# taz.de -- Vorwürfe gegen Aziz Ansari: Gab es ein klares Ja? | |
> Ein US-Comedian soll eine Frau sexuell bedrängt haben. Es gibt viel | |
> Kritik – an der Berichterstattung und am Fall. | |
Bild: Time's up: Aziz Ansari unterstützte die Frauenbewegung bei der Verleihun… | |
„Ich ging zu einem Date mit Aziz Ansari. Es wurde die schlimmste Nacht | |
meines Lebens.“ So beginnt der [1][Text], in dem die Vorwürfe gegen Aziz | |
Ansari erhoben werden. Clickbait nennt man das – eine Überschrift, die auf | |
die Sensationsgier der LeserInnen abzielt. Echter Journalismus geht | |
anders. Das Zeit-Magazin nannte seine Recherchen über die [2][Vorwürfe | |
gegen den Regisseur Dieter Wedel] „Im Zwielicht“. Die New York Times blieb | |
in den Überschriften ihrer [3][Weinstein-Berichterstattung] stets sachlich | |
und nachrichtlich. | |
Auch sonst ist der Text journalistisch unsauber. Die Autorin der | |
Ansari-Geschichte hat, so schreibt sie es, mit Grace und ihren FreundInnen | |
gesprochen und den SMS-Wechsel mit Ansari nachgelesen. Aber sie berichtet | |
eben nur über ihren Fall. Der Text beschreibt einen Abend – und nicht, wie | |
beispielsweise die New York Times oder das Zeit-Magazin die Fälle von | |
mehreren Frauen. | |
Das bedeutet nicht, dass Ansari, wenn sich der Abend wirklich so zugetragen | |
hat, wie die Autorin schreibt, nicht Grenzen überschritten und falsch | |
gehandelt hat. Aber eine Redaktion, die darüber berichtet, muss sich | |
fragen, ob die Geschichte von Grace dann so, in dieser Form, berichtenswert | |
ist. | |
Der Text beschreibt den Abend in einem Detailreichtum und in einer | |
Explizitheit, dass es an Voyeurismus grenzt. Klar, das liest sich gut, und | |
vor allem klickt es sich gut, journalistisch sauber ist es allerdings | |
nicht. Im Gegenteil: Es ist boulevardesk und effekthaschend. | |
Wäre die Geschichte in Deutschland erschienen, hätte Ansari vermutlich gute | |
Chancen, juristisch gegen sie vorzugehen. Der Pressekodex schreibt für | |
solche Fälle, die als Verdachtsberichterstattung gelten können, große | |
Zurückhaltung vor – und zwar weil der Grad zur Denunziation oft schmal ist. | |
Auch im Journalismus gilt in solchen Fällen: Im Zweifel für den Angeklagten | |
und dessen Recht auf Persönlichkeitsschutz. | |
## Gedeckt vom Recht auf freie Meinungsäußerung | |
In den USA ist das anders. Pressefreiheit und das Recht auf freie | |
Meinungsäußerung stehen dort über den Persönlichkeitsrechten. Deswegen | |
können rechte Hetzseiten wie Breitbart Lügen über PolitikerInnen | |
veröffentlichen, deswegen zogen Boulevardmedien im US-Wahlkampf selbst | |
private Details über die KandidatInnen in die Öffentlichkeit. Alles gedeckt | |
vom Recht auf freie Meinungsäußerung. | |
Dennoch bedienen sich nicht alle Medien dieser Methoden, wie nicht zuletzt | |
die Weinstein-Berichte der New York Times gezeigt haben. Zu einer fairen | |
Berichterstattung gehört auch, dass der Beschuldigte konfrontiert wird und | |
genug Zeit hat, zu reagieren. Das war bei Ansari nicht der Fall: Eine | |
Reporterin von Babe.net schrieb auf Twitter, die Redaktion habe Ansari und | |
sein Team kontaktiert und ihnen fünfeinhalb Stunden Zeit gegeben, zu | |
reagieren. Nicht besonders viel, um angemessen auf so viele Details und | |
Fragen zu antworten. | |
Die Redaktion von Babe.net ist noch sehr jung. Gestartet ist die Seite vor | |
gut einem Jahr, gemacht wird sie hauptsächlich von Studentinnen und | |
Uni-Absolventinnen. Die älteste Redakteurin ist laut einem [4][Bericht der | |
Webseite Mashable] 25 Jahre alt. Es ist eine Seite „for girls who don’t | |
give a fuck“. | |
Babe.net berichtet über Promis (eine [5][„Exklusiv“-Geschichte] über den | |
Affen von Justin Bieber, der noch immer traumatisiert ist von seinem Leben | |
mit Bieber), bringt Tests (Welches Make-up passt 2018 zu mir?) und | |
