| # taz.de -- Einigung auf eine Koalition in Österreich: Staatsgewalten in recht… | |
| > Die rechtskonservative Koalition Österreichs steht. Die ÖVP bekommt die | |
| > Wirtschaftsressorts und überlässt der FPÖ Polizei, Militär und | |
| > Geheimdienste. | |
| Bild: Marsch nach rechts: die Koalitionschefs Strache und Kurz | |
| Österreichs neue Regierung steht und sie steht weit rechts. Aber auf | |
| Details lässt man die Öffentlichkeit noch warten. In der Nacht auf Samstag | |
| gaben die künftigen Koalitionspartner Sebastian Kurz (ÖVP) und | |
| Heinz-Christian Strache (FPÖ) den Abschluss ihrer fast zweimonatigen | |
| Koalitionsgespräche bekannt. Zwar wollen sie die Ministerliste und das | |
| Regierungsprogramm erst nach einem Termin beim Bundespräsidenten und eher | |
| formalen Präsentationen vor den Parteigremien bekannt geben, doch sind die | |
| Ressortaufteilung und die Namen der mutmaßlichen Kabinettsmitglieder | |
| bereits durchgesickert. Vor allem die der FPÖ, denn die ÖVP soll noch in | |
| letzter Minute nach geeigneten Kandidaten gesucht haben. | |
| Man geht mit großem Optimismus zu Werk, denn das Programm, so heißt es, sei | |
| auf zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, ausgelegt. Ein absoluter | |
| Bruch mit der Tradition ist Vereinigung von Armee und Polizei in einer | |
| Hand. Die FPÖ soll unter Innenminister Herbert Kickl und | |
| Verteidigungsminister Mario Kunasek alle bewaffneten uniformierten Kräfte | |
| unter sich haben. Darunter auch die Geheimdienste, die für die Verfolgung | |
| rechtsextremer Umtriebe zuständig sind. | |
| Kickl ist der Denker in der Partei, der auch so eingängige Wahlkampfsprüche | |
| wie „Daham statt Islam“ gereimt hat. Der Berufsoffizier Kunasek ist | |
| gelernter Kfz-Mechaniker und kommt aus der Steiermark, wo er auch das | |
| politische Zusammenleben mit den Kommunisten gelernt hat. Die | |
| Ressortaufteilung entspricht dem von ÖVP und FPÖ vereinbarten | |
| Cluster-Prinzip, wonach der gesamte Sicherheitsbereich der FPÖ und die | |
| Wirtschaftsagenden (Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft) bei der ÖVP | |
| gebündelt sein sollen. | |
| Bundespräsident Alexander Van der Bellen scheint sich an der Konzentration | |
| der Waffengewalt in den Händen der rechtspopulistischen bis rechtsextremen | |
| FPÖ nicht zu stoßen. Das Trauma des Jahres 1934, als Milizen der | |
| Christlichsozialen und Sozialdemokraten einander bekriegten und das | |
| Bundesheer seine Artillerie auf die Wiener Gemeindebauten richtete, scheint | |
| überwunden. Wichtig war dem ehemaligen Grünen-Chef vor allem eine | |
| pro-europäische Ausrichtung der Politik. Die ist offenbar dadurch | |
| ausreichend gewährleistet, dass Kurz die EU-Beziehungen zu sich ins | |
| Kanzleramt geholt hat. Strache durfte das nur mehr für den Rest der Welt | |
| zuständige Außenministerium mit der parteilosen Nahostexpertin Karin | |
| Kneissl besetzen. | |
| ## Generalmotto „Retro“ | |
| Als Kanzleramtsminister holt sich Kurz seinen Vertrauten, den 36-jährigen | |
| Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel, der sich durch immer schärfere | |
| Beschränkungen zu Zuwanderer und Asylsuchende zu profilieren versucht hat. | |
| Elisabeth Köstinger, die Wahlkampfmanagerin von Sebastian Kurz, dürfte nach | |
| einem kurzen Zwischenspiel als Nationalratspräsidentin die Landwirtschaft | |
| übernehmen. Dafür scheint sich die 39-jährige Kärntnerin durch ihre | |
