# taz.de -- Integration von Langzeitarbeitslosen: Das Jobcenter arbeitet nicht … | |
> Ein Spandauer Projekt qualifiziert Langzeitarbeitslose erfolgreich für | |
> Hausmeisterjobs. Doch ausgerechnet die Arbeitsagentur blockiert das | |
> Konzept. | |
Bild: Bei Firmen gefragt: Gute Handwerker | |
Inzwischen kennt sie wohl jedeR: Geschichten über Langzeitarbeitslose, die | |
von ihrem Jobcenter in sinnlose „Aktivierungsmaßnahmen“ geschickt werden. | |
Etwa zum 17. Bewerbungstraining, das der ehemaligen Schlecker-Verkäuferin | |
auch keine neue Arbeit bringen wird. | |
Die Maßnahme mit dem sperrigen Namen „Berufspilot und Betriebsunterhalt – | |
Spandau 2020“ gehört offenkundig nicht in diese Kategorie. Zum einen ist | |
sie freiwillig, wie Semih Kneip, Mitarbeiter beim Projekt, erklärt. Zum | |
anderen habe man die schriftliche Zusage von zwei Unternehmen, 55 Leute | |
fest und sozialversicherungspflichtig einzustellen, die im Projekt | |
qualifiziert wurden. „Die Leute können bei uns also am Ende wirklich einen | |
Job bekommen“, so Kneip. | |
Das Problem sei nur: Viele Plätze blieben unbesetzt. „Das erstaunt uns | |
sehr“, sagt Kneip. Allein in Spandau gebe es rund 9.000 Langzeitarbeitslose | |
im Jobcenter, die altersmäßig in Frage kämen. „Da müssten doch genug für | |
uns dabei sein.“ | |
Bei „Berufspilot und Betriebsunterhalt“ geht es darum, Menschen ab 27 | |
Jahre, die Arbeitslosengeld II beziehen, zu einer Art Hausmeister | |
auszubilden. Für je sechs Wochen werden die Leute zu kooperierenden Firmen | |
aus den Bereichen Tischlerei, Sanitär, Elektro- und Klimatechnik und | |
Ähnlichem geschickt, im Wechsel damit machen sie ebenfalls sechswöchige | |
Praktika in Unternehmen der Wohnungswirtschaft. „Die haben seit einiger | |
Zeit größtes Interesse an MitarbeiterInnen, die bei Problemen in ihren | |
Immobilien schnell vor Ort sind und erkennen können, ob ein Fachbetrieb | |
kommen muss oder ob sie selbst reparieren können“, erklärt Kneip. | |
Das Projekt ist auf vier Jahre angelegt. Seit dem Start vor drei Jahren | |
haben es bislang 23 Teilnehmer durchlaufen. 13 von ihnen haben laut Kneip | |
inzwischen eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle, vier sind | |
noch dabei, der Rest hat abgebrochen. Eine gute Quote, findet Kneip. | |
## Das Jobcenter ist weniger erfolgreich | |
Tatsächlich sind die Zahlen bei „Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen | |
Eingliederung“ der Jobcenter nicht so gut: 2013 hatten 24 Prozent der | |
Teilnehmer sechs Monate danach einen sozialversicherungspflichtigen Job, | |
2016 waren es 25 Prozent, wie die Pressestelle der Berliner Arbeitsagentur | |
auf taz-Anfrage erklärte. | |
Das Spandauer Projekt will nicht viel vom Jobcenter: Geplant war zunächst, | |
in vier Jahren 36 Menschen zu qualifizieren, pro TeilnehmerIn sollte die | |
Maßnahme 22 Monate dauern. Man habe jedoch schnell gemerkt, so Kneip, dass | |
für einige so viel Zeit aufgrund ihrer Vorerfahrungen gar nicht nötig sei: | |
drei bis sechs Monate seien oft völlig ausreichend. Für die verbleibenden | |
elf Monate des Projekts – Ende 2018 läuft es aus – könnte man also durcha… | |