Meinungsstücke vor allem zu feministischen Themen. Finanziert wird die | |
Seite unter anderem vom konservativen Medienmogul Robert Murdoch. Im Herbst | |
steckte er 6,3 Millionen US-Dollar (5,2 Millionen Euro) in die Mutterseite | |
von Babe.net. | |
Übergriffiges Verhalten wie das, das Grace Aziz Ansari vorwirft, muss | |
diskutiert werden. Doch mit unsauberen Texten wie diesem schadet man der | |
[6][#MeToo-Debatte] – denn man macht sie angreifbar. | |
## Reaktionen und Vorwürfe | |
Wo ist das Problem? Sie hat doch mitgemacht? In dieser Tonart spielen | |
einige Reaktionen nach der Veröffentlichung der Geschichte. So kommentierte | |
zum Beispiel die [7][CNN-Journalistin Ashleigh Banfield], nach Graces | |
eigenen Schilderungen handele es sich nicht um sexuelle Nötigung oder um | |
eine Vergewaltigung. „Du hattest ein unangenehmes Date und bist nicht | |
gegangen. Das liegt in deiner Verantwortung.“ | |
Banfield sieht keinen Grund für Grace, Ansari öffentlich anzuklagen und | |
dabei selbst anonym zu bleiben. „Sag deinem Date selbst, dass er sich | |
widerlich verhält, geh nicht noch einmal mit ihm aus und heirate auf keinen | |
Fall einen solchen Mann“, sagt sie. Aber diese „unangenehme sexuelle | |
Erfahrung“ reiche noch nicht aus, um damit an die Presse zu gehen. Erst | |
recht nicht, weil Grace nicht in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu | |
Ansari stehe, sagt Banfield. Sie selbst habe Jahrzehnte sexuelle | |
Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Mit ihrer Anklage schade Grace der | |
#MeToo-Bewegung. | |
Diesen Vorwurf erhebt unter anderem auch [8][Bari Weiss in der New York | |
Times]. Bei #MeToo ginge es um weibliches Empowerment, hier aber um | |
weibliche Hilflosigkeit. Die Debatte über Ansari lenke vom Wesentlichen ab. | |
Das Einzige, was man Ansari vorwerfen könne, sei die Tatsache, dass er | |
Graces Gedanken nicht lesen könne, schreibt Weiss. „Frauen müssen verbaler | |
werden. Sie müssen sagen ‚Das erregt mich‘ oder ‚Das will ich nicht‘ �… | |
Caitlin Flanagan wirft in [9][The Atlantic] zudem die Frage auf, welche | |
Rolle Ansaris Hautfarbe spielt. Sie sieht eine regelrechte Gefahr in jungen | |
privilegierten Frauen wie Grace, die nicht in der Lage seien, ein Taxi | |
rufen, aber wütend und mächtig genug, um „einen Mann zu zerstören, der es | |
nicht verdient hat“. | |
Das sofortige Ende von Ansaris Karriere, das auch einige andere | |
prophezeiten, scheint erst einmal nicht einzutreten. Die Reaktionen auf die | |
Anschuldigungen sind differenziert. Viele stellen sich jetzt öffentlich hin | |
und sagen: Ich bin FeministIn und unterstütze Ansari. | |
## Eine Form des Victim Bamings | |
Doch diese Position ist nicht ganz unproblematisch. Sicher, die Geschichte | |
ist, so wie auf Babe.net erschienen, in vielen Dingen angreifbar. Aber die | |
Vehemenz, mit der einige nun die Verantwortung in Richtung der Frau | |
schieben, ist eine Form des Victim Blamings: Sie hat Schuld, weil sie nicht | |
Nein gesagt hat. Sie hat Schuld, weil sie mit ihm nach Hause gegangen ist, | |
sich ausgezogen hat. | |
Weiss hat Recht, wenn sie schreibt, dass es in diesem Fall um weibliche | |
Hilflosigkeit geht. Wenn man der Geschichte und ihren Details Glauben | |
schenkt, hat Grace jedoch nonverbal zu verstehen gegeben, dass sie keinen | |
Sex mit Ansari will. Und ist dann doch immer noch einen Schritt | |
weitergegangen, bis sie sich letztendlich dazu durchringen konnte, die | |
Wohnung zu verlassen und in ein Taxi zu steigen. | |
Viele Frauen kennen solche Erlebnisse, in denen sie sich zu einer sexuellen | |
Handlung überreden, überfordern oder bedrängen lassen. In dieser Hinsicht | |
ist die Geschichte universell. Das schreiben auch die Guardian-Autorinnen | |
[10][Jessica Valenti] und [11][Jill Filipovic]. „Ansaris Verhalten war | |
