# taz.de -- Offensive des syrischen Regimes: Idlib wird zum Zankapfel | |
> Assad nimmt die letzte Provinz ins Visier, die noch von Rebellen | |
> kontrolliert wird. Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an. | |
Bild: Nach einer Explosion in Idlib versuchen Mitarbeiter der „Weißhelme“ … | |
BERLIN/ISTANBUL taz | Angesichts der Offensive der syrischen Regierung in | |
der von Rebellen gehaltenen Provinz Idlib bahnt sich eine neue humanitäre | |
Katastrophe an. Wie das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe | |
(Ocha), am Mittwoch mitteilte, sind seit Anfang Dezember 2017 fast 100.000 | |
Menschen in Idlib neu in die Flucht getrieben worden, die Lage | |
verschlechtere sich seit Beginn der neuen [1][Kämpfe] im Südosten der | |
Provinz am 3. Januar deutlich. | |
Die Geflüchteten sind den Angaben zufolge in den ländlichen Gebieten über | |
die nördlichen, zentralen und westlichen Regionen der Provinz zerstreut. | |
Dort gibt es zum Teil bereits provisorische Auffanglager für Flüchtlinge. | |
Doch viele harren in ihren Autos aus, andere haben kein Dach über dem Kopf | |
– und das angesichts der winterlichen Temperaturen. | |
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat die Regierungen in Moskau | |
und Teheran scharf kritisiert, weil diese den Vormarsch syrischer | |
Regierungstruppen in die Deeskalationszone Idlib nicht unterbunden hätten. | |
Da aufgrund der jüngsten Kämpfe Zehntausende Syrer bereits nach Norden in | |
Richtung türkische Grenze flüchten, befürchtet die türkische Regierung, | |
dass erneut Tausende Syrer in die Türkei drängen könnten. Das will Ankara | |
unbedingt verhindern. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte erst jüngst | |
gesagt, man strebe ein befriedetes Gebiet entlang der Grenze an, in das | |
syrische Flüchtlinge aus der Türkei zurückkehren könnten. | |
## Vorwürfe gegen Russland und Iran | |
Vor ausländischen Journalisten wiederholte der türkische Außenminister am | |
Mittwochabend den Vorwurf, Russland und Iran hätten die Aggression des | |
Assad-Regimes stoppen müssen. Syriens Regierung würde in der | |
Deeskalationszone „unschuldige Menschen bombardieren“ und damit den von | |
Russland, Iran und der Türkei initiierten Friedensprozess von Astana | |
torpedieren. Die türkische Regierung bestellte aus diesem Anlass sogar den | |
russischen und den iranischen Botschafter ins Außenministerium ein und | |
übermittelte ihnen einen förmlichen Protest. | |
Es ist das erste Mal, seit Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir | |
Putin sich vor gut einem Jahr darauf verständigt hatten, gemeinsam für | |
einen Waffenstillstand und Friedensgespräche in Syrien zu sorgen. Ein | |
erstes Ergebnis dieser Bemühungen war gewesen, dass vier | |
„Deeskalationszonen“ eingerichtet wurden, in denen nicht mehr gekämpft | |
werden sollte. Eine davon ist die Provinz Idlib, die direkt an die Türkei | |
angrenzt. Idlib ist das letzte größere Gebiet in Syrien, dass vollständig | |
von Gegnern Assads kontrolliert wird. | |
Aufgrund der Vereinbarung mit Russland und Iran, der auch das Assad-Regime | |
zugestimmt hatte, rückten türkische Truppen nach Idlib ein, um den | |
Waffenstillstand zu überwachen. Doch jetzt greifen von Assad kontrollierte | |
Truppen die Provinz mit russischer Luftunterstützung von Süden her massiv | |
an. | |
Auf die Proteste der Türkei hin erklärte das russische | |
Verteidigungsministerium, die Angriffe auf Teile der Provinz Idlib seien | |
eine Reaktion auf Drohnenangriffe auf russische Militärbasen, die aus dem | |
Gebiet heraus erfolgen seien. In einem Brief an den türkischen | |
Generalstabschef Husni Akar behauptet sein russischer Kollege, das Gebiet, | |
aus dem die Drohnen abgeschossen wurden, werde von Rebellengruppen | |
kontrolliert, die mit der Türkei zusammenarbeiteten. | |
Die Regierung Assad erklärte dagegen in einer Stellungnahme gegenüber | |
Frankreich, dessen Regierung sich den türkischen Protesten angeschlossen | |
hatte, man bekämpfe lediglich Terroristen der Nusra-Front, die von dem | |
Waffenstillstand ausgeschlossen sind. Die Provinz Idlib wird derzeit in | |
