# taz.de -- Insolvenz von Beate Uhse: Die Revolution frisst ihre Vibratoren | |
> Die Mutter aller Sexshops ist pleite – obwohl das Geschäft mit der Erotik | |
> heute mehr floriert denn je. Aber eben nicht so, wie Uhse es betrieb. | |
Bild: Die Uhse-Shops versuchten in der letzten Zeit vom Schmuddel-Image wegzuko… | |
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder schlechte Neuigkeiten bei | |
der Beate Uhse AG. Trotz neuer Vermarktungsstrategien und | |
Einsparungsmaßnahmen schrieb die Erotikhändlerin rote Zahlen. Heute | |
verkündete sie schließlich, dass sie Insolvenz beantragen will. | |
Dabei ist Beate Uhse nicht irgendein Sexshop, sondern die Pionierin ihrer | |
Branche. Ihre gleichnamige Gründerin war mit ihrem Geschäftskonzept | |
weltweit die erste. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete sie von Flensburg | |
aus ihre revolutionäre Idee, klärte Frauen über Verhütungsmethoden auf und | |
brach damit Tabus. | |
Damit trug sie wesentlich dazu bei, Sexualität zu normalisieren und zu | |
entstigmatisieren. Wie erfolgreich sie damit war, sieht man heute etwa am | |
Erfolg von Schmonzetten wie „50 Shades of Grey“, Sexpartys jenseits des | |
Nischeninteresses und feministischen Sexshops. | |
Uhse war eine Vordenkerin ihrer Zeit. Heute scheint ihr Konzept überholt. | |
Obwohl sie sich im Gegensatz zu herkömmlichen Oldschool-Sexshops explizit | |
an Frauen richten, muten Beate Uhse Läden schmuddelig an. Das mag auch | |
daran liegen, dass in ihren Läden neben hochwertigeren Artikeln auch dubios | |
verpackte Billigtoys stehen. Diese erinnern eher an Reeperbahn-Touri-Shops | |
und strahlen weder Exklusivität, noch Luxus oder Coolness aus. | |
## Coolness sells | |
Dabei sind diese Faktoren in der Vermarktung von Sexspielzeugen nahezu | |
essenziell geworden – etwa bei Eis.de, einem günstigen Online-Sexshop, der | |
mit seiner clean designten Website viel zugänglicher wirkt und wiederum an | |
den Online-Versand Amorelie.de erinnert. Besucht man letzteren, denkt man | |
auf einem Lifestyle-Blog gelandet zu sein. Die hübschen Fotos von lachenden | |
Frauen in Unterwäsche und eine ästhetisch gestaltete Webseite hat gibt | |
Besucher*innen nicht das Gefühl, diese nur diskret aufrufen zu können, weil | |
aus 50 Metern Entfernung erkennbar sein könnte, was für ein versautes | |
Schweinchen man ist. | |
Oder Fun Factory, ein ebenfalls deutsches Unternehmen für Sextoys aus | |
Silikon. Die Marke ist für hochwertige Ware bekannt, die unter anderem bei | |
Beate Uhse und anderen Sexshops, aber auch in ihrem eigenen Online-Shop | |
oder in ihrem Flagship-Store in Berlin-Mitte vertrieben wird. Obwohl es | |
kein explizit queeres Unternehmen ist, zeigen sich die Macher*innen | |
LGBTQ-freundlich: Ihre Werbung fällt nicht durchgängig in eine | |
heterosexuelle Narrative hinein und während des Pride-Monats stehen | |
Regenbogenfarbene Dildos im Schaufenster. | |
Betritt man besagten Shop, fühlt man sich wie in einer schicken Boutique. | |
Neben Peitschen, Mooncups und Vibratoren gibt es Unterwäsche, die schwarz | |
ist und an Kleiderbügeln hängt anstatt in einer Verpackung zu stecken, auf | |
der beispielhaft gezeigt wird, wie eine Person aussehen sollte, wenn sie | |
diese trägt. Man schämt sich nicht, dort zu sein. Die Verkäufer*innen sind | |
offen und beraten kompetent. | |
Das tun sie zwei Häuser weiter im Beate Uhse Store auch. Dieser eröffnete | |
2016 nachdem das Unternehmen versucht hatte, sich ein neues Image zu geben. | |
So richtig geklappt hat das allerdings nicht: Beate Uhse wurde das alte | |
Schmuddel-Bild nicht los. Das Perfide ist: Die Renaissance der Sexshops | |
schadete Beate Uhse mehr als dass sie ihr genutzt hätte. Selbst mit ihrem | |
cleaneren neuen Design schafft es die Mutter aller Sexshops nicht, an die | |
oft genderneutralen, sterilen, an Apple-Stores erinnernden Neuankömmlige | |
der Branche anzuknüpfen. Die Revolution frisst ihre eigenen Vibratoren. | |
15 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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