# taz.de -- Sammelalbum mit G20-Krawallfotos: Guter Scherz oder Gewaltpropagand… | |
> Das autonome „Riotini“-Sammelalbum mit Fotos der G20-Krawalle erhitzt die | |
> Gemüter. Alles Nebenwidersprüche, weiß die taz. | |
Bild: G20 in Tüten: Das Sammelalbum „Riotini“ und ein autonomer Sammler | |
BREMEN taz | Die bei G20 zerstörte Sparkassenfassade haben Sie doppelt, | |
aber das Sammelbild vom geplünderten Rewe-Markt suchen Sie noch? Vielleicht | |
haben Sie Glück, wenn Freitag in den linken Zentren von Hamburg und Bremen | |
zum klebrigen Warentausch geladen wird. „Riotini“ heißt der autonome | |
Sammelspaß: Ein Album mit 58 leeren Plätzen, die Bilder gibt es zufällig | |
verpackt in Tütchen. Die Einnahmen sollen die Gefangenen der Proteste vom | |
Juli vergangenen Jahres unterstützen. | |
Hemmungslos zelebriere die autonome Linken die Gewalt, beklagt der | |
Hamburger CDU-Abgeordnete Dennis Gladiator im Hamburger Abendblatt: „Wer | |
sich an der Verwüstung der Stadt, an Plünderungen, der enthemmten Gewalt | |
gegen Menschen und an der Angst vieler Hamburger berauscht, zeigt seine | |
kriminelle und antidemokratische Gesinnung.“ | |
Das mag sein. Dem historischen Materialisten hingegen stößt die ebenso | |
hemmungslose Affirmation des falschen Ganzen weit unangenehmer auf. | |
Gedankenlos wird der Warentausch abgefeiert, wo die Chaoten ihre | |
Klebebilder tauschen. | |
Generationen marxistischer Intelligenzija haben sich den Mund fusselig | |
geredet, was die Obacht bezüglich der Marx’schen Analyse der Ware als | |
Elementarform des Kapitalismus anbetrifft. „Der Reichtum der | |
Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“, | |
erscheine als eine „ungeheure Warensammlung, lautet der erste Satz des | |
Kapitals. Und kaum eine Marx-Einführung verzichtet heute auf eine Analyse | |
der Satzbaus. Es beginnt mit dem Substantiv Reichtum, haben der Soziologe | |
John Holloway und andere verdienstvoll herausgearbeitet, erst dann kommt | |
die Ware. Und erst dann: die Sammlung. | |
So lange die Autonomen auf den dritten Aspekt zielen, können sie noch so | |
emphatisch von der Freiheit schwafeln: Sie stecken doch bis zum Hals im | |
gesamtgesellschaftlichen Verblendungszusammenhang, den zu überwinden sie | |
doch vorgeblich anstreben. | |
## Ironie der Geschichte | |
Das ist die bittere Ironie der Geschichte: Im Jahr 1840 hat | |
Schleckerei-Magnat Franz Stollwerck mit seiner „Bilder-Chocolade“ (oder: | |
„Photographie-Chocolade“) eine Sammelwut entfacht. Und es war eben dieses | |
Jahr, als Marx seine Dissertation zur „Differenz der demokritischen und | |
epikureischen Naturphilosophie“ begann. | |
Autonome, die diesen Zusammenhang als bloßen Zufall abtun, offenbaren damit | |
lediglich ihre Unkenntnis der Schrift, arbeitet Marx doch gerade hier die | |
dialektische Auffassung der Wirklichkeit anhand der Wechselverhältnisses | |
der Kategorien Notwendigkeit und eben dem Zufall heraus. Die Hamburger | |
Autonomen, sie hätten hellhörig werden müssen – hier, oder doch spätesten… | |
als Panini 1961 sein erstes Fußballalbum ausgerechnet im Jahr des Mauerbaus | |
auf den Markt brachte. | |
Der Wert des Sammelbilds unterscheidet sich zunächst nicht von jenem | |
anderer Waren: Er entspricht der zu seiner Herstellung aufgewendeten | |
durchschnittlichen menschlichen Arbeitskraft. | |
## Scheinbar harmloser Bildertausch | |
Eben das verschleiern die Autonomen durch die Installation eines | |
