# taz.de -- Steinmeier und seine SPD-Mitgliedschaft: In himmlischer Ruh | |
> Bundespräsident Steinmeier lasse seine SPD-Mitgliedschaft ruhen, heißt es | |
> offiziell. Doch den Ruhemodus gibt es im Parteistatut der SPD gar nicht. | |
Bild: Rot glänzen nur noch die Kugeln. Frank-Walter Steinmeier nach der Weihna… | |
Das Wort „ruhen“ hat einen positiven Klang. Gestresste freuen sich aufs | |
Ausruhen, Kita-ErzieherInnen mögen ruhige Kinder – und ein Bundespräsident | |
lässt seine Parteimitgliedschaft ruhen. Das klingt staatsmännisch: | |
Einerseits hält er vornehm Distanz zur Parteipolitik, andererseits tritt | |
er nicht sang- und klanglos einfach aus einer Partei aus. Und es hört sich | |
souverän an, so wie ein erfahrener Koch das Fleisch erst einmal – ja, genau | |
– ruhen lässt, anstatt es hektisch zu bearbeiten. | |
Das Problem ist nur: Man kann eine Parteimitgliedschaft gar nicht ruhen | |
lassen. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach dem Scheitern der | |
Jamaika-Sondierungen SPD-Chef Martin Schulz eine öffentliche Klatsche dafür | |
gab, dass mit ihm keine Große Koalition zu machen war, bekam er quer durch | |
die Medien Lob: Steinmeier, ein überparteilicher Bundespräsident, der sich | |
von seiner Partei frei gemacht hat und dies durch das Ruhen der | |
Mitgliedschaft beweist. | |
Allerdings kennt das Parteistatut der SPD kein freiwilliges „Ruhen“ einer | |
Parteimitgliedschaft – wie auch nicht die Statuten von CDU und FDP. Die | |
drei Parteien haben alle Bundespräsidenten seit 1949 gestellt, nur Joachim | |
Gauck war parteilos. Man gibt seine Parteimitgliedschaft entweder durch | |
Austritt, Ausschluss oder Tod ab. Die SPD kennt als Form der | |
Ordnungsmaßnahme das zeitweilige Ruhen „einzelner oder aller Rechte“ aus | |
der Parteimitgliedschaft. Prominentes Beispiel ist Sebastian Edathy, dessen | |
Rechte wegen des Besitzes von Kinderpornografie derzeit noch ruhen. Die CDU | |
ist mehr finanziell orientiert: Hier können die Rechte ruhen, wenn das | |
Mitglied „länger als sechs Monate mit seinen Beitragszahlungen schuldhaft | |
im Verzug ist“. | |
Die taz-Anfrage nach dem Parteistatus von Steinmeier beantwortet die SPD | |
schmallippig: „Mit Blick auf das herausgehobene Amt des Bundespräsidenten | |
wurde das Ruhen der SPD-Mitgliedschaft von Frank-Walter Steinmeier als | |
Ausnahmefall ermöglicht“, sagt ein Sprecher. Das Bundespräsidialamt | |
erklärt, dass sich Steinmeier mit dem Ruhen an eine „präsidiale Praxis“ d… | |
ehemaligen Bundespräsidenten hält. „In der Praxis heißt dies vor allem, | |
dass er weder an Veranstaltungen der ehemaligen oder überhaupt einer Partei | |
oder deren Untergliederungen teilnimmt noch einen Mitgliedsbeitrag an eine | |
Partei entrichtet“, sagt Steinmeiers Sprecherin. | |
## „Das klingt eben blöd“ | |
Aber wie geht das „Ruhen“ in einer Partei wie der SPD, in das Statut und | |
Regeln eine große Rolle spielen? Horcht man in die Tiefen des | |
brandenburgischen Landesverbands – wo Steinmeier registriert ist – hinein, | |
hört man von einem, der nahe dran ist, die Vermutung, dass Steinmeier | |
faktisch ausgetreten ist – oder sich hat austreten lassen. Schon praktisch | |
geht es nicht anders, wenn man keine Beiträge mehr zahlt. „Wenn ein | |
Bundespräsident aber aus seiner Partei offiziell austritt, klingt das eben | |
blöd“, heißt es. Namentlich zitieren darf man die Quelle nicht, so wie | |
überhaupt alle Vertreter der Parteien, mit denen man redet, peinlich genau | |
zwischen offizieller Sprachregelung und Realität hinter den Kulissen | |
trennen. | |
Alexander Thiele, Staatsrechtler an der Universität Göttingen, hält die | |
Verbiegungen mit der ruhenden Mitgliedschaft für überflüssig. „Man kann die | |
