# taz.de -- Deutsch-polnische Beziehungen: Noch fahren sie zusammen Streife | |
> Das Verhältnis der Länder hat sich verschlechtert, seitdem die PiS den | |
> Staat umbaut. In den Grenzregionen spürt man davon noch nicht viel. | |
Bild: Deutsch-polnische Grenze: noch ziemlich fluide | |
Aus der Neißeregion taz | Als vor knapp 20 Jahren die gemeinsame | |
Europastadt Görlitz/Zgorzelec an der Neiße proklamiert wurde, stand in | |
einem deutschen Kaufhaus noch ein Schild in polnischer Sprache „Hier wird | |
nicht geklaut!“. Matthias Theodor Vogt, Professor für Kulturpolitik und | |
Kulturgeschichte an der Hochschule Görlitz-Zittau, vergleicht diese | |
Erinnerung mit dem heute dort angebrachten Gruß „Serdecznie witamy!“ – | |
„Herzlich Willkommen!“ | |
Vogt gründete 1994 auf einem Gut bei Görlitz das nach Osteuropa orientierte | |
„Institut für Kulturelle Infrastruktur“. Mit „Befremden“ beobachte er … | |
wiedererstehenden Chauvinismus der in Polen regierenden Partei für Recht | |
und Gerechtigkeit (PiS). Aber von einem Rückschlag der nachbarschaftlichen | |
Beziehungen unmittelbar an der Grenze will er noch nicht sprechen. | |
Dieses „Noch“ bestimmt die Erkundigungen nach dem deutsch-polnischen | |
Verhältnis in der Neißeregion, seit die PiS-Partei im Herbst 2015 allein | |
die Macht übernahm. Missliebiges und regierungskritisches Personal wird | |
seither ausgetauscht, die Unabhängigkeit der Justiz sieht nun auch die EU | |
in Gefahr, Medien und Kultur droht die Gleichschaltung. | |
Ola Staszel ist Leiterin des Neiße-Filmfestivals. Die gebürtige Polin, die | |
in Deutschland lebt, berichtet beispielsweise von der Entlassung der Chefin | |
des Polnischen Filminstituts Warschau durch den Kulturminister. Zuvor waren | |
Fördermittel drastisch gekürzt worden. Auch Staszel bekommt die Folgen zu | |
spüren. Bei ihr fragten erste polnische Regisseure an, ob sie in | |
Deutschland arbeiten könnten. | |
Sie hat auch von der Sorge um das Schicksal des Kulturhauses in Zgorzelec | |
gehört. Die einst zum Lob deutscher Kaiser errichtete Ruhmeshalle auf der | |
östlichen Seite der Neiße bangt um die künftige Kulturförderung. Der | |
Bürgermeister von Zgorzelec ist kein PiS-Mann. | |
## Die Polizei fährt gemeinsam Streife | |
Deutsche und polnische Polizei fahren weiterhin Streife, sagt der Sprecher | |
der Polizeidirektion Görlitz. Die sächsischen Grenzen nach Polen und | |
Tschechien gelten wegen des teils bandenmäßigen Diebstahls und des | |
Drogenschmuggels als besonders heikel. Sie verbringen sogar mehr Zeit | |
miteinander – die gemeinsamen Wagenbesatzungen gingen nun in einem | |
verlängerten Turnus auf Streife, so der Sprecher. Es sei lediglich ein | |
praktisches Problem, geeignete Paare zu finden, die sich in beiden Sprachen | |
verständigen können. Auch die Zusammenarbeit der Feuerwehren in Görlitz und | |
Zgorzelec wurde nicht eingestellt, wie kolportiert, bestätigt ein | |
Feuerwehrmann auf der Wache in Görlitz. „Aber es ist zumindest nicht besser | |
geworden“, setzt er nach. | |
Gibt es Erosionserscheinungen in der kulturellen Zusammenarbeit? „Ich habe | |
keine neuen nationalistischen Aversionen gespürt“, sagt Stefan Meier, | |
Leiter der Görlitzer Musikschule. Dass im gemeinsamen Orchester mit der | |
Partnerschule Zgorzelec kaum noch polnische Kinder sitzen, führt er auf | |
Unterschiede in der Ausbildung zurück. | |
Umgekehrt bewerben sich bei dem mit 12.000 Euro geförderten gemeinsamen | |
Klavierwettbewerb fast nur noch junge polnische Pianisten. Aus | |
Qualitätsgründen wird er künftig nur noch aller zwei Jahre ausgetragen. Von | |
wiedererwachenden Ressentiments zwischen Deutschen und Polen spüren weder | |
die polnische Sekretärin der deutschen Musikschule etwas noch Philipp | |
Bormann, persönlicher Referent des Theaterintendanten Klaus Arauner. Er ist | |
mit einer Polin verheiratet, der Sohn besucht die polnische Musikschule auf | |
der anderen Seite der Friedensbrücke. Auf dieser persönlichen Ebene klappt | |
es, und der Görlitzer Kulturbürgermeister Michael Wieler gibt sich bewusst | |
optimistisch. Im Kulturkalender stehen beispielsweise der „Kunstzug“ nach | |
Wrocław oder die Europa-Chorakademie. Aber den Druck der politischen | |
Großwetterlage spürt man auch am Gerhart-Hauptmann-Theater. | |
## EU-Gelder als Beziehungskitt | |
An dessen zweiten Standort am Schauspiel Zittau zeigt sich Intendantin | |
Dorotty Szalma skeptisch. Hier gilt es ein bemerkenswertes | |
Dreiländerprojekt zu verteidigen, dessen Kürzel JOS sich von den Initialen | |
der drei höchsten Berge der Region ableitet. Immerhin hat man jetzt | |
gemeinsam mit Liberec und Jelenia Gora drei Uraufführungsprojekte vergeben | |
können, hält ein gemeinsames Abonnement, eine Zeitung, plant ein | |
Kinderprojekt. Solange die Fördermittel der EU fließen, scheint die | |
Zusammenarbeit ungefährdet. „Aber es sind schwierigere Zeiten zu erwarten“, | |
warnt Intendantin Szalma. | |
Wie ihre Filmkollegin Staszel blickt auch sie mit Sorge auf die polnischen | |
Regionalwahlen im kommenden Herbst und den 100. Jahrestag der | |
Wiedererlangung der Unabhängigkeit am 11. November. Sollte die PiS dann | |
auch in Niederschlesien an die Macht kommen, könnte ein ähnlicher | |
Kulturkampf wie in Krakau oder Warschau drohen. | |
Dass das sprichwörtliche Rad der Geschichte in der unmittelbaren | |
Grenzregion noch einmal zurückgedreht werden könnte, fürchtet auf | |
sächsischer Seite indessen kaum jemand. Zu viele Selbstverständlichkeiten | |
bis hin zu den Einkaufsgewohnheiten sind seit 2004 gewachsen. | |
Auch Kulturprofessor Vogt rät zu mehr Gelassenheit und zu gründlicher | |
Beschäftigung mit der polnischen Geschichte. Infolge der früheren Teilungen | |
tendiere diese immer zum Nationalismus. Und die Vorgängerregierung habe nun | |
einmal die Gebiete jenseits der Wachstumsregionen vernachlässigt, wo die | |
PiS jetzt Stimmen holt. | |
Vom katholischen Rosenkranzbeten an den Landesgrenzen, im Oktober als | |
Abwehraktion gegen muslimische Flüchtlinge gedacht, blieb die Neißeregion | |
jedenfalls verschont. | |
13 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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