noch zwei Mal 18 Leute aufnehmen. Wenn die Jobcenter nur genügend Leute | |
schicken würden. | |
Die Erklärung, warum das nicht passiert, könnte in den Zuständigkeiten für | |
das lokale Projekt liegen: Die Spandauer Maßnahme ist ein BIWAQ-Projekt, | |
kurz für Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier. BIWAQ ist ein Instrument | |
des Europäischen Sozialfonds und des Bundesbauministeriums, das | |
BewohnerInnen einkommensschwacher Quartiere in den Arbeitsmarkt integrieren | |
und die lokale Ökonomie stärken soll. Das heißt, nicht ein Jobcenter ist | |
der Auftraggeber, sondern das Bundesbauministerium. Der Bezirk Spandau | |
fungiert als Träger des Projekts. | |
Kann es sein, dass die Jobcenter Angebote wie BIWAQ schlicht als Konkurrenz | |
zu den von ihnen selbst eingekauften Maßnahmen betrachten? | |
## Mangelnde Kooperationswilligkeit | |
In Neukölln macht man jedenfalls ähnliche Erfahrungen. Um die BewohnerInnen | |
und kleinen Unternehmen rings um die Sonnenallee kümmert sich das zweite | |
Berliner BIWAQ-Projekt. „Wir haben auch gedacht, wir kriegen mehr Leute | |
über das Jobcenter“, erzählt eine Mitarbeiterin, die lieber anonym bleiben | |
will. Die Frau befürchtet, dass die Kooperation mit dem Amt sonst völlig | |
zum Erliegen kommt. Sie bestätigt, was auch ihr Kollege Kneip aus Spandau | |
von einer bundesweiten Konferenz der BIWAQ-Projekte berichtet: Dort hätten | |
kürzlich zahlreiche Projekte aus dem ganzen Bundesgebiet über die mangelnde | |
Kooperationswilligkeit der Jobcenter geklagt. | |
Nach möglichen Gründen befragt, erklärt der stellvertretende Pressesprecher | |
der Berliner Arbeitsagentur, Johannes Wolf, das BIWAQ-Projekt sei | |
schließlich freiwillig: Die „Kundinnen und Kunden können eigenständig über | |
eine Teilnahme entscheiden“ – anders als bei den eigenen Maßnahmen. | |
Zudem würden solche externen Angebote „genutzt, wenn die Regelinstrumente | |
den Bedarf nicht decken können“. Sprich: Zuerst belegt man die eigenen, von | |
den Jobcentern selbst eingekauften Maßnahmen. Warum die Kommunen, die ja | |
Träger bei BIWAQ sind, als Konkurrenz angesehen werden, wo die Jobcenter | |
doch selbst zu einem Drittel kommunal sind, bleibt für Außenstehende | |
freilich unerklärlich. | |
Dem Vorwurf, dass die Jobcenter nur darauf achteten, ihre eigenen Maßnahmen | |
voll zu bekommen und sich nicht darum kümmern, ob sie im Einzelfall | |
sinnvoll sind, widerspricht der Agentur-Sprecher: „Plätze in eingekauften | |
Maßnahmen werden individuell und bedarfsorientiert vergeben.“ | |
Das wiederum mag die für Jobcenter-MitarbeiterInnen zuständige | |
Gewerkschaftssekretärin Claudia Thiede-Tietze so nicht stehen lassen. Sie | |
sagt: „Die Mitarbeiter bekommen durchaus Anweisung von oben, ihre Kunden in | |
bestimmte Maßnahmen zu stecken, damit die voll werden – egal, ob es passt | |
oder nicht.“ | |
Bleibt die Frage: Warum das Ganze? „Ist doch klar“, hat zumindest | |
Thiede-Tietze eine Erklärung: „Solange die Leute in der Maßnahme sind, sind | |
sie aus der Arbeitslosenstatistik raus.“ | |
22 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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