weiten Teilen vom extremistischen Bündnis Hayat Tahrir al-Scham | |
kontrolliert, das sich im Januar 2017 mittels eines Zusammenschlusses | |
verschiedener Milizen im Norden Syriens gründete. Die stärkste Kraft dabei | |
ist die Jabhat Fatah al-Scham, eine Gruppe, die zuvor als Nusra-Front | |
bekannt war, bis sie im Juli 2016 mit al-Qaida brach. | |
## Vorbereitung für Großoffensive | |
In der Provinz Idlib leben nach Angaben der UNO 2,6 Millionen Menschen, | |
darunter 1,1 Million Flüchtlinge aus anderen Provinzen Syriens. Letzteres | |
ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, dass Rebellengruppen nach | |
militärischen Niederlagen wie in Aleppo freies Geleit zugesichert bekamen | |
und nach Idlib evakuiert wurden. Darunter waren auch Kämpfer der Freien | |
Syrischen Armee (FSA). Darüber hinaus ist die Provinz bekannt für Gruppen | |
von Demokratieaktivisten, die zivilen Widerstand gegen die Islamisten | |
leisten und zum Teil mit fantasievollen Aktionen auf sich aufmerksam | |
machen. | |
Bei den derzeitigen Kämpfen und Angriffen der syrischen und russischen | |
Luftwaffe handelt es sich vermutlich darum, eine Großoffensive zur | |
Rückeroberung der gesamten Provinz vorzubereiten. Gekämpft wird vor allem | |
im Norden der benachbarten Provinz Hama sowie im Süden von Idlib, wo die | |
Regierungstruppen und ihre Verbündeten etwa 100 Dörfer eingenommen haben. | |
Bei Luftangriffen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen Zivilisten und | |
auch Krankenhäuser im Rebellengebiet bombardiert worden. | |
Am Mittwoch erreichten die Regierungstruppen vom Süden her den seit 2015 | |
von Rebellen gehaltenen Militärstützpunkt Abu Suhur, der an der Grenze zu | |
der benachbarten Provinz Aleppo liegt. Neben der Einnahme militärischer | |
Einrichtungen dürfte es dem Regime vor allem darum gehen, die | |
Hauptverbindungsstraße von Aleppo über Hama nach Damaskus zu kontrollieren | |
und militärisch abzusichern, da diese durch die Provinz Idlib führt. | |
Während die Regierungstruppen zunächst nur langsam vorankamen, begannen | |
Rebellengruppen am Donnerstag eine Gegenoffensive, um die | |
Versorgungslinien ihrer vorrückenden Gegner abzuschneiden. Die Gruppe | |
Ahrar al-Scham erklärte, ihre Kämpfer hätten gemeinsam mit Verbündeten zwei | |
Dörfer im Süden von Idlib zurückerobert. Die in Großbritannien ansässige | |
oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, | |
dass die Aufständischen mehrere Dörfer eingenommen hätten. | |
11 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Krieg-in-Syrien/!5475192 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
Beate Seel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Baschar al-Assad | |
Idlib | |
Rebellen | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Idlib | |
taz-Debatte Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Türkeioffensive in Syrien: Mit zweierlei Maß gemessen | |
Wer sich über die Invasion der Türkei gegen Kurden empört, darf die | |
Offensive von Assad in Idlib nicht vergessen. Menschenrechte sind | |
unteilbar. | |
Kurden im türkisch-syrischen Grenzgebiet: Streit um US-gestützte Einsatztruppe | |
Die USA wollen eine 30.000 Soldaten starke Kurdenarmee in Syrien aufbauen. | |
Die Türkei will gegen sie kämpfen. Droht eine Eskalation unter | |
Nato-Ländern? | |
US-Plan für Rebellen-Grenzarmee: Heftige Kritik an Syrientruppe | |
Die US-geführte Anti-IS-Koalition plant den Aufbau einer 30.000 Kämpfer | |
starken Einheit. Syrien, die Türkei und Russland sind empört – aus | |
unterschiedlichen Gründen. | |
Krieg in Syrien: 18 Tote bei Luftangriffen | |
Menschenrechtler machen die syrische Armee und russische Truppen für die | |
Bombadierung verantwortlich. Fast 100 Zivilisten wurden in den letzten | |
Tagen getötet. | |
Idlib, Syriens letzte Rebellen-Enklave: Mit Graffiti gegen den Terror | |
Die Provinz Idlib ist die letzte, die noch von Rebellen gehalten wird. | |
Zivile Organisationen wehren sich gegen die zunehmende Macht von | |
Islamisten. | |
Kriegsverbrechen in Syrien: Grauen in Aleppo | |
Brandbomben, Fassbomben, bunkerbrechende Bomben: Helfer im Osten Aleppos | |
berichten von mörderischen syrischen und russischen Luftangriffen. |