| Position als Vizepräsidentin des Bauernbundes qualifiziert zu haben. | |
| Finanzminister sollte der ehemalige Rechnungshofpräsident Josef Moser | |
| werden, der aus dem Lager der FPÖ kommt aber von Kurz abgeworben wurde. | |
| Offenbar gab es gegen ihn Widerstand aus der ÖVP. Deswegen dürfte er mit | |
| dem Justizministerium abgefunden werden. | |
| Norbert Hofer, der vor einem Jahr fast Bundespräsident geworden wäre, wird | |
| Infrastrukturminister. Außer Strache und ihm wird die FPÖ keine | |
| Burschenschafter ins Kabinett schicken. Die Deutschnationalen bilden zwar | |
| das intellektuelle Rückgrat der Partei, doch versucht man, seit es mit dem | |
| Regieren ernst wird, ihre Bedeutung kleinzureden. | |
| Trotzdem wird das Regierungsprogramm – soweit bekannt – unter dem | |
| Generalmotto „Retro“ stehen. So wird das für kommenden Mai vorgesehene | |
| absolute Rauchverbot in Gaststuben, Bars und Kneipen gekippt. FPÖ-Chef | |
| Heinz-Christian Strache, selbst ein starker Raucher, hat sich damit | |
| durchgesetzt. | |
| ## Zwölfstundentage ohne Überstundengeld | |
| Damit wird ein weiteres Projekt der alten rot-schwarzen Regierung entsorgt. | |
| Überhaupt erwecken die Verhandlungsführer Sebastian Kurz (ÖVP) und | |
| Heinz-Christian Strache den Eindruck, als hätten sich endlich zwei | |
| gefunden, um das Land in die Vergangenheit zu führen. Auch im | |
| Bildungsbereich sollen mühsam von den Sozialdemokraten gegen die ÖVP | |
| durchgesetzte Reformschritte wieder ungeschehen gemacht werden. | |
| Der Fortbestand des Gymnasiums als Schule der Bildungselite wird | |
| festgeschrieben, Schulversuche, die die frühe Trennung nach vier Klassen | |
| Volksschule überwinden sollten, werden eingestellt. Kinder, die vor der | |
| Einschulung nicht ausreichend Deutsch sprechen, werden separiert, | |
| Ziffernnoten schon ab der ersten Klasse Volksschule verpflichtend. | |
| Was die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen mit den | |
| Arbeitgebervertretern bisher erfolgreich abwehren konnten, soll jetzt per | |
| Bundesgesetz verordnet werden: nämlich maximale Flexibilität am | |
| Arbeitsplatz, wo auch der Zwölfstundentag im Bedarfsfall Einzug halten wird | |
| – nicht gegen Überstundengeld, sondern auf Zeitausgleich. | |
| Arbeitsrechtsexperten warnen vor diesem Schritt. Die Gewerkschaften | |
| bereiten bereits Proteste vor. | |
| Gerätselt wird noch, wie die Koalition die geplante Steuerentlastung von 14 | |
| Milliarden Euro gegenfinanzieren will. Allein mit finanziellen Schikanen | |
| für Ausländer wird das nicht zu machen sein. Unklar ist auch noch, ob für | |
| Strache ein Heimatschutzministerium geschaffen wird. Hinter dem aus den USA | |
| entlehnten pathetischen Namen dürfte sich Banales verbergen, geht es doch | |
| darum, ein paar Agenden zusammenzupacken, die einerseits medienwirksame | |
| Auftritte erlauben, aber nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. | |
| Katastrophenschutz, vielleicht auch Sport könnten diese Voraussetzungen | |
| erfüllen. | |
| Strache will nicht zu oft zu Ministerräten nach Brüssel fliegen. Dort sitzt | |
| seine Partei ja mit Marine Le Pen, Geert Wilders und anderen erklärten | |
| EU-Feinden in einer Fraktion. Der Anspruch der ÖVP, eine „Europapartei“ zu | |
| sein, leidet darunter. | |
| 16 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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