normal, und genau hier liegt der Horror“, schreibt Filipovic. | |
Denn das gesellschaftliche Narrativ von Sex erlaubt, subtile und nonverbale | |
Zeichen der Ablehnung übersehen zu dürfen. Es ist die Erzählung der | |
männlichen Eroberung und des Verführens, in der weiblicher Widerstand nur | |
ein zu überwindendes Hindernis darstellt. So gesehen passt diese Episode | |
doch ganz gut in die #MeToo-Debatte. | |
## Ja heißt Ja | |
Was wurde sich über das geplante [12][schwedische Ja-heißt-Ja-Gesetz] | |
hierzulande lustig gemacht. Am dümmsten trieb es die [13][Welt], die | |
Schweden als „das unromantischste Land der Welt, gleich hinter | |
Saudi-Arabien und dem Iran“ bezeichnete. Am besten sei es, vor dem Akt | |
einen Vertrag zu schließen, hieß es bei der Springer-Zeitung. Quelle: | |
„schwedische Internetforen“. | |
All der Quatsch mit dem Vertrag oder dass er fragen und sie „ja“ sagen | |
müsse, steht natürlich so nicht in dem Gesetzentwurf. „Der Unterschied zur | |
bisherigen Gesetzgebung besteht darin, dass zukünftig jede sexuelle | |
Handlung, die nicht im gegenseitigen Einverständnis geschieht, strafbar | |
wird“, [14][schreibt die Schwedische Botschaft.] | |
Das dürfte eigentlich Konsens sein. Und der Fall von Grace und Aziz Ansari | |
ist ein gutes Beispiel dafür, was eine Ja-heißt-Ja-Regelung womöglich | |
bringen könnte: Erstens hätten die beiden dann vielleicht in irgendeiner | |
Form klarer miteinander kommuniziert. Zweitens müsste man Ansari im | |
Nachgang nicht fragen, ob er die Signale nicht richtig gelesen habe, ob er | |
das Nein nicht verstanden habe. Sondern die simple Frage im Sinne des | |
Ja-heißt-Ja müsste lauten: Welche Handlung von Grace haben Sie als klares | |
Ja interpretiert? | |
Natürlich schafft das nicht alle Probleme aus der Welt. Natürlich weiß auch | |
durch solch eine gesetzliche Regelung niemand, was genau hinter einer | |
verschlossenen Tür passiert. Aber es dreht die Richtung der Fragen um, die | |
womöglich nach solch einer Nacht, wie sie zwischen Grace und Aziz Ansari | |
passiert ist, entstehen. | |
Nicht in Richtung des vermeintlichen Opfers: Warum haben Sie nicht Nein | |
gesagt? Sondern in Richtung des vermeintlichen Täters: Wie kommen Sie | |
darauf, dass der Sex einvernehmlich war? Wie wurde Ihnen ein Ja vermittelt? | |
Wenn der Text über Grace und Ansari zu etwas gut sein könnte, dann dazu, | |
dass durch ihn wieder mehr über eine solche gesetzliche Regelung diskutiert | |
wird. Auch wenn Deutschland dann im Welt-Ranking der (un)romantischsten | |
Länder Schweden sogar überflügeln könnte – und gleich hinter Saudi-Arabien | |
und dem Iran stünde. | |
17 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://babe.net/2018/01/13/aziz-ansari-28355 | |
[2] /Regisseurin-zu-MeToo-und-Dieter-Wedel/!5474821 | |
[3] /Harvey-Weinstein-und-die-US-Demokraten/!5454182 | |
[4] http://mashable.com/2018/01/15/what-is-babe-aziz-ansari-sexual-misconduct-a… | |
[5] https://babe.net/2018/01/11/exclusive-justin-biebers-monkey-is-still-trauma… | |
[6] /!t5455381/ | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=y4bAULTwAJU&feature=youtu.be | |
[8] https://www.nytimes.com/2018/01/15/opinion/aziz-ansari-babe-sexual-harassme… | |
[9] https://www.theatlantic.com/entertainment/archive/2018/01/the-humiliation-o… | |
[10] https://twitter.com/JessicaValenti/status/952568652066443264 | |
[11] https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/jan/15/aziz-ansari-behaviou… | |
[12] /Berichte-zu-Sexualstrafrecht-in-Schweden/!5472672 | |
[13] https://www.welt.de/vermischtes/article171720005/Schweden-Einverstaendnisg… | |
[14] http://www.swedenabroad.com/de-DE/Embassies/Berlin/Aktuelles--Veranstaltun… | |
## AUTOREN | |
Amna Franzke | |
Anne Fromm | |
Jürn Kruse | |
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