# taz.de -- Kolumne Unter Leuten: Berlins kleinster Sexshop | |
> In Mahlsdorf (Berlin) betreiben zwei Rentner den Sexladen „Röschen's | |
> Intimvitrine“ – eine versteckte Attraktion mitten im Vorstadtidyll. | |
Bild: Verkaufsidee Erotik-Shop – viele Kunden haben ein Zipperlein | |
Berlin taz | Einfamilienhäuser, eierlikörgelb und lindgrün verputzt. | |
Bepflanzte Gärten und sauber geschnittene Hecken. Der Ortsteil Mahlsdorf im | |
Osten Berlins ist das reinste Vorstadtidyll. Touristen verirren sich kaum | |
hierher. Sollten sie aber. Denn in Mahlsdorf gibt es eine versteckte | |
Attraktion: den wohl kleinsten Sexshop der Hauptstadt. In einer Datscha, | |
hinter dem Haus von Annerose Koschinski und ihrem Mann Rudi. Die beiden | |
Rentner beitreiben „Röschen’s Intimvitrine“ schon seit der Wende. | |
Die namensgebende Intimvitrine gibt es tatsächlich. Sie hängt neben dem | |
Hauseingang der Koschinskis und ist so etwas wie die Arche Noah der | |
Sextoys. Im Glaskasten sind Dessous, Liebeskugeln und erotische Plakate vor | |
einer grünen Gardine ausgestellt, dekoriert mit Rosen aus samtrotem Stoff. | |
Den Weg zur Datscha hinter dem Haus weist eine Leuchtkette. | |
Als ich den Laden betrete, steht die 68-jährige Annerose Koschinski allein | |
hinter dem Tresen. Dunkelrot gefärbte Haare, randlose Brille, beige | |
Strickjacke – das freundliche Großmütterchen von nebenan. Um sie herum | |
blinkt es wie auf dem Jahrmarkt, das Sortiment an Dildos und | |
Latexvibratoren ist bunt beleuchtet. Besuch kam heute noch keiner. | |
„Laufkundschaft ist selten“, sagt Annerose. „Zu uns kommse gezielt.“ | |
Früher, in Sachsen, da hat sie Schaftstepperin gelernt, erzählt sie. „Das | |
Oberteil vom Schuh, das hab ich hergestellt.“ Später war Annerose im Handel | |
tätig. War viel unterwegs. Rudi hat sie nur am Wochenende gesehen. „Kurz | |
nach der Wende kam mein Mann dann mit der Idee: ein Erotikshop, hier bei | |
uns zu Hause.“ | |
Die meisten Kunden kommen aus Mahlsdorf und anliegenden Bezirken. Manche | |
sind weit über 80. „Die haben so ihre Zipperlein“, sagt Annerose. Wenn die | |
Älteren allein mit ihr im Laden sind, öffnen sie sich für ein intimes | |
Gespräch. Oft hört sie die gleichen Geschichten. Die Frauen wollen im Alter | |
von Sex nichts mehr wissen. Annerose empfiehlt dann Massageöle und Federn. | |
„Es muss ein Vorspiel geben, damit die Frau Gefallen daran findet“, sagt | |
sie. „Der Mann hat Druck und dann geht’s los – das ist nüscht.“ | |
Außer Dildos und Vibratoren verkaufen sich Erotikfilme ganz gut. Richtig | |
Old School, auf DVD. Annerose zeigt mir ihr Regal. Sie hat die Filme nach | |
Themen sortiert. Busen. Strumpfhosen. Dunkelhäutige. Lesben. Transen. Dick | |
und schwanger. Swinger. „Swinger gehen auch gut, muss ick sagen!“ | |
Ob sie in ihrem Job noch etwas überraschen kann? Ja, schon, sagt Annerose. | |
Vor ein paar Jahren kam eine Frau und bestellte Peitschen und schwarze | |
Strapse. Sie hatte rausgefunden, dass ihr Mann auf Sadomaso steht. „Die hat | |
sich noch hier umgezogen, um ihren Mann von der Arbeit abzuholen.“ Ans | |
Aufhören denkt Annerose Koschinski nicht. Nur etwas mehr Kunden könnte sie | |
gebrauchen. Es sind einfach zu wenige, die sich nach Mahlsdorf verirren. | |
4 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Eins | |
## TAGS | |
Erotik | |
sex-positiv | |
Übersetzer | |
Sexualität | |
Playboy | |
Sex | |
Gentrifizierung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sexshopkollektiv über Sexshop-Gründung: „Sex ist immer politisch“ | |
Im Hamburger Gängeviertel eröffnet mit „Fuck Yeah“ ein ausdrücklich | |
feministischer Sexshop. Ein Gespräch über die Besonderheiten des Ladens, | |
Aufklärung und politischen Sex. | |
Kolumne Unter Leuten: Übersetzer gesucht auf Ellis Island | |
Es war nur ein kurzer Traum: Im Immigrationmuseum auf Ellis Island wurde | |
ein Übersetzer gesucht. Doch Geld sollte es für den Job nicht geben. | |
Insolvenz von Beate Uhse: Die Revolution frisst ihre Vibratoren | |
Die Mutter aller Sexshops ist pleite – obwohl das Geschäft mit der Erotik | |
heute mehr floriert denn je. Aber eben nicht so, wie Uhse es betrieb. | |
Gründer des „Playboy“-Magazins: Hugh Hefner ist tot | |
Er hatte in den Fünfzigerjahren die Idee für ein Nacktmagazin, das auf | |
großes Interesse stieß. Nun ist Hugh Hefner im Alter von 91 Jahren | |
gestorben. | |
Spaß für Fortgeschrittene: Sexshops werden schamfrei | |
Die Bremer Fun Factory wendet sich mit politisch korrekten Sex-Toys an ein | |
aufgeklärtes Publikum, in Hamburg soll gar ein queerfeministischer Laden | |
eröffnen. | |
Gentrifizierung in Frankfurt: Pastrami-Boom neben Bordellen | |
Das Bahnhofsviertel wird zum Szeneviertel. Einwohner kritisieren, dass | |
steigende Mieten und „die Kreativen“ zu Verdrängung führen. |