alternativen Marktes, welcher mit denen im Tausch gegen Geld erhaltenen | |
Sammelbildern gespeist wird. Ihr Tauschwert ist selbstredend weder hier | |
noch dort eine Eigenschaft des Bildes, sondern lediglich die | |
Erscheinungsform des Wertes. In Gestalt des scheinbar harmlosen | |
Bildertausches nun treiben sie die mystifizierte und mystifizierende | |
Warenform des Geldes noch auf die Spitze, indem sie den Fetisch noch | |
reproduzieren. | |
Je nach Füllstand des eigenen „Riotini“-Albums wertet der autonome Sammler, | |
ob das Foto vom auf einen Bus gesprühten Slogan „For a world without cops“ | |
nun einen brennenden Bengalo wert ist oder es eventuell noch eines | |
Polizisten mit rosa Farbe bedarf. Dieses Praxis relativer Preise entspricht | |
der methodologisch unreflektierten Formanalyse der Neoklassiker. | |
Warum überhaupt die Ware zirkulieren lassen? Weil der im Album angelegte | |
Tausch nur in erster Instanz monetäre Schützenhilfe für die Inhaftierten | |
leisten soll. Er erfolgt dann auch nicht in der von Marx beschriebenen Form | |
G – W – G' (Geld gegen Ware gegen mehr Geld), sondern Ware gegen Ware gegen | |
Ware. | |
## Binnenautonome Zirkulation | |
Auf den in Marx’Worten „Überschuß über den ursprünglichen Wert“, den | |
sogenannten „Mehrwehrt“, hat es aber auch die binnenautonome Zirkulation | |
abgesehen: „Und bist du einmal niedergeschlagen und hoffnungslos“, so | |
„Riotini“, „dann kannst du dich mit einem Blick ins Album an all das | |
Erlebte erinnern und dir klarmachen, dass der Polizeistaat niemals stärker | |
sein wird als das Verlangen nach Freiheit“. Aus den Eindrücken der Revolte | |
wollen die Autonomen nun „Motivation und Inspiration“ ziehen, „und sie in | |
kommende Kämpfe gegen die Herrschaft einfließen lassen“. | |
Wo also der bürgerlich-kapitalistische Warentausch letztlich auf die | |
Transformation des Wertes in Kapital abzielt (zur Erinnerung: „Der | |
ursprünglich vorgeschobene Wert erhält sich daher nicht nur in der | |
Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen | |
Mehrwert zu oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in | |
Kapital.“), dient die vermeintlich linke Tauscherei allein der Reproduktion | |
revolutionärer Energien – in Gestalt folkloristischer Gewaltpoesie. | |
## Verquere Idee von Kooperation | |
Die simple Erkenntnis, dass der Einzelne sich an Tütchen dumm und dusselig | |
kaufen müsste, bis das Album voll wird, mündet schließlich in einer | |
verqueren Idee von Kooperation: miteinander aufreißen, sortieren, tauschen, | |
vollkleben. | |
Immerhin ein unfreiwilliges Verdienst bleibt „Riotini“ anzuerkennen: der | |
Sichtbarmachung nämlich eines Hegel’schen Grundgesetzes der Dialektik. Es | |
ist der Umschlag von Quantität in Qualität. Da sammeln die Autonomen ihre | |
Bilder: 55, 56, 57 – um dann mit dem finalen 58. ein plötzlich volles Heft | |
in den Händen zu halten. Weiterer Tausch ist seines Zweckes beraubt, hat | |
sich erübrigt, die Zirkulation endet und die Totalität des Warentauschs ist | |
aufgehoben. Zunächst für den Einzelnen, ja, doch das volle „Riotini“ | |
verbleibt als Vorschein einer besseren Welt auch für die anderen | |
erniedrigten, geknechteten, verlassenen und verächtlichen Sammler. | |
Hinweis in eigener Sache: Der Autor sucht dringend noch die Sammelbilder | |
Nummer 7, 15 und 23 | |
12 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
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