Frage, ob ein Bundespräsident parteipolitisch Distanz hält, kaum am | |
formalen Kriterium einer Parteimitgliedschaft festmachen. Es hängt vom | |
konkreten Handeln der Person ab“, sagt er. Alexander Thieles Urteil ist | |
eindeutig: „Hinter der Auffassung, dass ein Bundespräsident seine | |
Mitgliedschaft in einer Partei ruhen lassen soll, steckt die verfehlte | |
Erwartung eines apolitischen Präsidenten. Ein Bundespräsident kann nicht | |
neutral sein, allein schon aufgrund des Wahlverfahrens: In der | |
Bundesversammlung sitzen schließlich die Vertreter der Parteien.“ | |
Auffallend ist, dass SPD wie Bundespräsidialamt auf historische Vorbilder | |
verweisen. Alle anderen Bundespräsidenten hätten das auch so gemacht, heißt | |
es. Diese Deutung ist nachweislich falsch. Bundespräsident Christian Wulff | |
ist seinerzeit ohne Wenn und Aber aus der CDU ausgetreten. Der taz schreibt | |
er auf Anfrage: „Nach meiner Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni 2010 | |
wollte ich die Mitgliedschaft ruhen lassen, habe aber festgestellt, dass es | |
diese Möglichkeit satzungsgemäß nicht gibt. Deshalb bin ich ausgetreten und | |
nach meiner Zeit als Bundespräsident wieder eingetreten. Konkret | |
wiedereingetreten bin ich Anfang März 2014, unmittelbar nach meinem | |
Freispruch.“ Gegen Wulff war wegen Vorteilsannahme ermittelt worden. | |
## Die historischen Vorbilder | |
Ausgetreten war auch Richard von Weizsäcker, der immer Distanz zu seiner | |
CDU hielt und in seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident Anfang der | |
neunziger Jahre mit scharfer Parteienkritik auffiel. Eingetreten ist er | |
anders als Wulff später nicht mehr, weil das Verhältnis zum | |
Parteivorsitzenden Helmut Kohl komplett zerrüttet war. Nach außen | |
kommuniziert wurde es seit seinem Amtsende 1994 von der CDU anders. Es | |
hieß, er ließe seine Mitgliedschaft ruhen. | |
Bundespräsident Horst Köhler trat nicht aus der CDU aus – er erklärte seine | |
Mitgliedschaft für ruhend und bezahlte seine Beiträge nicht mehr, erklärt | |
sein Büro. So konnte man seinen Status formal korrekt verbuchen – denn wer | |
in der CDU nicht zahlt, dessen Rechte ruhen. | |
Locker nahm es die FDP mit ihrem frisch gewählten Bundespräsidenten Walter | |
Scheel im Jahr 1974. Das geht aus Vorstandsprotokollen hervor, die das | |
„Archiv des Liberalismus“ der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zur | |
Verfügung stellte. Der designierte Parteivorsitzende Hans-Dietrich Genscher | |
betonte auf einer Sitzung im Juni 1974 die Verbindung Scheels zur FDP: „Und | |
deshalb sage ich: Ihr Platz in der FDP jedoch, lieber Walter Scheel, ist an | |
keine Zeit, an keine Wahl, an keine Formalität gebunden. Auch nicht daran, | |
dass – wie es so schön heißt – Ihre Mitgliedschaft derzeit ruht.“ Wie e… | |
schön heißt – das Ruhen von Scheels Mitgliedschaft war wohl eher eine | |
augenzwinkernde Angelegenheit als förmlich festgehalten. Schließlich war | |
Scheel bis zu seiner Wahl FDP-Chef. | |
Verfassungsrechtler Thiele sieht rechtlich gesehen kein Problem darin, dass | |
die Parteien mit dem „Ruhend“-Konstrukt ihre Statuten biegen: | |
„Gewohnheitsrechtlich gesehen wäre es wohl zulässig, wenn ein | |
Bundespräsident seine Mitgliedschaft ruhen lässt, auch wenn dies in den | |
Parteistatuten in dieser Form nicht vorgesehen ist.“ | |
Offen bleibt, wann Frank-Walter Steinmeier die goldene Ehrennadel für 50 | |
Jahre SPD-Parteimitgliedschaft bekommt. Wenn seine Ruhezeit mitgezählt | |
wird, wird er sie im Jahr 2025 angeheftet bekommen. Zählen die fünf Jahre | |
nicht mit, muss er sich bis 2030 gedulden. | |
26 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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