| # taz.de -- Kanadas Superstar Trudeau im Fallen: Von den Bahamas eingeholt | |
| > Die Beliebtheit von Premier Justin Trudeau lässt deutlich nach. Jetzt hat | |
| > er auch noch gegen die Ethikregeln des Landes verstoßen. | |
| Bild: Seine Berühmtheit überstrahlt alle, aber unumstritten ist er nicht mehr | |
| Vancouver taz | Mit seinen Selfies und seinen bunten Socken setzt sich der | |
| Premierminister gern in Szene. Justin Trudeau scheut kein Hochglanzmagazin, | |
| keine Kamera und gilt als „Everybody’s Darling“. Er fasziniert die Welt | |
| durch seinen lockeren Auftritt, seine fortschrittliche Agenda, seine | |
| jugendliche Aura. Sogar Donald Trump hält erklärtermaßen große Stücke auf | |
| ihn – und das will was heißen. | |
| Gut zwei Jahre regiert Trudeau mittlerweile in Kanada und bislang schien | |
| zumeist alles prima. Der poppige Premier sonnte sich in guten Umfragewerten | |
| und überstand auch locker so manchen Fehltritt, zum Beispiel, als er eine | |
| Oppositionsabgeordnete im Parlament einmal rüde anrempelte. Auf | |
| internationalem Parkett wurde er für seinen forschen wie jugendlichen | |
| Auftritt gelobt. | |
| Doch zur Hälfte seiner Amtszeit ist der Premier jetzt in die Krise | |
| gerutscht. Erstmals seit seiner Wahl im Herbst 2015 hat Trudeau in Kanada | |
| mehr Kritiker als Unterstützer. Das Angus-Reid-Institut aus Vancouver hat | |
| jetzt ermittelt, dass nur noch 46 Prozent der Kanadier ihren Premier gut | |
| finden, fast 20 Punkte weniger als zu Höchstzeiten. 49 Prozent dagegen | |
| missbilligen seine Amtsführung. | |
| Auslöser sind eine Reihe von politischen Fehleinschätzungen, darunter eine | |
| geplante Steuerreform für Familienunternehmen, die bei vielen Kanadiern gar | |
| nicht gut ankommt, weil sie viele Kleinunternehmer zusätzlich belastet. Vor | |
| allem aber haben immer mehr Kanadier Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihres | |
| Premierministers und seines Kabinetts. | |
| ## In Aga Khans Hubschrauber auf die Privatinsel | |
| Trudeaus Finanzminister Jim Morneau etwa steht seit Wochen politisch am | |
| Pranger, weil er nach Ansicht seiner Kritiker private und geschäftliche | |
| Interessen vermischt haben soll. Genau denselben Vorwurf muss sich nun auch | |
| Justin Trudeau selbst gefallen lassen – und zwar von niemand geringerem als | |
| der hoch angesehenen Ethik-Beauftragten des kanadischen Parlaments. | |
| Dabei geht es um Trudeaus weihnachtlichen Familienurlaub auf den Bahamas | |
| vor einem Jahr. Die Trudeaus hatten die Ferien auf der Privatinsel des Aga | |
| Khan verbracht, dem Oberhaupt der schiitischen Ismailiten und einem der | |
| reichsten Männer der Welt. Das Problem: Die gemeinnützige Stiftung des Aga | |
| Khan wirbt auch um kanadische Steuergelder und ist bei der Regierung als | |
| Lobbyist registriert. | |
| Ein Jahr lang hatte die Beauftragte die Umstände des Urlaubs daher | |
| akribisch untersucht. Am Mittwoch stellte sie nun ihren Bericht vor, der | |
| sich wie eine schallende Ohrfeige für Justin Trudeau liest. Danach befand | |
| sich der Premierminister in einem offensichtlichen Interessenkonflikt und | |
| hat gleich in mehreren Punkten gegen die offiziellen Ethik-Regeln in Kanada | |
| verstoßen. | |
| „Die Ferienaufenthalte, die Herr Trudeau oder seine Familie akzeptiert | |
| haben, können nach allem Ermessen auch dazu gedient haben, Herrn Trudeau in | |
| seiner Eigenschaft als Premierminister zu beeinflussen“, schrieb die | |
| Ethikbeauftragte. Zumal sich Trudeau mit dem Privathubschrauber des | |
| Milliardärs von Nassau auf die Privatinsel hat fliegen lassen, was | |
| eigentlich nicht erlaubt ist. | |
| ## Offen für Günstlingswirtschaft und Lobbyismus? | |
| Im März 2016 hatte zudem Trudeaus Ehefrau Sophie Gregoire mit den Kindern | |
| des Paars und Freunden eine Woche auf Einladung des Milliardärs auf der | |
| Luxus-Insel verbracht. Als die Regierung später über mögliche finanzielle | |
| Zuwendungen an eine dem Aga Khan nahestehende Organisation zu entscheiden | |
| hatte, hätte sich Trudeau laut Ethikkommission für befangen erklären | |
| müssen, was er aber nicht tat. | |
| Zwar entschuldigte sich der angeschlagene Premier am Mittwoch in Ottawa vor | |
| laufenden Kameras und versprach, zukünftig alle Privaturlaube von der | |
| Ethikbeauftragen vorab abklären zu lassen. „Mir tut es leid. Ich übernehme | |
| die volle Verantwortung“, erklärte Trudeau und bezeichnete den Aga Khan als | |
| einen Familienfreund, mit dem schon sein Vater kameradschaftlich verbunden | |
| gewesen sei. | |
| Dennoch untergräbt die Affäre die ohnehin schon angeschlagene | |
| Glaubwürdigkeit Trudeaus. Bei vielen Kanadiern verstärkt sich mittlerweile | |
| der Eindruck, der Premier und seine Regierung seien offen für | |
| Günstlingswirtschaft und Lobbyismus. Bekräftigt fühlen sich auch all jene | |
| Kritiker, die dem Premier schon länger vorhalten, er sei ein abgehobener | |
| Emporkömmling aus reicher Familie. | |
| Die Opposition in Ottawa warf Trudeau am Mittwoch vor, dieser habe nicht | |
| nur gegen die Regeln verstoßen, sondern habe mittlerweile jegliche | |
| Bodenhaftung verloren und lasse ein gesundes Urteilsvermögen vermissen. | |
| Allerdings verzichtete der junge, konservative Oppositionschef Andrew | |
| Scheer zunächst noch darauf, den Rücktritt Trudeaus zu fordern – und das | |
| aus gutem Grund. | |
| Denn bei allen Problemen und miesen Umfragedaten hat Trudeau weiter ein | |
| dickes Ass im Ärmel: Sein schillernder Promi-Status überstrahlt in Kanada | |
| weiterhin alles. Dagegen kommen seine politischen Konkurrenten kaum an und | |
| werden bislang nicht als ernstzunehmende Alternativen wahrgenommen. Noch | |
| muss sich Justin Trudeau also keine allzu ernsten Sorgen machen – | |
| einstweilen jedenfalls. | |
| 21 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Michel | |
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