als zu Frankreich, | |
denn hier sieht man mit der Zunahme der Extremen, dass sich für eine Person | |
mit extremen Äußerungen neun andere erheben, um zu protestieren, und das | |
finde ich ziemlich einzigartig.“ | |
Mit dem Bewusstsein, dass der Elyséevertrag die beiden Länder | |
zusammenrücken hat lassen, erklärt Mathilde: „Der Vertrag hat eine | |
Freundschaft auf die Beine gestellt, auch wenn es dahinter politische und | |
wirtschaftliche Gründe gab. Die Aufnahme dieses Dialogs ist es, die mir | |
heute konkret erlaubt, in diesem Land zu leben. Es gibt kein anderes Land | |
in Europa, bei dem es so viele Affinitäten gibt, wir haben so viele Sachen | |
gemeinsam gehabt, und ich als Elsässerin noch mehr, fällt mir auf. Meine | |
Großeltern mussten fünf Mal die Staatsangehörigkeit wechseln, und heute | |
freut es mich, dass ich nicht diese Wahl treffen muss.“ | |
Tiefgreifende Beziehungen zwischen den beiden Kulturen also, aber Mathilde | |
denkt dennoch nicht, dass die beiden Nationalitäten viele Dinge gemeinsam | |
haben: „Ich glaube nicht, dass es einen gemeinsamen Sockel zwischen den | |
Franzosen und den Deutschen gibt, aber es gibt dieselbe Neugier des einen | |
gegenüber dem anderen. Viele Deutsche sind sehr frankophil, umgekehrt ist | |
das nicht so der Fall, aber auf der französischen Seite gibt es jüngst eine | |
Einsicht, dass Deutschland politisch einen guten Einfluss haben kann, wir | |
haben das bei der Flüchtlingskrise gesehen, wo wir eigentlich das Land der | |
Menschenrechte hätten sein sollen, aber wo ich mich geschämt habe zu sehen, | |
dass wir dem nicht gewachsen waren. Die Franzosen wissen, was sie von den | |
Deutschen lernen können.“ | |
Was die Zukunft angeht, hat Mathilde noch keine feste Vorstellung: „Ich | |
wusste zu Anfang nicht, dass ich bleiben würde, um sechs Jahre hier zu | |
verbringen, aber Berlin ist eine sich bewegende und internationale Stadt. | |
Ich weiß nicht ob ich bleiben werde, aber ich freue mich, dass ich die Wahl | |
habe. In jedem Fall kann ich es mir noch für lange Zeit vorstellen.“ | |
## Elina, 30 Jahre | |
Elina De Nitto kann immer noch nicht glauben, dass sie jetzt in Berlin | |
lebt. Vor drei Monaten war es so weit: Da packte die 30-Jährige ein paar | |
Sachen zusammen und siedelte kurzerhand nach Berlin um. Der eigentliche | |
Grund für diese Entscheidung sei ihr Freund gewesen, der in Berlin | |
studiert. | |
Eigentlich kommt Elina aus Grenoble, hat aber auch in Kanada, Metz und im | |
Großraum Paris gelebt. Sie hat einen Master in Internationalen Beziehungen | |
und arbeitete vier Jahre in verschiedenen Musik- und Tanzprojekten an einem | |
Theater. Mittlerweile arbeitet sie als selbstständige „Lebensberaterin“ f�… | |
Leute, die ihr Leben verändern wollen. | |
Früher, sagt sie, habe sie sich von Deutschland überhaupt nicht angezogen | |
gefühlt und keine Meinung zu dem Nachbarn gehabt. Die deutsch-französische | |
Freundschaft sei zwar oft Thema im Unterricht gewesen, aber das habe im | |
Alltag praktisch keine Rolle gespielt. Das hat sich jetzt komplett | |
geändert. Berlin ist im Vergleich zu Paris geradezu stressfrei, die Leute | |
sind entspannt und hier scheint ein jeder seinen Platz zu haben. Allerdings | |
vermisst sie das mediterrane Flair, Gebäude mit Dach- und Gartenterrassen | |
so wie in Südfrankreich. Auch die viel zitierte deutsche Strenge und | |
Genauigkeit, von der die Franzosen, wie Elina findet, wohl eher eine | |
karikaturenhafte und überzogene Vorstellung haben, gibt es so nicht. Das | |
fällt besonders am Flughafen Schönefeld auf, wo alles chaotisch ist. | |
Beeindruckt ist Elina davon, dass sie, die gerade anfängt Deutsch zu | |
lernen, immer auf Englisch ausweichen kann. Das sei in Frankreich nicht der | |
Fall, auch bei vielen jungen Leuten nicht. | |
„In der Schule und an der Universität wurde die deutsche Geschichte aus der | |
französischen Perspektive unterrichtet. Hier kann man einen anderen | |
Einblick gewinnen“, denn die Geschichte sei in Berlin überall präsent. | |
Apropos Geschichte. Die Mutter ihres Freundes ist Deutsche, der Vater | |
Franzose. Da ist das deutsch-französische Verhältnis sowieso immer ein | |
Thema. Welche Pläne hat Elina für die Zukunft? „Ich bin da völlig offen“, | |
sagt sie. Einige Jahre will sie auf jeden Fall in Berlin bleiben, | |
vielleicht dann zurück nach Frankreich oder ganz woanders hin. Allerdings | |
könnte es auch heißen: Berlin à vie, Berlin auf Lebenszeit. | |
Übersetzung: Barbara Oertel | |
22 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Emmanuelle Chaze | |
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